Editorial

Pflanzengeflüster

(28.3.17) Wenn Pflanzen Sauerstoff produzieren, machen sie Geräusche. Wiener Zoologen wollten jedenfalls kaum ihren Ohren trauen, als sie mit einem Unterwassermikrophon die Photosynthese-Aktivität einer Wasserpflanze live mitverfolgten.
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© Krisitan Peters / Wikimedia Commons

Alles begann vor vierzig Jahren an einem sonnigen Tag am Fischteich Schönau in Niederösterreich. Als Helmut Kratochvil und sein Kollege Michael Pollirer vom Department für Integrative Zoologie der Universität Wien mit einem Unterwassermikrophon die örtliche Fauna belauschen wollten, mussten sie empört feststellen: Wir hören ja gar nichts!

Nun ja, nicht ganz: Die beiden Zoologen hörten schon etwas – nur nicht das, was sie hören wollten: Denn die Geräusche der aquatischen Tiere wurden von anderen Lebewesen maßlos übertönt – und zwar von Wasserpflanzen. Diese produzierten an dem heiteren Tag nämlich Unmengen an Sauerstoff und damit auch aufsteigende Luftblasen. „Die unzähligen Sauerstoffbläschen erzeugen ein Geräusch, das an brutzelndes Fleisch in einer Pfanne erinnert“, beschreiben Kratochvil und Pollirer die Höreindrucke in ihrer kürzlich erschienenen Publikation in Scientific Reports (Vol. 7, Article no. 44526). Durch das Bratpfannengeräusch der Hydrophyten entstand ein solcher Unterwasser-Lärm, der den Wienern das eigentliche Experiment gehörig versaute.

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(Wer sich das selber anhören will, kann das hier im Laborjournal Blog tun!)

Doch aus Ärger über den Krach wurde schnell ein Geistesblitz. Die beiden Zoologen erkannten richtig, dass die Begleitgeräusche der Pflanzen einem bestimmten Muster folgten. „Die Sauerstoffbläschen treten hauptsächlich in regelmäßigen Serien aus den Wasserpflanzen aus“, beschreibt Kratochvil seine Beobachtung.

Das wiederum brachte die Wiener auf eine Idee: Vielleicht könnte man die Geräusche für Messzwecke verwenden. Denn Pflanzenforscher interessieren sich schon lange für die aufsteigenden Luftblasen.

Beispielsweise lassen sich mit ihnen die photosynthetischen Prozesse in Hydrophyten nachverfolgen. Allerdings musste man dafür die Bläschen bisher mühsam händisch zählen. Und auch mit einem Photosynthometer ging das nicht wirklich besser. Ein Photosynthometer fängt das abgegebene Pflanzengas auf und leitet es in eine Glaskapillare, an deren Skala man das Gas-Volumen ablesen kann. Im folgenden Video ist dieser Versuchsaufbau Schritt für Schritt erklärt:

 

 

Der Nachteil beider Methoden: Sie sind zum einen ungenau und beanspruchen viel Zeit; zum anderen ist eine exakte Verlaufskurve unmöglich. Folglich kann man damit zwar die Nettoproduktion von Sauerstoff in einem gewissen Zeitintervall ermitteln, aber keine Änderungen der Photosynthese-Intensität während des Experiments aufzeichnen.

Kratochvil und Pollirer erkannten diese Schwächen und wussten, dass sie mit einem Unterwassermikrophon möglicherweise Abhilfe schaffen könnten. Also gingen sie im heimischen Labor an die Aquarien und tauchten das Mikrophon erneut ins Wasser – diesmal aber in ein Becken mit der Kanadischen Wasserpest (Elodea canadensis). Das aufgenommene Sonagramm werteten die Zoologen dann mit Hilfe eines Schallanalyseprogramms aus. Und siehe da: Tatsächlich konnten sie die Zeitabstände zwischen den Impulsen extrem genau bestimmen (im Milisekunden-Bereich) – und so die Geschwindigkeit der Sauerstoffabgabe darstellen.

Die akkustisches Methode erlaubt es folglich, die Photosynthese und deren Intensitätsänderungen „live“ und genauer als zuvor mitzuverfolgen – auch, wenn sich gewisse Parameter ändern. Beispielsweise kann man den Einfluss der Lichtintensität, des Lichtspektrums, der Temperatur, des Nährstofflevels und deren Zusammensetzung, des atmosphärischen Drucks wie auch von Chemikalien oder CO2-Gehalt unmittelbar überprüfen und bewerten. „Hilfreich ist das vor allem, um ökologische Grenz- und Optimalwerte festzulegen“, meint Kratochvil dazu.

Einen dieser Faktoren pickten sich Kratochvil und Pollirer direkt im Labor raus und untersuchten, wie die Pflanze auf verändernde Lichtverhältnisse reagierte. Dafür schalteten Sie das Licht komplett aus und nahmen weiterhin die Geräusche der Blasen auf. Bei völliger Dunkelheit sank die Blasen-Rate exponentiell auf Null. Sobald sie das Licht wieder einschalteten, stiegen die Blasen wieder wie gewohnt an die Wasseroberfläche. Der Prozess ließ sich beliebig oft wiederholen.

Übrigens, so machen Kratochvil und Pollirer in ihrem Artikel klar, komme das Geräusch der Blasen nicht daher, dass die Blasen die Wasseroberfläche durchstoßen. Vielmehr erzeugen die Bläschen Geräusche, wenn sie aus den Stomata oder aus Rissen in der Pflanze austreten. Woher die Wiener das wissen? Da halfen ihnen ihre jahrelange Arbeit mit Wasserorganismen – und Videoaufnahmen.

 

 

In Zukunft möchten sich die beiden Forscher aber gerne das aufwendige Erstellen der Sonagramme ersparen (siehe oben, Abb. aus Originalveröffentlichung): „Seit circa einem halben Jahr besteht der Plan, zusammen mit dem Institut für Schallforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ein Analyseprogramm zu entwickeln, welches das automatisch macht“, so Kratochvil. Verständlich, denn bald wird auch beim Fischerteich Schönau wieder häufiger die Sonne herauskommen – und da möchten die Zoologen sicher weniger vor'm Computer sitzen, sondern lieber mehr Zeit im Freien verbringen. 

Juliet Merz



Letzte Änderungen: 21.04.2017