Editorial

Homöopathie als Revolution der Wissenschaft?

Die Homöopathie feiert ihren Gründer: Samuel Hahnemann wäre in diesem Jahr 250 Jahre alt geworden. Für LJ online "würdigt" der Physiker und Skeptiker Martin Lambeck die homöopathische Methode.

(19.04.2005) Anlässlich des 250. Geburtstages von Hahnemann, des Begründers der Homöopathie, findet vom 4.-7. Mai 2005 in Berlin der Weltkongress homöopathischer Ärzte statt. Die Schirmherrschaft hat die Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer übernommen; Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt schreibt in einem Grußwort: "Der globale Erfolg der Homöopathie findet seinen Ausdruck in diesem Weltkongress". Die Teilnahme am Kongress wird den Ärzten von den Ärztekammern als Fortbildung angerechnet. Das Homöopathische Arzneibuch (HAB) trägt auf der ersten Seite den Bundesadler und wurde im Lauf der Zeit von sechs Bundesgesundheitsministern unterschrieben.

Nach Mitteilung des Bundesgesundheitsministeriums (Stand 2000) gibt es in Deutschland 4490 Homöopathen; weitere 6000 Ärzte wenden die anthroposophisch erweiterte Heilkunst an. Hinzu kommt etwa die gleiche Zahl von Heilpraktikern. Die anthroposophisch erweiterte Heilkunst hat zwar ein radikal anderes Welt- und Menschenbild als die Homöopathie, stellt aber dennoch die Medikamente auf dieselbe Weise her, weshalb sich für mich als Physiker dieselben Fragen stellen.

Was ist Homöopathie, und wo ist da ein Problem? Im Jahre 1796 veröffentlichte Hahnemann seinen Chinarindenversuch. Chinarinde wurde damals gegen Malaria angewendet. Hahnemann, der nicht Malaria hatte, stellte im Selbstversuch fest, nach Einnahme von Chinarinde in massiver Dosis bekäme er Fieber, Gliederschmerzen usw. - also "ähnliche Leiden" wie ein Malariakranker. Daraus schloss er, ein Medikament wirke bei einem Kranken heilend, wenn es beim Gesunden "ähnliche Leiden" hervorrufe. Aus den griechischen Wörtern für "ähnliche Leiden" bildete er das Wort Homöopathie und formulierte als Grundgesetz der Homöopathie "Wähle, um sanft, schnell, gewiss und dauerhaft zu heilen, in jedem Krankheitsfalle eine Arznei, welche ein ähnliches Leiden für sich erregen kann, als sie heilen soll!". Die sinngerechte Betonung liegt auf "erregen".

Lateinisch formulierte er "similia similibus curentur" (Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden). Daher wurden im Lauf der Zeit Tausende von Medikamenten an Gesunden ausprobiert und die entstehenden "Arzneimittelbilder" in umfangreichen Verzeichnissen zusammengestellt. Medizinische Grundprinzipien der Homöopathie sind also die Prüfung der Medikamente am Gesunden und die Behandlung des Kranken nach dem Simileprinzip. Beispiel: Man weiß, dass ein Übergenuss von Kaffee zur Übererregung und Schlaflosigkeit führt. Also hilft nach der Simileregel Kaffee in homöopathischer Zubereitung bei folgenden klinischen Indikationen: "Alle Übererregungszustände, die man durch übermäßigen Kaffeegenuss haben könnte. Schlaflosigkeit, Migräne, Neuralgien, unerträgliche Schmerzen, die einen zur Verzweiflung bringen, Folgen von Gemütserregungen. Dosierung D2, D4, D12, C30 (Gabanyi)". Zu diesen medizinischen Grundprinzipien nehme ich als Physiker nicht Stellung.

Das erklärungsfordernde Spannungsverhältnis zur Physik (www.skeptiker.de/lambeck/physik.html) ergibt sich durch die Herstellung der Homöopathika, die im HAB festgelegt ist. Es wird zunächst z. B. durch Auspressen einer Belladonnapflanze der Saft als "Urtinktur" hergestellt. Hiervon gibt man ein Teil in ein genügend großes Gefäß und darauf 9 Teile Lösungsmittel (hochprozentigen Alkohol). Diese 1:10 Mischung nennt man nach dem lateinischen Wort für zehn D. Diese D1 muss nun "mindestens 10 Mal kräftig geschüttelt" werden. Davon nimmt man ein Teil ab, gibt dieses in ein neues Gefäß, darauf 9 Teile Lösungsmittel, schüttelt, erhält so D2 usw. Analog kann man in jeder Stufe 1:100 verdünnen (C-Reihe) oder 1:50000 (Q-Reihe).

