Editorial

Von Mäusen und ihren Mikroben

(13.9.16) Manchmal liefern Labormäuse im gleichen Versuch unterschiedliche Ergebnisse. Ein potentieller Grund dafür: Individuelle Unterschiede in der Zusammensetzung ihres Mikrobioms. Nicht zuletzt deshalb will man inzwischen mehr über die Darmmikroben der Versuchstiere erfahren – und sie möglichst besser kontrollieren.

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© BGI

Schon seit einiger Zeit ist Mikrobiomforschung „in“. Mehr und mehr wird deutlich, dass die meisten Mehrzeller eng mit einer artspezifischen Mikrobengemeinschaft vergesellschaftet sind, die wichtige Aufgaben übernimmt. Bei Säugetieren sind es insbesondere der Darm und die Haut, die eine reichhaltige  Mischung aus Bakterien, aber auch Archaeen, Pilzen, Viren und Protozoen beherbergen – das Mikrobiom. Im Darm hilft dieses unter anderem bei der Nahrungsverwertung und beeinflusst das Immunsystem – mit Auswirkungen etwa auf Körpergewicht, Infektanfälligkeit und Entstehung von Allergien.

Der unterschätzte Faktor

Vor diesem Hintergrund scheint problematisch, dass viele Labortiere gnotobiotisch, also keimfrei, aufgezogen werden. Dies gilt beispielsweise für den Fadenwurm Caenorhabditis elegans, dessen Laborstämme in der Regel kein funktionelles Darmmikrobiom besitzen. Erst kürzlich charakterisierten Kieler Forscher das natürliche Mikrobiom von C. elegans und beschrieben dessen Einfluss auf evolutive Fitness und Empfindlichkeit der Würmer gegenüber Pilzinfektionen (Dirksen et al., BMC Biology 14, 38).

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Während also die Abwesenheit einer Darmflora Forschungsergebnisse zu verfälschen droht, mehren sich indes die Anzeichen, dass auch das Darmmikrobiom selbst die Reproduzierbarkeit von Ergebnissen gefährdet. Das Problem ist, dass dessen Zusammensetzung variiert, auch wenn die Versuchstiere unter identischen Bedingungen aufgezogen wurden. Wer also mit Mäusen experimentiert, sollte immer auch deren Bakterien im Blick haben.

Andere Bakterien – anderes Ergebnis

Erst kürzlich thematisierte ein Essay in dieses Problem Science (DOI: 10.1126/science.aah7199). Als Aufhänger diente das Beispiel einer US-Physiologin, die feststellen musste, dass sich ihre Ergebnisse zum Einfluss eines Medikaments auf die Knochendichte in Mäusen nicht mehr reproduzieren ließen. Die Wissenschaftlerin fand heraus, dass die Versuchstiere zwar vom gleichen Mausstamm und beim gleichen Händler unter identischen Bedingungen aufgezogen waren, aber dennoch über unterschiedliche Darmmikrobiome verfügten – und dass dies tatsächlich den Knochenstoffwechsel beeinflusste.

In einem anderen Fall beeinflusste ein Antibiotikum, das die Darmflora eliminierte, zugleich die Symptome, die ein Mausmodell für Multiple Sklerose typischerweise zeigte. Die Wiederbesiedelung der Darmbakterien stellte dagegen das klinische Bild wieder her.

Dummerweise variiert die Zusammensetzung des Darmmikrobioms von Individuum zu Individuum und ist zudem leicht beeinflussbar, beispielsweise durch die Ernährung, den Kontakt zu Artgenossen und durch Stress. Dies könnte mit ein Grund für die mangelnde Reproduzierbarkeit vieler Studien sein, oder toxikologische Experimente verfälschen, die auf den Nachweis von Metaboliten im Urin basieren. Immerhin erzeugen unterschiedliche Mikroben beim Abbau der gleichen Nährstoffe oft unterschiedliche Stoffwechselprodukte, die im Urin auftauchen können.

Labormaus 2.0

Die Pathologen Craig Franklin und Aaron Ericsson, beide an der Universität von Missouri tätig, sind deshalb dazu übergegangen, die Darmflora ihrer Versuchstiere zu analysieren. Im Großen und Ganzen lassen sich im Mäusekot die gleichen Bakterien nachweisen wie bei anderen Säugetieren: vorwiegend Vertreter der Firmicuta, verantwortlich für die Aufnahme von Nahrungsfetten, und der Bacteroidetes, wichtig für die Verdauung ballaststoffreicher Nahrung. Doch der Teufel steckt im Detail. Ein New Yorker Labormaus-Anbieter Taconic vertreibt seine Tiere daher inzwischen in zwei Varianten – mit und ohne sogenannte segmentierte filamentöse Bakterien, die großen Einfluss auf Immunsystem und Entzündungsantworten ausüben.

