Editorial

Bakterien lernen schwimmen

(13.6.16) Die Temperatur reguliert den Phänotyp von Bakterien mit Hilfe regulatorischer RNA. Forscher haben sich das Phänomen zunutze gemacht und bewegungsunfähige E.-coli-Mutanten mittels Thermoschalter das Schwimmen gelehrt.
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Für die Laborjournal-Rubrik „Schöne Biologie“ kann der Chefredakteur aus dem Vollen schöpfen. Darum ist die Rubrik im Heft auch auf Monate hin ausgebucht. Und so erscheint dieses Beispiel aus der schönen, neuen (weil synthethischen) Biologie exklusiv online.

RNA-Thermometer (RNATs) und Riboschalter können Mikroorganismen neue Fähigkeiten verleihen, die sie temperaturabhängig ausüben. 1989 wurde das erste RNA-Thermometer beschrieben, 2002 der erste Riboschalter (Riboswitch). Es handelt sich dabei um regulatorische RNA-Elemente, die im 5’-untranslatierten Bereich einiger mRNAs sitzen. Sie können Liganden binden, daraufhin ihre Sekundärstruktur verändern und die Translation der mRNA verhindern. Allen bisher beschriebenen Molekülen ist gemein, dass sie aus einer Aptamerdomäne bestehen, die Liganden bindet. Dies beeinflusst die Faltung der so genannten Expressionsplattform, die auf verschiedenen Ebenen die Expression beeinflusst.

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Bastelsatz für RNA-Schalter

Riboschalter können die Transkription stoppen, die Translation unterdrücken und die RNA-Prozessierung beeinflussen. Ihre Funktion ist nicht abhängig von der Temperatur, sondern nur von der An- bzw. Abwesenheit des Liganden. RNA-Thermometer steuern dagegen lediglich den Start der Translation.

Diese Art der Genregulation basiert allein auf RNA-Molekülen und ist unabhängig von Proteinen. Johanna Roßmanith und Franz Narberhaus von der Ruhr Universität in Bochum konstruierten aus solchen RNA-Bausteinen ein Kontrollelement und testeten es an E. coli – um zu zeigen, dass sich diese regulatorischen RNA-Strukturen dank ihrer Modularität für die Synthese neuer Schalter eignen, die Transkription und Translation kontrollieren.

Riboschalter + RNA-Thermometer = Thermoschalter

Auf dem Papier erscheint das simpel. Die Forscher bastelten sich verschiedene Elemente aus Riboschaltern oder RNATs, die entweder transkriptionelle oder translationale Kontrolle über daran fusionierte Gene ausübten. Anschließend kombinierten sie Riboschalter und RNA-Thermometer zu einem neuen Thermoschalter. Dieser reagiert bei tiefen Temperaturen mit dem Liganden und hemmt dadurch die Transkription des daran gekoppelten Gens. Bei höheren Temperaturen indes löst sich der Ligand und die Transkription kann beginnen. Diese Thermoschalter seien „die ersten RNATs, die Kontrolle über die Transkription kontrollieren“, schreiben die Wissenschaftler (Nucleic Acids Research, doi 10.1093/nar/gkw/232).

Und was hat das nun mit schwimmenden Bakterien zu tun? Eigentlich können E. coli „schwimmen“, sich also im feuchten Medium mit Hilfe ihrer Flagellen fortbewegen. Dennoch konnten die Forscher diese Eigenschaft für einen hübsch plakativen in-vivo-Test nutzen. Sie verwendeten eine Mutante, die durch Deletion eines chemotaktischen Proteins namens cheZ ihre Motilität verloren hatten. Diese Organismen transformierten sie mit einem Konstrukt aus eben jenem cheZ-Gen, das sie mit ihrem Thermoschalter namens 4U RNAT fusioniert hatten. Diese Bakterien verhielten sich bei tieferen Temperaturen, noch bei 30°C, völlig bewegungslos. Bei 37° C aber kamen sie in Schwung und schwammen so flott durch einen halbfesten Agar wie die Wildtyp-Mikroben.

Schöne, neue Biologie!

Karin Hollricher



Letzte Änderungen: 27.07.2016