Kurz vor dem Ziel

(25.07.2019) Mit den OMPTAs hätte es in wenigen Jahren eine ganz neue Klasse von Antibiotika gegeben – hätte. Denn Polyphor musste ihre laufenden Phase-3-Studien abbrechen.
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Editorial

„Suspended“ prangt als Statusmeldung aktuell über zwei Phase-3-Studien der schweizerischen Polyphor AG. „Vorüber­gehend eingestellt“ also. Seit dem 17.7. aber ist klar, die Studien werden nicht fortgeführt. „Polyphor gab heute bekannt, dass sie beschlossen hat, die Phase-III-Studien PRISM MDR und UDR mit intravenösem Murepavadin für die im Krankenhaus erworbene (HABP)/mit Beatmung verbun­dene bakterielle Lungenentzündung (VABP) (…) abzubrechen.“ Grund für den Abbruch sind unerwartet hohe Kreatinin-Konzentrationen im Serum der Studienteilnehmer, die ein Indiz für akutes Nierenversagen sind.

Ein (vorerst) bitteres Ende für einen bis dahin hoffnungsvollen Wirkstoff-Kandidaten. Denn Murepavadin ist der erste und am weitesten entwickelte Vertreter der sogenannten „Outer Membrane Protein Targeting Antibiotics“ oder kurz OMPTAs. „Unsere OMPTAs sind möglicherweise die erste neue Klasse von Antibiotika gegen gramnegative Bakterien seit 50 Jahren,“ verkündet Daniel Obrecht, Mitbegründer von Polyphor und heutiger Chief Scientific Officer, stolz in einer Pressemitteilung. Noch im letzten Jahr war er überzeugt, „dass ihr neuartiger Wirkmechanismus, der auf die äußeren Membranproteine gramnegativer Bakterien abzielt, das Potenzial bietet, hochwirksame Antibiotika zu entwickeln, gegen die Krankheitserreger nur langsam Resistenzen aufbauen können“.

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Ringförmige Nachahmer

Obrecht hatte Polyphor 1996 zusammen mit seinem Bruder Jean-Pierre, der bis 2015 auch Geschäftsführer war und sich nun in den Vorstand zurückgezogen hat, in Zürich gegrün­det. Zu Beginn hielt man sich mit Auftragsarbeiten für Roche, Synthélabo (jetzt Sanofi-Aventis) und Wella über Wasser. Gleichzeitig begann man gemeinsam mit Wissen­schaftlern der Uni Zürich an einer neuartigen Drug-Discovery-Plattform zu arbeiten. Deren Herzstück sind sogenannte Makrocyclen, also recht kleine (0,7 bis 2 kDa), ringförmige chemische Verbindungen. Diese ahmen bestimmte Protein-Epitope (wie Beta-Haarnadel oder Alpha-Helix) nach, die wichtig für Protein-Protein-Interaktionen sind. Daher spricht man bei den daraus resultierenden Wirkstoffen auch von „Protein Epitope Mimetics“ (PEM). Murepavadin ist ein solches PEM-Antibiotikum.

Inspirieren ließen sich die Polyphor-Chemiker für den neuen OMPTA vom Antimikrobiellen Peptid Protegrin I (PG-1), das in Schweinen vorkommt. Dieses beta-Faltblatt-Peptid bohrt sich dank seiner Sekundärstruktur in die bakterielle Membran und tötet so verschiedene gramnegative Pathogene ab. Allerdings hat es recht ungünstige pharmakologische Eigenschaften. Polyphor entwickelte daher mit Tricks der kombinatorischen Chemie am Ende ein 14-Aminosäure-langes synthetisches, zyklisches und Peptid-ähnliches Molekül mit verschärften antimikrobiellen Eigenschaften. Denn Murepavadin hat es speziell auf Pseudomonas aeruginosa abgesehen, einen der „gefürchteten Krankenhauskeime“. Das Antibiotikum bindet das Transporter-Protein LptD, welches Lipopolysaccharide (LPS) vom Periplasma in die äußere Bakterien-Membran transportiert. Ohne LPS in der Membran ist Pseudomonas auf verlorenem Posten.