Extrem ist dagegen sicherlich der Ansatz des US-Immunologen David Masopust, der seine Labormäuse mit Mäusen aus dem Zoohandel zusammen bringt, um das Immunsystem der Versuchstiere gezielt mit Krankheitserregern zu konfrontieren (siehe Nature 532, 294). Zwar starb ein Viertel seiner Tiere, aber der Rest produzierte die gewünschten erregerspezifischen T-Lymphozyten. Damit stellten die Tiere ein natürlicheres Modell des menschlichen Immunsystems dar, so der Forscher. Auch verfügten sie über eine artenreichere Darmflora.

Andere Mausforscher folgten diesem Beispiel, viele jedoch hegen Bedenken. Schließlich gilt gerade dies als große Errungenschaft, dass heute Mausstämme zur Verfügung stehen, die frei von potentiellen Krankheitserregern sind.

Darmbakterien auf Bestellung

Franklins Gruppe entwickelte weiterhin vier Mausstämme mit definierten, unterschiedlich komplexen Mikrobengemeinschaften. Diese lassen sich auf jeden beliebigen Mausstamm übertragen – ein Service, den Franklin über das Mutant Mouse Resource and Research Center (MMRRC) der University of Missouri für einige Tausend Dollar anbietet. Durch Verwendung von Mäusen mit gleichem genetischen Hintergrund, aber unterschiedlichen Mikrobiomen könnte sich der Einfluss der Darmmikroben in Studien gut aufklären lassen. Offensichtlich ist der Forscher damit aber seiner Zeit voraus, denn den Service hat bisher niemand in Anspruch genommen.

Eine andere Strategie zielt gleichfalls darauf ab, die Effekte der Mäuse- und der Mikrobengene zu trennen. Hierzu verwendet Herbert Virgin, Immunologe an der Washington University School of Medicine in St. Louis/Missouri, „Kontrollmäuse“ ohne Genmanipulation, die dem gleichen Wurf entstammen wie die Versuchstiere und deshalb über die gleiche Darmflora verfügen (Nature 534, 191).

Mäusedarm-Mikrobiom entschlüsselt

Nicht ohne Grund könnten könnten auch die Journals in Zukunft eine fäkale Mikrobiomanalyse der Versuchstiere fordern. Zwar ist bisher nur ein Bruchteil der Darmmikroben einer standardisierten Analyse zugänglich, doch eine frische Studie aus deutschen Landen scheint einen ersten Schritt in diese Richtung zu machen (Ilias Lagkouvardos et al., Nature Microbiology, DOI 10.1038/nmicrobiol.2016.131). Forscher, die in der Mehrzahl am Zentralinstitut für Ernährungs- und Lebensmittelforschung (ZIEL) der Technischen Universität München, der Deutschen Sammlung für Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) und dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) in Braunschweig sowie an der Universität München (LMU) arbeiten, präsentieren darin die Entschlüsselung eines Großteils des Mäusedarmmikrobioms. In 1.500 Darmbakterien­kulturen wurden hundert Isolate identifiziert, darunter 15 bislang unbekannte Arten mit zum Teil neuen funktionellen Eigenschaften. Eine davon ist etwa Flintibacter butyricum. Das Bakterium vermag sowohl aus Zuckern als auch aus manchen Aminosäuren die kurzkettige Fettsäure Butyrat herzustellen – ein Hauptstoffwechselprodukt im Darm, das unter anderem antientzündlich wirkt.

Trotz Überschneidungen mit dem menschlichen Darmmikrobiom besiedelten rund ein Fünftel der Isolate bevorzugt den Mäusedarm. Hierzu gehört beispielsweise die neu entdeckte Familie der Muribaculaceae, deren Vertreter zahlenmäßig im Mausdarm vorherrschten und bislang ein unbeschriebenes Blatt sind.

„Diese Erkenntnisse sollen ein besseres Verständnis der Einflüsse von Darmbakterien auf die verwendeten Mausmodelle ermöglichen und gleichzeitig aufzeigen, wie man sich das menschliche Darmmikrobiom für die Verhinderung von Infektionskrankheiten zu Nutze machen kann“, geben die Seniorautoren Thomas Clavel und Barbara Stecher als Fazit ihrer Studie zu Protokoll.

Wichtiger für den Moment scheint jedoch, dass die vielen, vielen Mausforscher sich vor allem eines über ihre Versuchstiere sehr bewusst machen: Wer mit Mäusen experimentiert, experimentiert in aller Regel nicht nur mit Mäusen.

Larissa Tetsch



Letzte Änderungen: 30.09.2016