Das physikalische Problem liegt in der atomistischen Struktur der Materie. Nach heutiger Lehre beträgt die Avogadro-Zahl (etwa die Zahl der Wassermoleküle in einem der homöopathischen Fläschchen) 6.02214199 * 1023. Daher ist in der D-Reihe bei D23 nur noch ein Molekül vorhanden, bei D30 nichts mehr. D30 entspricht der Verdünnung von einem Tropfen Belladonna in einer Wassermenge, deren Masse gleich der der gesamten Erde ist. In keinem Restaurant wird ein Bierglas so perfekt von den Resten des vorigen Getränks und des vorigen Trinkers befreit wie ein Fläschchen Belladonna D30 von Belladonna. Kurz: Wo Belladonna D30 draufsteht, ist kein Belladonna drin.

Daher behaupten die Homöopathen, es käme nicht auf die materielle Anwesenheit des Belladonna an, sondern durch die Potenzierung (stufenweises Verdünnen mit dazwischengeschaltetem Schütteln) werde eine neue Qualität geschaffen, die Hahnemann in der Sprache seiner Zeit als "geistartige Kraft" bezeichnet. Heutige Autoren sprechen von "Wesen", "Urprinzip", "Lebensenergie", "Information" oder "Schwingung". Alle derartigen Erscheinungen als Ergebnis des Herstellungsvorgangs sind der heutigen Physik unbekannt. Vielfach wird auch behauptet, Wasser habe ein "Gedächtnis". Erstens hat Wasser nach dem heutigen Kenntnisstand kein Gedächtnis und zweitens würde ein Gedächtnis nicht für Homöopathie sprechen, sondern dagegen. Das Wasser müsste sich dann an alle Stoffe erinnern, mit denen es in der Vergangenheit in Berührung gekommen war. Insbesondere kann hierdurch nicht erklärt werden, weshalb sich das Wasser nur an die Urtinktur erinnern sollte, nicht jedoch an die Nebenbestandteile des Wassers wie Kalk oder Eisen, die mitgeschüttelt werden und spätestens ab D8 eine höhere Konzentration aufweisen als die Urtinktur. Hinsichtlich der Wirkung der Homöopathie lassen sich drei Bereiche unterscheiden:

Im Niederpotenzbereich bis etwa D8 ergeben sich für mich als Physiker keine Probleme. Dass Belladonna D4 und Lachesis D6 medizinisch wirken, ist nicht zu bezweifeln. Dass sie statt durch einfache Verdünnung durch Potenzierung hergestellt wurden, kann aus meiner Sicht zwar nichts nützen, aber auch nichts schaden. Ebensowenig habe ich Probleme mit der Anwendung der Hochpotenzen, wenn diese als Placebowirkung durchgeführt wird. Jede beliebige Maßnahme wirkt heilend, wenn Arzt und Patient daran glauben und die Krankheit psychisch bedingt ist. Die Placebo-Homöopathie ist eine preisgünstige, nebenwirkungsarme Therapie, die offenbar einer großen Zahl von Patienten entgegenkommt. Sie ist akzeptabel, wenn der Arzt die Grenzen seiner Methode kennt und zur schulmedizinischen Therapie übergeht, wenn dies erforderlich ist. Die Schulmedizin hat zu lernen, dass die Zahl der psychosomatisch bedingten Krankheitsfälle größer ist als sie bisher annahm.

Ganz anders sieht es jedoch aus, wenn die Homöopathen auf ihrer Aussage beharren, dass die Hochpotenzen tatsächlich eine medizinische Wirkung hätten, die für die Urtinktur charakteristisch ist. Somit lässt sich die physikalische Frage an die Homöopathie auf die Entscheidung zurückführen: Sind zwei Hochpotenzen wie etwa Belladonna D30 und Lachesis C200 hinsichtlich ihrer medizinischen Wirkung gleich oder nicht gleich?

