Flüssigbiopsie: Ein neuer Hoffnungsträger in der Krebsdiagnostik

Von Natalie Reimers und Klaus Pantel, Hamburg


Editorial

(07.07.2020) Die Flüssigbiopsie ist längst nicht mehr nur ein Thema für die Grundlagenforschung. Weltweit arbeiten Forscher intensiv daran, sie in die klinische Anwendung zu integrieren. Auch Industriefirmen haben Projekte initiiert oder bieten bereits Produkte an. Besonders groß ist ihr Potenzial in der personalisierten Krebsdiagnostik.

Als Informationsquelle für eine Krebserkrankung hat Blut das Potenzial, die klinische Praxis in der Onkologie zu verändern und zugleich wichtige Informationen für die Behandlungsentscheidung zu liefern. Der Begriff Liquid Biopsy oder Flüssigbiopsie wurde 2010 von Catherine Alix-Panabieres vom Montpellier University Hospital und Klaus Pantel vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) etabliert. Unter Liquid Biopsy ist nicht nur die Untersuchung zirkulierender Tumorzellen zu verstehen – die Flüssigbiopsie schließt eine Vielzahl von Biomarkern ein, die Tumoren oder Metastasen ins Blut abgeben. Zu diesen tumorabgeleiteten Molekülen oder Partikeln zählen zirkulierende Tumorzellen (CTCs), zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA) und andere zirkulierende Nukleinsäuren (insbesondere microRNAs), extrazelluläre Vesikel (Exosomen) sowie vom Tumor gebildete Blutplättchen.

In und an den Exosomen und Blutplättchen befinden sich Tumor-DNA, -Proteine und -miRNA. Wie der Tumor diese bildet, ob sie nur Zerfallsprodukte sind und welche biologische Rolle sie im Tumorgeschehen spielen, muss weiter erforscht werden. Viele dieser Moleküle und Zellprodukte werden auch von gesunden Zellen synthetisiert oder können von nicht tumorbedingten Entzündungsreaktionen herrühren. Die größte technische Herausforderung besteht darin, die aus dem Tumor stammenden Analyte in Gegenwart eines enorm hohen Hintergrunds gezielt zu unterscheiden.

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Foto: AdobeStock/ysbrandcosijn; Montage: LJ

Editorial

Die Metastasierung über die Blutbahnen startet immer durch eine lokale Invasion und Intravasation, bei der Tumorzellen aus dem Gewebe in ein Blutgefäß eintreten. Überlebt die Tumorzelle diesen Prozess, wird sie im Blut zu einer CTC. Die meisten Tumorzellen weisen nach unseren aktuellen Kenntnissen, nur eine kurze Transit-Zeit als CTCs im Blut auf. Ihre geringe Konzentration ist daher eine große technische Herausforderung für Liquid-Biopsy-Untersuchungen. Für den Nachweis mit heute verfügbaren Methoden und Geräten sind ein bis zehn CTCs pro zehn Milliliter Blut notwendig. Bei Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen sind CTC-Mengen in dieser Größenordnung durchaus vorhanden und liefern zuverlässige Informationen. Krebspatienten im Frühstadium zeigen hingegen in der Regel eine extrem geringe Konzentration an CTCs.

Ein weiteres Problem ist die Definition von Referenzmaterial für die Liquid Biopsy. Derzeit sind Gewebebiopsien noch immer der Goldstandard, ihre Untersuchung hat aber Grenzen. So ist ein Tumor genetisch sehr heterogen. Dies kann zur Folge haben, dass bei einer kleinen bioptischen Gewebeentnahme besonders aggressive Zellen des Tumors gar nicht entdeckt werden, die vielleicht nur in einer bestimmten Region wachsen. Ein genetischer Vergleich von Tumorzellen einer Gewebebiopsie und den CTCs des Tumors kann somit zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.

