Editorial

Kommentar: Böser Trump, was nun?

(10.11.16) Die US-Demokratie hat das Votum des deutschen Wählers missachtet – und die internationalen Börsenbarometer tun dies vorläufig ebenfalls. Voll gemein, das!
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© DonkeyHotey

Also diese amerikanischen Wähler, was denen nur einfällt! Halten sich einfach nicht an die seit Monaten währenden Ermahnungen in den deutschen Medien: „Trump = total doof, Clinton = relativ super“! Hey, was ist los, Ihr Amerikaner – informiert Ihr Euch denn nicht regelmäßig bei ARD, ZDF und Zeit online?

Der ehemalige US-Korrespondent des deutschen Oberlehrermagazins Der Spiegel hatte neulich im Fernsehen geradezu Mühe, Tränen der Empörung zurückzuhalten: In unzähligen Artikeln haben er und seine Redakteurskollegen nun seit Monaten geduldig erklärt, warum Trump gar nicht geht – und jetzt wählen die Amerikaner diesen Proleten einfach trotzdem. Echt gemein!

Dabei lässt sich dieser doofe Trump doch dauernd von seinen Anhängern bejubeln (Populist!), verbirgt seine Glatze unter einem peinlichen Toupet (Feigling!), seine Frau ist ein gutaussehendes Model (Macho!); er nutzt Steuerschlupflöcher und öffentliche Mittel (geldgieriger Abzocker!), will Amerika ganz vorne sehen (Nationalist!), erlitt mit einigen wirtschaftlichen Unternehmungen schon mal Misserfolge (Versager!), gibt Wahlversprechen (Stimmenfänger!), wird sie eh nicht halten (sagt die Politikredakteurs-Kristallkugel und die hat immer recht, außer bei Wahlprognosen), will die bislang pazifistisch orientierte US-Außenpolitik ändern und die netten Kampfhubschrauberpiloten aus dem nahen Osten abziehen (Drückeberger!) – und überhaupt wählen Trump nur ungebildete, wütende, weiße, waffentragende, verarmte Greise vom Land (und die machen in den USA bekanntlich weit über 50 Prozent der Bevölkerung aus).

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Und trotzdem entscheiden sich diese undemokratischen Naivlinge einfach für Trump? Trotz aller deutsch-gründlichen Aufklärungsarbeit? Das geht gar nicht. Man sollte den US-Bürgern das Wahlrecht aberkennen, bis sie wieder das tun, was ihnen erfahrene Spiegel-Redakteure vorschreiben! Zumindest jenen, die Trump gewählt haben. Oder wir lassen den US-Präsidenten künftig am besten gleich von jenen Deutschen wählen, die wissen, wie man’s richtig macht – frei nach Gerhard Polt: „Jetzt schön ordentlich, sonst mach’s ich für dich! Dir werden wir das schon noch beibringen, du Rotzlöffel!“.

Damit hinterher auch das gewünschte Ergebnis herauskommt. Immerhin genießen wir Deutschen in Sachen Demokratie, Toleranz und PKW-Abgaswerte ja eine weltweit anerkannte Expertise.

Wirtschaftliches Erdbeben? Eher ein laues Lüftchen…

Apropos Expertise: Es gibt ja kaum etwas, was man Donald Trump in den letzten Wochen nicht vorgeworfen hat. Neben der schieren Unmöglichkeit, so einer wie er könnte jemals US-Präsident werden, gab es auch bezüglich seiner ökonomischen Fähigkeiten einen glasklaren Konsens: Trump, dieser Fließband-Pleitier, habe keine Ahnung von Wirtschaft, würde als US-Präsident binnen weniger Monate die US-Wirtschaft zugrunde richten, und womöglich die globale gleich mit. 370 amerikanische Hochschul-Ökonomen etwa (unter ihnen acht Nobelpreisträger) warfen Trump im Wallstreet-Journal „eine große Ignoranz in Bezug auf Ökonomie“ vor. Er habe keinen Plan, keine Ahnung, und man solle ihn daher nicht wählen.

Kaum ist Trump gewählt, reagiert die Weltwirtschaft. Doch seltsamerweise ganz anders als vorhergesagt: Nach einem kurzen „Schock an den Börsen“ notierte der Dollar am gestrigen Mittwoch im Devisenhandel ab Mittag nahezu unverändert. Der deutsche Aktienindex verlor bis zum Abend ein halbes Prozent, der Technologiewerte-Index TecDax ebenfalls ein halbes Prozent , und der MDax knapp ein Prozent. Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 büßte knapp zwei Prozent ein. Das ist kein Erdbeben, das ist eher ein laues Lüftchen.

