Editorial

Krebs: Ernährung, Lebensstil und Biomarker

 (30.3.16) Auf Platz 3 der meistzitierten Köpfe unserer aktuellen Publikationsanalyse "Ernährungsforschung" landet der DKFZ-Forscher Rudolf Kaaks. Mario Rembold hat sich mit ihm unterhalten – über Krebs, rotes Fleisch und die Grenzen von Fragebögen.
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Rudolf Kaaks
© DKFZ

Der Ernährungswissenschaftler Rudolf Kaaks stammt aus den Niederlanden und forscht heute am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. In epidemiologischen Studien sucht er nach Zusammenhängen zwischen Lifestyle-Faktoren und Volkskrankheiten wie Krebs und Schlaganfall. Außerdem setzt er auf metabolomische Analysen – weil man dabei objektive Biomarker misst.

Laborjournal: Herr Professor Kaaks, wie soll ich mich ernähren, damit mein Krebsrisiko möglichst gering ist?

Rudolf Kaaks: Das ist natürlich eine Kernfrage der Epidemiologie: Ist die Krebs-Inzidenz bei allen in der Bevölkerung gleich? Welche Rolle spielen Alter, Geschlecht, Geografie? Waren die Inzidenzraten an einem bestimmten Ort immer gleich oder haben sie sich innerhalb eines bestimmten Zeitraums verändert? Schon vor 50 Jahren hat man dabei riesige Unterschiede gesehen und kam zu dem Schluss, dass der Lebensstil wohl ein sehr wichtiger Faktor sein muss. Zum Beispiel ist Darmkrebs einer der häufigsten Krebstypen in industriell entwickelten Regionen wie Europa, Nordamerika und Japan. In Zentral- und Ostafrika hingegen ist Darmkrebs selten. Und es geht nicht um kleine Unterschiede, sondern in einigen Gegenden der Welt tritt Darmkrebs zehnfach weniger auf als bei uns. Dann stellt sich natürlich die Frage: Ist Ernährung nicht auch ein sehr wichtiger Faktor?

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Ich frage deshalb, weil unser Chefredakteur Ralf Neumann zur aktuellen Publikationsanalyse auch über Paper berichtet hat, die die Ernährungsforschung kritisch beleuchten. Demnach ist mittlerweile umstritten, wie gut man überhaupt durch Fragebögen erfassen kann, wie sich Menschen ernähren. Da komme es mitunter zu unplausiblen Angaben, und letztlich wären zuverlässige Ernährungsempfehlungen kaum möglich.

Kaaks: Ja, dieser Kritik stimme ich teilweise zu. Man sollte aber auch nicht alles vom Tisch fegen und sagen: ‚Da wissen wir gar nichts.’ Das ist natürlich auch nicht richtig!

Was weiß man denn, und wo sollte man vorsichtig sein mit Interpretationen?

Kaaks: Ausgehend von der Beobachtung, dass es international solch große Unterschiede im Krebsrisiko gab, hat man versucht, innerhalb von beschränkten geografischen Räumen Studien durchzuführen. Sagen wir mal, nur in Deutschland oder nur in den Vereinigten Staaten; um herauszufinden, wie sich die Personen, die Krebs bekommen, von denen unterscheiden, die nicht oder erst im späteren Alter erkranken. Das ist die Art von Forschung, bei der man auch Fragebögen einsetzt. Man versucht, auf einen Schlag über Fragebögen ein stetiges Bild zu bekommen, wie sich eine Person durchschnittlich über längere Zeit verhält.

Von Fall-Kontrollstudien zur prospektiven Kohorte

In der Vergangenheit hat man eigentlich die meisten Studien erst mal im klassischen Fall-Kontrollmodell durchgeführt. Das heißt, man hat Personen befragt, die schon an Krebs erkrankt waren und Vergleichspersonen ohne Krebserkrankung gesucht. Man wollte Ernährungsgewohnheiten vom Jahr vor der Erkrankung über Fragebögen erfassen. Da sind ursprünglich relativ starke Sachen rausgekommen. Beispielsweise hat man in vielen Studien immer wieder gesehen, dass die Krebspatienten einen deutlich geringeren Verzehr von Obst und Gemüse erwähnten. Daraus sind solche Kampagnen abgeleitet worden wie ‚Fünf mal am Tag Obst und Gemüse’, mit der Idee, dass dieses Verhalten das Krebsrisiko sehr stark senken könnte.