In den letzten zehn Jahren wurden durch intensive Forschung verschiedene Kits und Geräte zur Detektion von CTCs und ctDNA im Blut von Patienten entwickelt. Einige davon werden bereits in der Klinik eingesetzt und sind von der amerikanischen Zulassungsbehörde (FDA) zugelassen. Hierzu zählen zum Beispiel der cobas-EGFR-Mutationstest v2 zum Nachweis von EGFR-Mutationen (L858R, exon 19 deletion and T790M), Tests auf ctDNAs des Nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinoms (NSCLC) sowie die CellSearch-basierte CTC-Bestimmung.

Derzeit basieren die meisten CTC-Nachweise auf Epithelmarkern, die häufig mit Antikörpern, etwa gegen EpCAM und Zytokeratine (CK8, CK18, CK19), detektiert werden. Diese Nachweismethoden setzen voraus, dass CTCs die Epithelmarker des Ursprungsorgans noch in Teilen aufweisen. Dies hat zur Konsequenz, dass Tumorzellen, die im Laufe der Tumorentstehung und Metastasierung ihre epithelialen Marker verloren haben, mit diesen Methoden nicht gefunden werden.

Der Nachweis nicht-epithelialer CTCs und die eindeutige Abgrenzung von anderen Blutzellen ist eine große Herausforderung für die CTC-Analyse. Der aktuelle Standard für die CTC-Detektion ist der von der FDA zugelassene CellSearch-Assay. Die CTC-Anreicherung basiert hier auf einer positiven Selektion mithilfe ferromagnetischer Kügelchen (Beads), die mit EpCAM-Antikörpern beschichtet sind, und der anschließenden Färbung mit DAPI, Anti-CD45 sowie Anti-Zytokeratin. CTCs sind für die CellSearch-Untersuchung per Definition Nukleinsäure-positive, CD45-negative und Zytokeratin-positive Zellen im Blut. Man weiß inzwischen, dass mit diesen Kriterien morphologisch sehr unterschiedliche Zellen als CTCs nachgewiesen werden können. Es wäre daher interessant, die Bedeutung der morphologischen Unterschiede für das Krebsgeschehen mithilfe der Künstlichen Intelligenz (KI) zu erforschen.

Bisher wurden die meisten internationalen, klinisch validierten CTC-Studien bei Patienten mit metastasierendem Stadium von Brust- oder Prostatakrebs durchgeführt. Zwar existieren insgesamt mehr Studien zu Karzinomen und Melanomen. Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass CTCs auch bei Hirntumoren (Glioblastomen) vorkommen. Ungeachtet der Blut-Hirn-Schranke gelangen die ­CTCs ins periphere Blut und können eventuell Auskunft über diese schwer zugänglichen Tumore geben.

Trotz vieler Studien und intensiver Forschung ist die Lücke zwischen den Forschungsergebnissen und dem Einsatz von Liquid-Biopsy-Methoden in der Klinik noch immer groß. Um sie mit vereinten Kräften zu schließen, wurde 2015 das EU/IMI-Konsortium „Cancer ID“ von der EU bewilligt und fünf Jahre lang gefördert. Das Konsortium unter Leitung von Thomas Schlange (Bayer) und Klaus Pantel vereinte vierzig Partner aus Hochschulen, Industrie und Non-Profit-Organisationen. Die erfolgreiche Arbeit des Konsortiums wird seit Ende der EU-Förderung 2019 durch die European Liquid Biopsy Society (ELBS) weitergeführt und von Pantel geleitet (www.elbs.eu).

Die Liquid Biopsy kann in Klinik und personalisierter Medizin für verschiedene Zwecke eingesetzt werden. Die erfolgreiche Behandlung einer Krebserkrankung ist im besonderen Maß von der frühen Diagnose abhängig. Liquid-Biopsy-Assays werden derzeit für die Früherkennung von Krebs validiert. Dies soll die krebsbedingte Mortalität reduzieren, da kleine Tumore oft kurativ behandelt werden können.