Lediglich der mexikanische Peso verzeichnete – wohl wegen Trumps Ankündigungen, die illegale Einwanderung einzudämmen und Strafzölle auf mexikanische Waren zu erheben – den stärksten Einbruch binnen eines Tages seit 19 Jahren. Für dieeuropäische Volkswirtschaft hat dieser einstweilige Kurseinbruch jedoch so gut wie keine Konsequenzen – und wer weiß schon, ob Trump seine Drohungen gegenüber Mexiko überhaupt wahr macht, und falls ja, ob ihn der Kongress dabei überhaupt unterstützt.

Pharma- und Biotech-Werte legen zu

Wie aber steht es um die Branchen, in denen viele Laborjournal-Leser arbeiten, oder deren Produkte sie zumindest täglich benutzen? Diese – der Pharma-, Biotech- sowie Medizintechnik-Sektor – profitierten fürs Erste klar vom überraschenden Sieg Trumps: Nahezu alle an der Börse notierten Pharmawerte, von Bayer über Merck bis hin zu den Medizintechnik-Herstellern Fresenius und FMC und den Schweizer Pharmakonzernen Novartis und Roche verzeichneten am gestrigen Wahlauszählungs-Mittwoch steigende Kurse.

Warum das? Ganz einfach: Die betreffenden Aktienbesitzer sind offenbar erleichtert, dass Hillary Clinton nicht US-Präsidentin wird – diese hatte drakonische Maßnahmen gegen Arzneimittel-Preiswucher angekündigt, was die Gewinne der Konzerne und somit die Aktiengewinne deutlich und langfristig geschmälert hätte.

Im Biotech-Sektor, dessen Nasdaq- Leitindex in den letzten 12 Monaten rund 20 Prozent verloren hatte, atmete man ebenfalls auf. So legten gestern zum Beispiel der deutsche Antikörperhersteller Morphosys (der zuletzt erfreuliche Phase-3-Studiendaten zum Psoriasis-Mittel Guselkumab verkündet hatte) und auch die Schweizer Beteiligungsgesellschaft BB Biotech deutlich zu. Dies liegt natürlich nicht nur am unerwarteten Wahlausgang – Trumps Erfolg aber hat durchaus kurzfristig positive Effekte auf längst erfolgte und kommunizierte Forschungs- und Entwicklungserfolge diverser Biotechfirmen, die in den letzten Wochen aber eher unbeachtet blieben.

Beobachter sprechen bereits von einem positiven „Trendwechsel“ in der Biotechbranche, den Trumps Wahlsieg ausgelöst habe. Das mag ebenso voreilig sein wie die nicht endenden Unkenrufe vor und nach dessen Wahl zum US-Präsidenten. Ob der konservative Republikaner zum Beispiel auch langfristig die forschenden und entwickelnden Naturwissenschaftler an Universitäten und in der Industrie wird erfreuen können – und ob er das nationale Forschungsbudget kürzt, beibehält oder gar ausbaut – das steht auf einem ganz anderen Blatt. Immerhin muss er als Republikaner – theoretisch – auf stockkonservative Kreise Rücksicht nehmen, für die beispielsweise Gentechnik und Stammzellenforschung Teufelszeug ist.

Vielleicht ist deren Meinung dem Exzentriker Trump aber auch schlicht egal.

Erst mal abwarten

Ja, vielleicht hat Donald Trump mit seinem als „populistisch“ gebrandmarkten Wahlkampf sogar die ganze Welt hinters Licht geführt – mit Ausnahme der ihn wählenden US-Bürger (unter denen sich übrigens, im Gegensatz zum vorherrschenden Meinungsbild in Deutschland, immerhin 52 Prozent der weißen und immerhin 40 Prozent aller wählenden Frauen, 32 Prozent Jungwähler, 29 Prozent Latinos, durchaus auch Bürger asiatischer und afrikanischer Herkunft und sogar überdurchschnittlich viele Gebildete aus der amerikanischen Mittelschicht befinden)? Vielleicht ist er ja gar nicht so primitiv, naiv und menschenverachtend, wie alle sagen.

Der 40. Präsident der USA, Ronald Reagan, war von Beginn seiner achtjährigen Präsidentschaft an in weiten Teilen des deutschen Bildungsbürgertums ähnlich unbeliebt wie jetzt Trump. Mit Reagan habe der US-Wähler fatalerweise einem kalten Krieger und drittklassigen Schauspieler die präsidiale Macht samt Kontrolle über die Atomraketen übergeben, unkte man seinerzeit. Heute hingegen ist selbst der Demokrat Barrack Obama ein stiller Verehrer Reagans – ausgerechnet der 2004 verstorbene Ex-Schauspieler hinterließ uns im Jahr 1989 nämlich eine Welt, in der die jahrzehntelange Angst vor einem globalen Atomkrieg verflogen und die deutsche Einheit Realität war.

Auch wenn dies natürlich nicht Reagans alleiniges Verdienst war – man ist gut beraten, wenn man erst einmal Donald Trumps Taten als Präsident abwartet, ehe man in deutschen Gazetten mal wieder alles besser weiß.

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 30.11.2016