Editorial

Tierschutz in der Forschung: Zu lasch oder zu streng?

(16.3.16) Gutachten zu angeblichen Mängeln in Tierversuchsgesetzen, oder: die Suche nach einem Hebel, um die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland einzuschränken. Ein Kommentar von Brynja Adam-Radmanic.
editorial_bild

© efmukel / Fotolia

Ein von der grünen Bundestagsfraktion in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten sorgte vor ein paar Tagen für Rauschen im Blätterwald. "Tierschutz ungenügend umgesetzt", verkündete die Badische Zeitung. "Tiere müssen in Deutschland unnötig leiden", schrieb das Hamburger Abendblatt. "Tierschutzgesetz soll gegen EU-Richtlinie verstoßen", hieß es in der Welt.

Anders als die Berichte glauben machen wollen, ist dieser Vorwurf aber weder neu, noch kommt er von einer neutralen, rein rechtswissenschaftlich argumentierenden Seite. Seit der Novellierung des Tierschutzgesetzes 2012, bei der auch die Tierversuchsrichtlinie der EU von 2010 eingearbeitet wurde, lassen Tierschutzorganisationen keine Gelegenheit aus, auf die in ihren Augen viel zu lasche Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht hinzuweisen.

Vorwurf und Gegenvorwurf

Der Vorwurf ist damit genauso alt wie der Gegenvorwurf aus der Wissenschaft, Deutschland hätte die EU-Vorgaben in viel strengere nationale Gesetze gegossen, als eigentlich notwendig gewesen wäre. René Tolba etwa, Präsident der Gesellschaft für Versuchstierkunde, hat sich gerade im vorletzten Laborjournal-Heft verärgert geäußert, Deutschland habe die Richtlinie 120-prozentig umgesetzt und den deutschen Forschern damit für ihre Tierversuchsanträge größere Hürden gesetzt, als ihre Kollegen andernorts in der EU nehmen müssen.

Editorial

Lässt sich eindeutig klären, welche Seite recht hat? Nein, natürlich nicht. Denn hinter den konträren Blickwinkeln steckt die große, moralische Grundsatzdebatte um das Verhältnis von Forschungsfreiheit und Tierschutz.

Um es noch deutlicher zu sagen: Wenn eine politische Partei in dieser Frage ein Rechtsgutachten anfordert, dann ist das, was dabei herauskommt, sicher kein neutrales Stück Information. Es ist vor allem eine Positionierung zur Frage, welcher dieser Werte den anderen trumpfen sollte, wenn die beiden in Konflikt geraten.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Der Autor dieses Rechtsgutachtens, Christoph Maisack, hat sicherlich eine fundierte und kenntnisreiche Position zum Thema vorgelegt. Er hat langjährige Berufserfahrung als Richter und ist zudem ein hervorragender Kenner der Materie. Er hat zu einer Frage des Tierschutzrechts promoviert und ist Mitautor eines bekannten Gesetzeskommentars zum Tierschutzrecht, das inzwischen in dritter Auflage erschienen ist.

Keine neutrale Perspektive

Aber Christoph Maisacks Perspektive ist sicherlich eins nicht: politisch neutral. 20 Jahre lang hat er sich neben seiner juristischen Tätigkeit ehrenamtlich im Tierschutz engagiert und sich dabei einen Namen gemacht. Er tritt schon lange als Sachverständiger für die Grünen auf, wenn es um Verschärfung des Tierschutzes geht. Und seit dem Antritt der grünen Landesregierung in Baden-Würtemberg ist er von seinem Richterposten am Amtsgericht in Bad Säckingen freigestellt, um hauptamtlich als stellvertretender Tierschutzbeauftragter des Landes zu arbeiten.

Er kämpft für die Verbesserung in der Nutztierhaltung, gegen Wildtierhaltung in Zirkussen und Delfinhaltung in Zoos. Und in seinem Rechtsgutachten zur angeblich mangelhaften Umsetzung der EU-Richtlinie geht es in allen Punkten darum, die Auflagen, Wartezeiten und Zahl der Formulare für die Forscher noch zu vergrößern.

Die Hauptforderung seines Rechtsgutachtens aber ist, dass den Behörden, die Tierversuchsanträge genehmigen, eigentlich mehr Entscheidungsspielraum eingeräumt werden müsse. Laut Gesetz muss die Behörde die ethische Vertretbarkeit von Tierversuchen prüfen. Aber wie soll sie das machen, wenn sie nur die formalen Voraussetzungen prüfen darf?

Sollen Behörden ethische Bewertungen vornehmen?

Laut Maisack müsse ihr daher erlaubt werden, die Angaben der antragstellenden Forscher zum potenziellen Nutzen seiner Forschungsergebnisse auch eigenständig ethisch bewerten dürfen. Das ergebe sich so auch aus der EU-Richtlinie.

Kann man das so sehen? Offensichtlich.

Aber wer um das ganze Bild bemüht ist, muss sich eben anschauen, was genau damit gemeint ist und wie viel Politik darin steckt. Die Forderung suggeriert ja, es gäbe heute gar keine Prüfung der ethischen Vertretbarkeit. Das ist natürlich Quatsch, aber so sehen das viele Tierschützer. Und Vorgänge in Bremen scheinen sie darin zu bestätigen.

Dort verweigerte die Behörde dem Hirnforscher Andreas Kreiter nämlich die Genehmigung für seine Affenversuche, mit Verweis auf mangelnde ethische Vertretbarkeit. Aber sie scheiterte damit vor Gericht und musste die Experimente schließlich zulassen.

Seitdem ist aus Sicht vieler Tierschützer klar, dass "ethische Vertretbarkeit" nur ein Papiertiger ist. In Wahrheit, so klagen sie, könnten die Behörden Tierversuche nicht verhindern – auch wenn sie diese moralisch noch so abstoßend finden.

Aber wollen Tierschützer wirklich Behördenvertretern mehr Freiheit verschaffen, nach ihrem eigenen Bauchgefühl zu entscheiden? Bei gemäßigten Tierschützern sollten sich da Zweifel regen. Denn die Frage ist ja: Würden wir bei irgendeinem anderen Thema dafür kämpfen, dass Beamte einen größeren Spielraum bekommen, um bei ihren Entscheidungen auf moralische Empörung zu hören?

Nein, natürlich nicht.

Stellen sie eigene Anträgen im Rathaus, wünschen sich Tierschützer sicherlich, dass die Entscheidung aufgrund derjenigen Kriterien getroffen wird, die im Gesetz stehen. Das heißt ja nicht, dass dem keine Moral zugrundeliegt. Aber es muss eben eine allgemeingültige, demokratisch beschlossene Moral sein und keine individuelle Moral eines einzelnen Beamten.

Juristisch fundierter kann man diese Argumentation in Wolfgang Löwers Einführung in die aktuelle rechtliche Lage bei Tierversuchen nachlesen. In allgemeinverständlicher Form ist seine Einschätzung auch in die DFG-Broschüre über tierexperimentelle Forschung eingeflossen, die Ende Februar parallel dazu erschienen ist. Wenig überraschend vertritt der Professor des Öffentlichen und Wissenschaftsrechts der Uni Bonn grundsätzlich andere Positionen als Maisack.

 

Brynja Adam-Radmanic



Letzte Änderungen: 25.04.2016