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Foto: Pixabay; Montage: LJ

Trotz bemerkenswerter Fortschritte bleibt die Flüssigbiopsie zur Erkennung von Krebsfrühstadien eine Herausforderung. In diesem Stadium ist nicht nur die Konzentration an CTCs im Blut gering. auch andere Tumormoleküle und Partikel sind darin nur stark verdünnt vorhanden. Deshalb werden verschiedene Liquid-Biopsy-Techniken kombiniert und gleichzeitig angewendet. So entwickelten etwa Forscher des Johns Hopkins Kimmel Cancer Center den Bluttest „CancerSEEK“. Dieser komplexe Test vereint die Analyse von acht löslichen Tumor-Biomarkern (einschließlich Standard-Tumormarkern wie CEA) mit der ctDNA-Analyse von tumorspezifischen Mutationen in 16 Genen. CancerSEEK soll eine Gesamtmedian-Sensitivität von 70 Prozent und eine Spezifität von mehr als 99 Prozent erreichen. Es sind aber auch signifikante Unterschiede in der Sensitivität zwischen den analysierten Tumorarten zu beobachten, zum Beispiel 98 Prozent bei Eierstockkrebs, 60 Prozent bei Lungenkrebs und 33 Prozent bei Brustkrebs.

Für die Entwicklung von Liquid-Biopsy-Assays zur Früherkennung sind prospektive Studien mit großen Patientenzahlen notwendig. Am UKE in Hamburg wird aktuell die „Hamburg City Health Study“ durchgeführt, in der zum Beispiel Blut, Plasma, Serum und Urin von 45.000 gesunden Personen zwischen 45 und 74 Jahren über mehrere Jahre gesammelt wird (http://hchs.hamburg/).

Die Liquid Biopsy wird auch für die Prognose von Therapieantworten und Rezidiven eingesetzt. Studien belegen, dass sowohl CTCs wie auch ctDNA-Analysen bei verschiedenen Tumorerkrankungen zusätzliche, unabhängige Informationen liefern. Für die Prognose von Brustkrebs, aber auch anderer Krebsformen, wird das TNM-Staging-System verwendet. Die Krebserkrankung wird anhand ihrer T-, N- und M-Stadien klassifiziert: T gibt die Größe des Tumors an und wie weit er sich in der Brust und den umliegenden Organen ausgeweitet hat. N steht für die Ausbreitung in Lymphknoten und M definiert Metastasen, beziehungsweise wie weit sich diese auf entfernte Organe verteilt haben.

Besonders die CTC-Zahl kann bei der Erstdiagnose das TNM-Staging bei Brustkrebs verfeinern. Auch im weiteren Verlauf der Therapieüberwachung kann die regelmäßige Messung der CTCs (oder ctDNA) ein Therapieversagen frühzeitig feststellen. Liquid Biopsy ermöglicht zudem das Echtzeit-Monitoring von Therapieantworten. In einer Meta-Analyse an 17 europäischen Zentren mit mehr als 2.000 Brustkrebspatientinnen, die Chemotherapie und Hormontherapie erhielten, wurden die CTC-Zahlen zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Therapie bestimmt. Der Nachweis von CTCs zu allen untersuchten Zeitpunkten korrelierte mit dem progressionsfreien Überleben. Hingegen zeigte die frühzeitige Bestimmung der Tumormarker CA115 und CEA keinen oder einen sehr schwachen Zusammenhang mit dem weiteren Verlauf der Erkrankung – obwohl diese Marker zur klinischen Routine gehören.

Auch beim Prostatakarzinom weist das Absinken der CTCs während der Therapie auf ein Therapieversagen hin. Die CTC-Zahl verrät allerdings (noch) nicht, welche Therapie stattdessen wirksam wäre. Hier könnten in Zukunft molekulare Analysen der CTCs und ctDNA hilfreich sein. Die Untersuchung von CTCs bietet den Vorteil, sowohl Tumor-RNA, -DNA und -Proteine analysieren zu können. Es gibt verschiedene therapeutische Ziele, die auf CTCs nachgewiesen werden können. Im Zusammenhang mit den jüngsten Erfolgen bei der antikörpervermittelten Blockade von Immunkontrollmolekülen könnte die Expression des Transmembranproteins Programmed Cell Death Protein Ligand (PD-L1) auf CTCs als potenzieller prädiktiver Marker von Interesse sein. Auch kann die Expression der Androgenrezeptor-Variante 7 in CTCs die Resistenz gegen die Anti-Androgen-Therapie bei Prostatakrebs vorhersagen, während Mutationen im Östrogenrezeptor-Gen (ESR1) Informationen über die Resistenz gegen die Hormontherapie bei Brustkrebs liefern könnten. Weitere therapeutische Ziele, die bei Krebspatienten auf CTCs nachgewiesen werden können, sind der Östrogenrezeptor und das Onkogen HER-2.

