Editorial

Koryphäe tot, Forschung blüht

(19.8.16) Wie setzen sich neue Erkenntnisse durch? Max Planck hatte es schon geahnt: Oft erst dann, wenn das Establishment die Gänseblümchen von unten sieht.

editorial_bild

"Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen,  dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, dass ihre Gegner allmählich aussterben und dass die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist."

Dieser Satz, den Max Planck in seiner "Wissenschaftlichen Selbstbiographie" zu Papier gebracht hat, wird im Englischen oft auf eine griffige Formel gebracht:

"Science advances one funeral at a time"

Altgedienten Koryphäen scheint es schwer zu fallen, Lehrmeinungen über den Haufen zu werfen, oder den Wert radikal neuer Ideen und Methoden anzuerkennen. Solange die alten, einflussreichen Hasen nicht abgetreten sind, haben revolutionäre Ansätze wenig Chancen.

Editorial

Aber Moment, sind das nicht Vorurteile, Anekdoten, Hypothesen höchstens, gewürzt mit Plancks eingängigen, aber unbelegten Worten? Und die Sache mit dem Ableben ist doch überspitzt, das kann, wörtlich verstanden, doch nicht stimmen?

Es gibt aber vielleicht doch Anhaltspunkte dafür, dass der frühzeitige Tod von Spitzen-Wissenschaftlern tatsächlich neue Impulse zulässt. So hatten schon frühere bibliometrische Studien gezeigt, dass nach dem Tod eines "Starforschers" auch die Publikationsleistung seiner engen Kollaborationspartner abfällt.

Aber stimmt es auch, dass dadurch frische Ideen und bisher unbekannte Köpfe eine Chance bekommen? Das haben sich Pierre Azoulay, Christian Fons-Rosen und Joshua Zivin vom amerikanischen "National Bureau of Economic Research" in einem  Arbeitspapier genauer angeschaut (Zusammenfassung siehe hier).

Basis für ihre Untersuchung war eine Liste mit fast 13.000 Elite-Wissenschaftlern der letzten 40 Jahre, wovon 452 vorzeitig verstarben, also während ihrer aktiven Arbeit und vor dem regulären Pensionsalter.

(Anmerkung am Rande: Was, 13.000 "Elite"-Wissenschaftler gibt oder gab es in den Lebenswissenschaften der vergangenen 40 Jahre? So viele? Das Trio scheint da einen weiten Rahmen zu setzen, definiert durch z. B. Mitgliedschaft in nationalen Akademien, Fördergeldhöhe, und so weiter. 13.000 entspreche etwa 5 % des relevanten Arbeitsmarktes für den betrachteten Bereich, schreiben die NBER-Forscher).

Um die jeweiligen Fachgebiete um diese Wissenschaftler herum zu beleuchten, kam der "Pub Med Related Citation Algorithm" zum Einsatz – ein Werkzeug, das inhaltlich verwandte Artikel und Autoren aufspürt, unter anderem mit Hilfe der feinkörnigen Untergliederung, die in den "Mesh-Terms" der Datenbank Pubmed niedergelegt sind.

Azoulay, Rosen und Zivin konnten so die Veröffentlichungstätigkeit in engen Fachgebieten quantitativ erfassen, "Insider" und "Outsider" eines Feldes bestimmen und deren Publikationsausstoß vor und nach dem Tod eines Superstars vergleichen.

Ergebnis: Das frühzeitige Ableben eines Elitewissenschaftlers scheint tatsächlich frischen Wind zu bringen. Zwar sinkt, wie früher schon gezeigt, typischerweise der Paper-Ausstoß des engen Kreises der "Insider" stark ab, im Mittel um ca. 40 Prozent. Das wird der Studie zufolge aber schon nach wenigen Jahren wettgemacht; weil nach dem Tod des Eliteforschers vermehrt Außenseiter auftreten, die das Feld mit neuen Ansätzen aufrollen.

Abb: Azoulay et al., NBER

"Während die Ko-Autoren [des Promis] nach dem Ableben eines Superstars leiden, ist es nicht einfach der Fall, dass andere Starwissenschaftler aus einem Konkurrenz-Labor die Führungsrolle annehmen", schreibt das Forscher-Trio, und weiter: "Vielmehr kommt der Publikationsboost hauptsächlich von Außenseitern, die neue Ideen aus anderen Bereichen einbringen".

Allerdings konnten Azoulay, Rosen und Zivin keine Hinweise darauf finden, dass Spitzenforscher bewusst und gezielt ihre Position ausnutzen würden, um missliebige Theorien oder Konkurrenten fernzuhalten.

Wie aussagekräftig (oder nicht) solche bibliometrischen Rechenstücke sind, darüber kann man wohl streiten. An Plancks Kommentar könnte jedenfalls etwas dran sein. Die real existierende Wissenschaft ist ein soziales Unterfangen, und die überlegenen Methoden, die besseren Daten, die logischeren Konzepte setzen sich nicht immer durch, zumindest nicht sofort.

Die Autoren sagen es so:

"Insgesamt zeichnen unsere Ergebnisse ein Bild von Wissenschaftsdisziplinen als Gelehrten-Gilden, deren Zugang von Elite-Wissenschaftlern reguliert wird. Diese bekommen übermäßig Gelegenheit, die Richtung des wissenschaftlichen Fortschritts in ihrem Bereich zu bestimmen."


Hans Zauner

 



Letzte Änderungen: 19.09.2016