Editorial

Aminosäure-Bastelei in Insektenzellen

(26.10.16) Ein Team um Stefan Bräse vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sowie Edward Lemke vom Heidelberger EMBL synthetisiert mit einem Insektenzellen-Expressionssystem Proteine mit exotischen Aminosäuren.

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© KIT

Seit Urzeiten versklaven Molekularbiologen das Bakterium Escherichia coli. Willig nimmt es DNA auf, gestattet Plasmid-Basteleien und produziert Proteine auf Kommando. Dennoch ist E. coli keine Universal-Produktionsstätte. Geht es etwa um die Synthese von Proteinen mit Modifikationen die für Eukaryonten typisch sind, beispielsweise Glykosilierungen, ist E. coli eine Null. Das gleiche gilt für die Produktion der meisten therapeutischen Proteine. Weder grüne noch rote Biowissenschaften kommen deshalb ohne eukaryotische Expressionssysteme aus.

Ein häufig eingesetztes eukaryotisches Expressionssystem sind immortalisierte Insektenzellen, die sich leicht mit Viren infizieren (transformieren) lassen. Seit zehn Jahren verwenden Forscher hierzu häufig das MultiBac-Expressions-System. Dieses erlaubt mehrere Proteine gleichzeitig herzustellen und in vivo zu einem Proteinkomplex zusammenzusetzen. Durch Infektion von Insektenzellen mit ausgeklügelten viralen Vektoren (Bacmide) lassen sich die Komponenten des Proteinkomplexes gezielt verändern und sogar neu mischen.

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Das Team um Bräse und Lemke ging jedoch einen Schritt weiter und baute in die mit dem MultiBac-System hergestellten Proteinkomplexe nicht-kanonische Aminosäuren ein (Koehler et al., Nat Methods). Aber wie soll das gehen, der gesamte genetische Code ist doch schon belegt? Dann erweitert man ihn eben und nennt das ganze Genetic Code Expansion oder kurz GCE. Die Ausdehnung des genetischen Codes liefert keine Bauanleitung zur Synthese untypischer Aminosäuren. Sie ermöglicht vielmehr den Einbau nicht-kanonischer Aminosäuren während der Translation.

Bei der GCE wird ein Stop-Codon (meist TAG) umfunktioniert. In Zellen, die ein besonderes tRNA-tRNA-Synthetase-Paar enthalten, interpretiert die Translationsmaschinerie TAG-Codons nicht mehr als „Stop“, sondern als Befehl zum Einbau einer untypischen Aminosäure. Letztere ist Nutzer-definiert und wird einfach zugegeben. Schwimmt sie im Cytosol, so wird sie von der entsprechenden maßgeschneiderten tRNA erkannt und in die wachsende Proteinkette eingebaut. Wird sie nicht zugegeben, bedeutet TAG ganz normal „Stop“.

Die ursprünglich in E. coli entwickelte GCE-Strategie übertrug das 27-köpfige Forscherteam um Lemke und Bräser auf Insektenzellen und kombinierte es elegant mit dem MultiBac-System. Entstanden ist daraus das MultiBacTAG-Verfahren zur effizienten Expression maßgeschneiderter Multi-Proteinkomplexe in Insektenzellen.

Zum MultiBacTAG-System gehören ein Empfänger-Plasmid mit Bauanleitung für das tRNA-tRNA-Synthetase-Paar sowie mehrere Spender-Plasmide, welche je ein Protein (A,B,C,D...) kodieren. Alle Plasmide tragen Cre-Lox-Stellen (zur homologen Rekombination), mit denen sie sich zu einem gemeinsamen Fusionsplasmid, in diesem Falle dem Bacmid, verbinden lassen.

Das Team schleuste die Bacmide in E. coli ein und vermehrte sie in den Bakterienkulturen. Anschließend ernteten Koehler et al. die Bacmide und transformierte mit ihnen Insektenzellen. Als letzte Zutat fehlte nur noch die gewünschte untypische Aminosäure. Nach deren Zugabe synthetisierten die Insektenzellen Proteinkomplexe, die an genau definierten Stellen exotische Aminosäuren trugen.

Dass die Technik tatsächlich auch in vivo funktioniert, zeigte die Gruppe mit Hilfe fluoreszierender Reporterprotein-Komplexe, die sie mit einem Durchflusszytometer analysierte. Viel Mühe machten sich die Forscher auch mit der Synthese vollständiger, wahlweise markierter Antikörper, um die medizinische Relevanz der Methode zu demonstrieren (spätestens hier lohnt sich ein Blick in das Original-Paper).

Als Reporterprotein-Komplex verwendeten die Wissenschaftler ein mCherry-GFP-Konstrukt das in der GFP-Sequenz ein TAG-Codon beherbergte. Das entsprechende Bacmid schleuste die Gruppe in Insektenzellen ein und teilte diese in zwei Gruppen. Einer verabreichten sie die untypische Aminosäure (Propargyl-Lysin), die andere ließen sie unbehandelt. Erstere fluoreszierte rot (mCherry) und grün (GFP), während letztere - aufgrund des als „Stop“ erkannten TAG-Codons - nur rotes Licht emittierte.

Koehler et al. sehen großes Potenzial für die MultiBacTAG-Methode bei der maßgeschneiderten Proteinsynthese in biotechnologischen und pharmazeutischen Anwendungen. Sie ist aber auch für Grundlagenforscher interessant, die zum Beispiel Wechselwirkungen einzelner Komponenten innerhalb von Proteinkomplexen untersuchen. Ganz nebenbei sequenzierte das Team auch noch das Genom der Insektenzelllinie Sf-21.

Andrea Pitzschke



Letzte Änderungen: 16.11.2016