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Optimierte Zulassung

Erste klinische Tests mit dem OMPTA sahen in der Tat gut aus. Die letzte abgeschlossene Phase-2-Studie überzeugte mit einer klinischen Heilungsrate von 91 % und „akzeptabler“ Verträglichkeit. Allerdings hatten an dieser Studie nur 12 Patienten teilgenommen. Dennoch war man sich mit der US-Zulassungsbehörde FDA schnell einig, dass das neuartige Antibiotikum so schnell wie möglich auf den Markt kommen soll: Das Design für eine der Phase-3-Studien wurde mithilfe der Behörde für eine schnellere Zulassung optimiert, gleichzeitig gab sich die FDA mit einer geringeren Teilnehmerzahl als üblich zufrieden.

Nun also der Abbruch. Bereits im Mai hatte Polyphor die Studie freiwillig unterbrochen. Bei mehr als der Hälfte der behandelten Patienten (56 %) hatte man Hinweise auf einen Nierenschaden. Die Zahl liegt etwas über der geschätzten Inzidenzrate von 25 – 40%. Nicht selten schlagen sich Antibiotika-Therapien auf die Nieren nieder. Beta-Laktam-Antibiotika, Vancomycin oder Ciprofloxacin können beispielsweise eine interstitielle Nephritis auslösen, Gentamicin proximale Tubulusschäden, die allerdings in den meisten Fällen reversibel sind.

Natürlich gibt Polyphor auch nach den niederschmetternden Nachrichten Murepavadin noch nicht auf. Schließlich geht man von einer Absatzchance („market opportunity“) von zwei bis drei Milliarden US-Dollar weltweit aus. „Wir versuchen besser zu verstehen, was die Gründe für diese Vorfälle sind, und wir versuchen auch, Ideen zu entwickeln, wie wir diese Probleme in Zukunft angehen. Denn wir sind weiterhin davon überzeugt, dass Murepavadin ein wertvolles Medikament ist, das Patienten helfen kann, Pseudomonas-Infektionen zu überstehen“, sagte Frank Weber, Chief Medical Officer, in einer Pressemitteilung zur vorübergehenden Einstellung der Studien im Mai. Man habe bereits einige Optionen identifiziert, die das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Murepavadin zur Behandlung von HABP/VABP verbessern könnten.

Außerdem steht in Allschwil noch die inhalierte Murepavadin-Variante auf dem derzeit noch präklinischen Programm. Damit will man chronische Pseudomonas-Infektionen behandeln, die zum Beispiel häufig bei Patienten mit Mukoviszidose auftreten.

Weitere OMPTAs im Kommen

Ebenfalls noch in der präklinischen Phase stecken weitere OMPTAs. Im Frühjahr konnte sich Polyphor ein paar Millionen von der CARB-Initiative sichern, um POL7306 in die klinische Phase zu bringen (Laborjournal berichtete). Dieses Antibiotikum erwies sich als wirksam gegen besonders widerstandsfähige Pathogene wie Klebsiella pneumoniae, Acinetobacter baumannii und Enterobacter-Spezies.

Wie Laborjournal ebenfalls zu Ohren gekommen ist, lässt sich Polyphor für mögliche Antibiotika nicht nur von Schweinen inspirieren, sondern auch von baumbewohnenden Wanzen. John Robinson von der Uni Zürich, langjähriger Partner von Polyphor, verriet uns im Dezember letzten Jahres, dass die Firma „eifrig daran arbeitet“, potentielle klinische Kandidaten zu synthetisieren, die das von ihm charakterisierte Antimikrobielle Wanzen-Peptid Thanatin zum Vorbild haben.

Auch eine immun-onkologische Substanz ist noch im Rennen. Balixafortide (POL6326) ist derzeit in Phase 3 gegen HER2-negativen, lokal rezidivierenden oder metastasierenden Brustkrebs. Mit diesem CXCR4-Antagonist ist Polyphor 2007 erstmals in der klinische Entwicklung eingestiegen.

Trotz der verbleibenden Hoffnungsträger stehen Polyphors Aktien derweil nicht gut. Im Mai letzten Jahres konnte man mit dem größten Biotech-IPO in der Schweiz in den letzten 10 Jahren 155 Millionen Franken einnehmen. Seit der Erstnotiz an der SIX Swiss Exchange ist der Kurs jedoch kontinuierlich um bis jetzt mehr als 70 % gefallen. Der Studienabbruch wird den Abwärtstrend sicherlich nicht aufhalten, im Gegenteil.

Kathleen Gransalke