In einer neuen Generation von Studien, den prospektiven Kohortenstudien, befragt man tausende bis hunderttausende Personen, die ohne Erkrankung sind. Später sieht man dann, wer erkrankt und wer nicht – und erst dann greift man auf die ursprünglichen Daten zurück, um zu vergleichen. Dabei konnte man vieles, was früher in Fall-Kontrollstudien gezeigt worden war, nicht vollkommen reproduzieren. Die Obst- und Gemüseempfehlung ist ein Beispiel.

Wo Ernährung eine Rolle spielt: Wurst, Salami, Schinken, rotes Fleisch 

Das heißt allerdings nicht, dass überhaupt nichts gefunden wurde. Es sind immerhin noch eine handvoll Befunde dabei, die eigentlich weltweit immer wieder auftauchen. Ein höherer Verzehr von rotem Fleisch und Fleischprodukten wie Wurst, Salami und Schinken hängt statistisch gesehen mit einem erhöhten Krebsrisiko zusammen. Und übrigens auch mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das ist schon ein Hinweis, dass Ernährungsfaktoren doch eine Rolle spielen könnten.

Kann man daraus dann wirklich schließen, dass der Verzicht auf rotes Fleisch und Wurstprodukte das Krebsrisiko senkt?

Kaaks: Bei diesen ernährungsbezogenen Faktoren, die mit Krebs in Zusammenhang gebracht wurden, hat man das Problem des Confoundings, auch bei Assoziationen, die konsequent immer wieder gefunden wurden.

Confounding?

Kaaks: Damit meine ich die statistische Vermengung, das Verschmelzen verschiedener Faktoren. Also die Frage, ob zum Beispiel ein hoher Verzehr von rotem Fleisch irgendwie zusammenhängt mit weiteren ungünstigen Risikofaktoren im Hintergrund, die dann letztlich die eigentlichen Ursachen sind. Gerade beim roten Fleisch bin ich persönlich auch etwas skeptisch, weil ich nicht verstehe, wie das rote Fleisch zugleich das Risiko für Darmkrebs, Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen erhöhen kann, und über welche Mechanismen das läuft. Aber das sind einfach Beschränkungen der Epidemiologie.

Sie haben auch prospektive Kohortenstudien durchgeführt und dazu unter anderem 2014 ein Paper veröffentlicht (BMC Med. 2014 Apr 7;12:59). Dort haben Sie nach objektiveren Merkmalen wie dem Body Mass Index geschaut, und den Auswirkungen auf die Lebenserwartung.

Kaaks: Ja, das sind eigentlich Sachen, die mich viel mehr interessieren. Ich persönlich bin nicht so interessiert an diesen Ernährungsfragebögen. Das machen andere. Ich will gar nicht sagen, das sei unwichtig. Aber persönlich finde ich Faktoren wie Übergewicht aussagekräftiger. Das kann man in der Tat viel eindeutiger messen. Da hat man auch viel klarere Ideen zu den Mechanismen, die eine Rolle spielen könnten.

Es gibt also wirklich ein kausales Modell vom Übergewicht zum Krebs?

Kaaks: Übergewicht spielt bei bestimmten Krebstypen eindeutig eine Rolle. Wir wissen zum Beispiel, dass bei Übergewicht große Veränderungen im Hormon-Metabolismus auftreten. Bei Frauen wird das Risiko für Gebärmutterkrebs extrem durch Übergewicht bestimmt. Das ist im Vergleich eigentlich eine seltene Erkrankung bei wirklich schlanken Frauen. Wir wissen, dass das mit erhöhten Östrogenspiegeln einhergeht, mit erhöhten Insulinwerten im Blut und noch einigen weiteren Faktoren dieser Art. Da kennt man also schon einige Mechanismen. Und da kann man auch leichter zu Empfehlungen für Krebsprävention kommen.

Könnte der Faktor ‚Übergewicht’ womöglich die Korrelation mit dem Fleischkonsum erklären?

Kaaks: Die Fleischesser sind im Schnitt tatsächlich etwas überwichtiger. Man versucht das alles wegzurechnen und adjustiert natürlich die Risikomodelle für Übergewicht. Ob das den Confounding-Effekt völlig rausnimmt, ist die Frage. Aber schon die Menge an Kalorien spielt eine Rolle bei der Körperverfettung. Das hat mit der Ernährung und dem Mangel an Bewegung zu tun.