Eine weitere Hürde für den Einsatz von Liquid-Biopsy-Assays in der Klinik sind sozioökonomische Faktoren. Gerade Sequenzierungs-Techniken zur Untersuchung von ctDNA sind sehr kostenintensiv. Für die Kosten-Nutzen-Bewertung der neuen Liquid-Biopsy-Technologien müssen aber noch weitere Daten erhoben werden. Eine wichtige Rolle für die Patienten spielen die Verlängerung der Lebenszeit und der Gewinn von Lebensqualität. Zur aktuellen klinischen Routine gehören bildgebende Verfahren und/oder Gewebebiopsien. Für die Patienten bedeutet dies immer Fahrten zu einer Klinik oder Spezialambulanz. Die Entnahme einer Gewebebiopsie birgt zusätzliche Risiken wie Blutungen oder die Verletzung von umgebenem Gewebe. Zudem ist eine Biopsie je nach Lage des Tumors, etwa im Gehirn, nicht immer möglich. Eine einfache Blutentnahme beim Hausarzt für eine Liquid-Biopsy-Untersuchung würde die Lebensqualität der Patienten deutlich verbessern. Sie ist daher eine Schlüsselvision für zukünftige Liquid-Biopsy-Entwicklungen.

Die Liquid Biopsy beinhaltet eine Vielzahl verschiedener Assays, die es erlauben, Informationen zur Diagnose, Prognose und Therapieentscheidung bei Tumorerkrankungen zu erlangen. Verschiedene Ansätze wie die CTC- oder ctDNA-Analyse können komplementäre Informationen liefern. Neue Liquid-Biopsy-Biomarker, wie zirkulierende mikroRNAs, extrazelluläre Vesikel und Tumor-assoziierte Blutplättchen, werden entwickelt. Eine Kombination dieser Biomarker könnte mithilfe neuer KI-Methoden die Spezifität und Sensitivität der Flüssigbiopsie erhöhen. Aktuell müssen noch unterschiedliche biologische, technische und sozioökonomische Herausforderungen gelöst werden, damit die Liquid Biopsy über klinische Studien hinaus auch eine breite Anwendung in der Klinik finden kann. Die bisherigen Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass sie sich in naher Zukunft zu einem wichtigen Teil der personalisierten Medizin entwickeln könnte.

Literatur

Riethdorf et al., Prognostic Impact of Circulating Tumor Cells for Breast Cancer Patients Treated in the Neoadjuvant „Geparquattro“ Trial. Clin. Cancer Res. 23: 5384-93.

Bidard et al.,Circulating Tumor Cells in Breast Cancer Patients Treated by Neoadjuvant Chemotherapy: A Meta-analysis. J. Natl. Cancer Inst. 110(6): 560-67.

Keller L, Pantel K. Unravelling tumour heterogeneity by single-cell profiling of circulating tumour cells. Nat. Rev. Cancer 19: 553-67.

Pantel K, Alix-Panabieres C. Liquid biopsy and minimal residual disease - latest advances and implications for cure. Nat. Rev. Clin. Oncol. 16: 409-24.

Bidard et al., Clinical validity of circulating tumour cells in patients with metastatic breast cancer: a pooled analysis of individual patient data. Lancet Oncol. 15: 406-14.



Zu den Autoren

Klaus Pantel ist Leiter des Instituts für Tumorbiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Er ist einer der Vorreiter der Flüssigbiopsie und leitet die im Mai gegründete European Liquid Biopsy Society (ELBS). Ziel des Konsortiums ist es, die Flüssigbiopsie möglichst schnell von der Forschung in die klinische Praxis zu überführen.

Natalie Reimers ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Tumorbiologie des UKE und Projektmanagerin der ELBS.


Letzte Änderungen: 07.07.2020