Editorial

Harte Evidenz

(28.7.16) Wie und wann hat die Evolution das Skelett, also Knorpel und Knochen, erfunden? Der Ursprung dieser Innovation reicht weit in die Stammesgeschichte zurück, zeigt eine neue Evo-Devo-Studie an Pfeilschwanzkrebsen.
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© jarous / fotolia

In Uppsala findet im Moment das "Euro-Evo-Devo"-Meeting statt. Entwicklungsbiologen tauschen sich dort darüber aus, was Embryogenese und andere Entwicklungsvorgänge über die Evolution verraten.

"Evo-Devo" kam erst spät als eigener Forschungszweig der Evolutionsbiologie auf – obwohl schon seit Darwin immer auch Fakten aus der Embryogenese als Beleg für die Evolution angeführt wurden.

Aber als sich Genetiker, Zoologen, Botaniker, Mathematiker und Paläontologen ab den 1930er Jahren zusammensetzten, um an der "New Synthesis" zu feilen – also an der interdisziplinären, rigorosen Ausformulierung von Darwins Evolutionstheorie – da hatte man es nicht für nötig befunden, tiefer in die Entwicklungsbiologie einzusteigen.

Die "Neo-Darwinisten" verstanden Evolution in erster Linie als die Änderung von Gen-Frequenzen in Populationen. Wie Entwicklungsgene funktionell zusammenwirken, um aus Eiern adulte Organismen zu machen, das erschien den Protagonisten der New Synthesis als wenig relevant für das Verständnis evolutionärer Prozesse – man wusste damals aber auch kaum etwas  darüber.

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Evo-Devo: Neue Perspektiven für die Evolutionsbiologie

Dass es tiefe Homologien in Genomen geben könnte, ja, dass Gene in weitläufig verwandten Organismen wie Taufliegen und Mäusen nicht nur eine konservierte Sequenz, sondern sogar eine ähnliche Funktion bewahren können – das erschien damals unwahrscheinlich. Aber die Entdeckung der Hox-Gene, die quer durch das Tierreich konserviert sind, zeigte: Homologe Gene sind oft auch nach Jahrmillionen getrennter Evolutionsgeschichte noch klar erkennbar. Und oft haben sie auch ihre Funktion beibehalten. Ein unverhoffter, weiterer Beleg für die gemeinsame Abstammung aller Lebewesen von gemeinsamen Vorfahren.

Evo-Devo eröffnete eine neue Perspektive auf evolutionäre Prozesse, die Forscher stellen seitdem neue Fragen nach dem Wie und Warum stammesgeschichtlicher Beziehungen. "EuroEvoDevo"-Teilnehmer berichten bei Twitter unter dem Hashtag #EEDUppsala über den Stand der Dinge in diesem Feld.

Ein beeindruckendes Beispiel für die Methode der Evo-Devo-Forscher, tief in der Stammesgeschichte nach Hinweisen auf konservierte Mechanismen zu suchen, besprechen die Heidelberger EMBL-Forscher Thibaut Brunet und Detlev Arendt in der aktuellen Ausgabe von Current Biology, und zwar anhand eines Nature-Papers von Oscar Tarazona et al. .

Knorpelartiges aus Pfeilschwanzkrebsen und Tintenfischen

Die Frage, der die Forscher aus Florida nachgegangen waren: Wo im Stammbaum des Lebens liegt der Ursprung des Wirbeltier-Skeletts, also Knorpel und Knochen? Und haben die Invertebraten vergleichbare Strukturen, die auf einen Ursprung des Merkmals in einem gemeinsamen Vorfahr verweisen?

Wirbeltiere haben ein internes (Endo-)Skelett, viele Invertebraten wie z.B. die Insekten dagegen ein Exoskelett. Das sind erst mal völlig verschiedene Strukturen unterschiedlichen Ursprungs, soweit ist die Sache klar.

Aber, so erklären Brunet und Arendt, schon Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich der Zoologe William Patten Tiere wie die Pfeilschwanzkrebse genauer angeschaut – insbesondere deren sogenannter Endosternit hat es ihm dabei angetan. Der Endosternit ist eine innere Stützstruktur, die unter den Kiemen liegt. Auch andere Protostomier, manche Skorpione etwa, haben solche Knorpel-ähnliche Stützen.

Die Daten von Tarazona und Kollegen legen nun nahe, dass eine Vorläuferstruktur der Knorpel tatsächlich schon im gemeinsamen Vorfahren von Wirbeltieren und Pfeilschwanzkrebsen, Skorpionen und anderen Wirbellosen vorhanden war. Konservierte Genexpression und -funktion verrät den offenbar gemeinsamen Ursprung.

Konservierte Schalter-Gene

Zwei Transkriptionsfaktoren, soxD und soxE, leiten in Wirbeltieren die Differenzierung in knorpelbildende Zellen (Chondrozyten) ein. Experimentelle Überexpression dieser Gene verwandelt mesenchymale Vorläuferzellen in Chondrozyten.

Und genau das gleiche Genpaar, offenbar mit ähnlicher Funktion, wurde nun auch im Pfeilschwanzkrebs nachgewiesen – dort sind soxE/D für die Differenzierung der Zellen verantwortlich, die das knorpelähnliche Endosternit-Gerüst bilden. Und auch im Tintenfisch finden sich knorpelartige Strukturen, und auch dort ist das soxE/D-Paar verantwortlich für die korrekte Differenzierung der Zellen.

Die Forscher nehmen allerdings an, dass die Vorläuferstruktur im gemeinsamen Vorfahren von Proto- und Deuterostomiern noch kein echter Knorpel war, sondern einfacher gestrickte Zellen, die eine kollagenhaltige, extrazelluläre Matrix herstellten. Die Weiterentwicklung zu Knorpel im eigentlichen Sinne ist demnach tatsächlich unabhängig voneinander, in paralleler Evolution, vonstatten gegangen.

Wieder einmal haben die Evo-Devo-Forscher gezeigt: Es gibt überraschende, "tiefe" Ursprünge von Entwicklungsmechanismen, die auch viele Milionen Jahre getrennter Evolution nicht gelöscht oder unkenntlich gemacht haben.

 

Hans Zauner

 

 



Letzte Änderungen: 07.09.2016