Jeder der 10.000 Ärzte wird sagen: "Dass diese beiden Medikamente wirken, und zwar völlig verschieden wirken, das sehe ich jeden Tag in meiner Praxis." Nach dieser Entscheidung, dass die beiden Medikamente nicht gleich sind, gibt es zwei gute Nachrichten: Erstens: Die 10.000 Ärzte haben recht. Zweitens: Die Bundeswissenschaftsministerin Edelgard Bulmahn kann durch Wissenschaftseinrichtungen wie Max-Planck-Gesellschaft, Deutsche Forschungsgemeinschaft oder Helmholtz -Gemeinschaft, die jeweils etwa 10000 Wissenschaftler umfassen, den Unterschied der beiden Substanzen feststellen lassen und dadurch mehrere Nobelpreise und große Wirtschaftserfolge nach Deutschland holen. Die medizinische Wirkung einer materiell abwesenden Substanz auf den Menschen bewirkt auch eine Revolution der Philosophie. Für Philosophie gibt es zwar keinen Nobelpreis, aber der Entdecker stünde auf einer Stufe mit Descartes, Kant und Schopenhauer.

Oder die Entscheidung lautet: Die beiden Substanzen sind gleich. Dann gibt es eine schlechte Nachricht und eine gute: Die schlechte: Die 10.000 Ärzte haben sich geirrt. Die gute: Man braucht die Substanzen gar nicht mehr einzeln herzustellen. Man füllt einfach die Fläschchen alle gemeinsam aus einem großen Fass mit Lösungsmittel und klebt je nach Verordnung des Arztes das entsprechende Etikett auf. Dies ermöglicht große Einsparungen im Gesundheitswesen.

Homöopathen verteidigen ihre Lehre gerne mit dem Argument, sie wirke auch bei Tieren, die mangels Denkvermögens keine Placebowirkung zeigen könnten. Das Placeboargument stimmt meines Erachtens bei Haustieren nicht, wohl aber kann es durch sorgfältige Versuchsführung bei Nutztieren ausgeschlossen werden.

Grundlage der Homöopathie ist, dass das Medikament beim Gesunden ein klar definiertes Arzneimittelbild hervorruft. Bei meinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg sehe ich gerne Herden von Kühen, die auf großen Weiden gemütlich in ihrer Herde und mit ihren Kälbchen grasen. Sie sind also materiell, sozial und emotional gesund. Ich schlage daher vor, etwa 200 Kühe, die ohnehin numeriert sind, nach einem Zufallsverfahren in zwei Gruppen einzuteilen. 100 Kühe erhalten ein Hochpotenzmedikament, 100 ein Placebo. Hierbei ist auf die Vermeidung eines häufig begangenen Fehlers zu achten. Das Placebo zu Belladonna D30 ist nicht reines Lösungsmittel, sondern Lösungsmittel D30, da beim Potenzieren Inhaltsstoffe der Luft und herausgelöste Bestandteile des Schüttelgefäßes in das Medikament gelangen. Die Kosten des Experiments liegen im Prozentbereich anderer wissenschaftlicher Forschungen.

Ein homöopathischer Tierarzt, der die Gruppeneinteilung nicht kennt, hat dann nach einer selbstgewählten Frist festzustellen, welche Kühe ein Arzneimittelbild zeigen und welche nicht. Gelingt der Versuch, ist seine Bedeutung für die Medizin zu vergleichen mit der Entdeckung Robert Kochs, dass viele Krankheiten durch Bakterien verursacht werden und für die Physik mit der Entdeckung der Röntgenstrahlen. Bei positivem Ausgang könnte das Experiment Nobelpreise und Wirtschaftserfolge nach Deutschland bringen. Edelgard Bulmahn, übernehmen Sie!

(Autor Martin Lambeck ist Physiker, Professor an der TU Berlin sowie Mitglied des Wissenschaftsrates der Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften, GWUP)

Kommentare zu diesem Artikel

Rein zufaellig kam ich auf den Artikel ueber die Homoepathie. Ausgezeichnet: einmal die Analyse, zum anderen die moeglichen Konsequenzen. Ich bin im familiaeren Bereich ziemlich stark von solchen Diskussionen "umlagert". Habe auch selbst Erfahrungen ueber mehr als 25 Jahre im "schulmedizinischen" Bereich (Arbeit in einer Klinik) - sah also auch sehr oft die Methoden der Medizin(er) ... Wesentlich ist der Bereich des Glaubens, des Vertrauensverhaeltnisses zwischen Client und Arzt ... das gilt sowohl fuer die "nicht" schulmedizinischen wie auch fuer die schulmedizinischen Belange ...

Joerg Kampmann, UNI-Hildesheim, Institut fuer Technik und Physik, 10-Jun-2005 13:08:40






Letzte Änderungen: 07.09.2005