Vorteil der Biomarker: Objektive Messungen

Deshalb halte ich mehr von Studien mit Biomarkern, die auch etwas über den metabolischen Zustand einer Person aussagen. Zum Beispiel haben wir jetzt erst eine explorative Metabolomics-Studie gemacht, in der wir nach neuen Markern suchen (BMC Med. 2016 Jan 28;14(1):13). Davon halte ich mehr, weil solche Messungen natürlich objektivierbarer sind. Und weil sie auch in der Tat mit Biologie und mechanistischem Denken verknüpft werden können.

Für diese Studie haben Sie auf eine Kohorte von 25.000 Personen zugegriffen, die zu einem Zeitpunkt in die Datenbank aufgenommen wurden, als noch alle Probanden gesund waren.

Kaaks: Ja. Für die Personen, die später erkrankt sind, haben wir dann die Blutproben aus der Bank gezogen.

Da haben Sie dann differenziert zwischen Darm-, Brust- und Prostatakrebs und deren Plasmawerte mit denen von gesund gebliebenen aus der Kohorte verglichen.

Kaaks: Genau. Wir haben die Daten aber nicht mit 25.000 Kohortenteilnehmern verglichen, das wäre zu teuer gewesen und statistisch auch nicht notwendig. Stattdessen haben wir randomisiert eine kleinere Subkohorte als Vergleichsgruppe gezogen, um die Krebsfälle damit vergleichen zu können. Das wichtige an dem Design ist, dass hier die Blutproben schon Jahre im Vorfeld gesammelt wurden, bevor man überhaupt wissen konnte, dass jemand eines Tages vielleicht an Krebs erkranken könnte. Insofern kann man sagen, dass diese Vergleiche blind sind. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass da große Verzerrungen aufgetreten sind.

Weil diese 25.000 Personen alle unter denselben Bedingungen ausgewählt worden sind?

Kaaks: Ja. Würde man eine ähnliche Studie mit Probanden in der Klinik machen, die beispielsweise schon seit einigen Wochen Darmkrebs haben, dann gibt es viel mehr Probleme, geeignete Kontrollpersonen zu finden, das ganze vergleichbar zu machen und zu standardisieren. Solche Studien kann man eigentlich nur prospektiv durchführen. Unsere Kohorte in Heidelberg ist übrigens Teil eines viel größeren Projekts, das in ganz Europa läuft. Es nennt sich EPIC, für European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition. In Deutschland gibt es davon zwei Kohorten mit insgesamt 50.000 Teilnehmern. In ganz Europa sind es 500.000.

Sie haben dann gesehen, dass bestimmte Lipide mit der Wahrscheinlichkeit in Zusammenhang stehen, später an Krebs zu erkranken.

Kaaks: Es gab Unterschiede im Blut für bestimmte Marker. Das waren die 18:0-Phosphatidyllipide. Die waren niedriger konzentriert im Vergleich zu Personen, die später im gleichen Alter nicht erkrankt sind.

Im Paper nennen Sie Lysophosphatidylcholin als auffälligen Marker. Kann ich daran voraussagen, ob jemand irgendwann einmal Krebs bekommen wird?

Kaaks: Die Erhöhung des Risikos ist nicht ganz so stark, um das in der Praxis prognostisch nutzen zu können. Das relative Risiko war weniger als zweifach erhöht. Man kann damit also nicht wirklich vorbeugende Screenings durchführen, denn dafür sind die Assoziationen viel zu gering. Wir haben die Studie vielmehr gemacht, um zu sehen, welche metabolischen Unterschiede man findet, und wir wollten hypothesenfrei rangehen. Es ist eine explorative Studie.

Kann ich denn meine Lysophosphatidylcholin-Konzentration durch den Lebenswandel beeinflussen?

Kaaks: Das ist eine Frage, die wir uns selbst natürlich auch schon gestellt haben. Wir wissen es nicht genau. Sicher hat das nicht nur allein mit dem Verzehr dieser Fettsäuren zu tun, weil ein Teil dieser Fettsäuren auch im Körper gebildet wird. Es gibt leider keine 1:1-Korrelation mit dem Konsum. Sonst wäre das natürlich eine schöne Schlussfolgerung unserer Studie gewesen. Wir brauchen also noch Folgeuntersuchungen. Aus vorangegangenen Studien kann man aber drei Empfehlungen für den Lebensstil ableiten, um das eigene Risiko für Krebs und kardiovaskuläre Erkrankungen zu verringern: Nicht rauchen, Übergewicht vermeiden und körperlich aktiv bleiben.

 

Interview: Mario Rembold



Letzte Änderungen: 10.05.2016