Big Money für Big Pharma

(16.05.2019) Mehrere Milliarden Umsatz machten die 15 größten Pharmakonzerne im letzten Jahr. Dabei übertrafen einige Präparate die kühnsten Erwartungen.
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Editorial

Was haben Roche, Pfizer und Co. in Forschung und Entwicklung investiert? Welches Präparat entpuppte sich als Ladenhüter und welches durchbrach die Blockbuster-Schallmauer mit jährlich mehr als einer Milliarde US-Dollar Umsatz? Was verdient der Vorstand? Wen Antworten auf diese Fragen interessieren, der schaut sich den Geschäftsbericht eines Unternehmens an. Gut für Aktionäre, Investoren und Journalisten: börsennotierte Firmen müssen ihre Bilanzen zwingend offenlegen.

Und so haben das Online-Nachrichtenportal FiercePharma und auch wir von Laborjournal einen Blick in die Bücher der 15 größten Pharmafirmen riskiert und festgestellt, dass Johnson & Johnson mit sage und schreibe 81,6 Milliarden US-Dollar im letzten Jahr den größten Umsatz gemacht hat. Unter den Top 15 sind auch vier Konzerne mit deutschen oder schweizerischen Wurzeln: Roche (55,7 Milliarden US-Dollar Umsatz), Novartis (51,9 Mrd.), Merck (42,3 Mrd.) und Bayer (29,9 Mrd., nur die Pharmasparte). Im Folgenden wollen wir uns diese vier Europäer etwas genauer anschauen und beginnen mit dem Umsatz-Vize-Champion Roche (knapp vor Pfizer mit 53,6 Milliarden).

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Roches Newcomer schlagen ein

2018 konnten die Basler ihren Umsatz um 7% steigern. Besonders gut angenommen wurden zwei neue Medikamente: Hemlibra und Ocrevus. Hemlibra, ein humanisierter, bispezifischer Antikörper, hilft Patienten mit der Bluterkrankheit (Hämophilie A). Erst seit Februar 2018 auf dem Markt, hat es den Schweizern im letzten Jahr 223 Millionen Franken eingebracht. Klingt noch recht bescheiden; die Summe wird sich in diesem Jahr jedoch vervielfachen. Denn fast exakt die gleiche Summe nahm Roche bereits im ersten Quartal 2019 mit Hemlibra ein (215 Mio). Da verwundert es auch nicht, dass das Unternehmen derzeit seine Finger nach Zukäufen ausstreckt. Fast 5 Milliarden US-Dollar will Roche für Spark Therapeutics ausgeben. Das Start-up aus Philadelphia bastelt an einer Hämophilie-A-Gentherapie, die schon bald in die Phase 3 gehen könnte.

Noch erfolgreicher war man nur mit dem Multiple-Sklerose (MS)-Medikament Ocrevus. Laut Roche der beste Produkt-Launch in der Firmengeschichte. Seit Anfang 2018 zugelassen, wanderten im letzten Jahr durch den Verkauf des Anti-CD20-Antikörpers 2,3 Milliarden Franken auf das Konto der Schweizer. Kleine Randnotiz: das Medikament ist dem längst zugelassenen (seit 1998 in den USA, allerdings nicht für MS) Rituximab sehr ähnlich. Kostet aber deutlich mehr.

Der Umsatz großer Pharmafirmen wird jedoch zunehmend durch sogenannte Biosimilars bedroht. Ähnlich wie Generika handelt es sich um Nachahmer-Produkte, die nach Ablauf des Patentschutzes auf den Markt gebracht werden dürfen. Da sie in lebenden Zellen produ­ziert werden, sind die Biopharmaka (z. B. Interferone, Hormone, Antikörper) in ihrer Struktur, anders als Generika, leicht verändert. Rund 60 Biosimilars sind derzeit in Europa zugelassen, 16 neue kamen im letzten Jahr hinzu. Nach eigener Aussage hat der Bio­similars-Trend Roche bereits rund 1,3 Milliarden Franken Umsatz gekostet. Betroffen ist unter anderem das Brustkrebs-Medikament Herceptin. Obwohl mit fast 7 Milliarden Franken Umsatz noch immer eines der erfolgreichsten Produkte im Roche-Portfolio, musste es im vergangenen Dreivierteljahr in Europa ordentlich Federn lassen.

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Novartis freut sich auf potentielle Blockbuster

Weiter geht‘s mit Novartis, der viert-erfolgreichsten Pharmafirma weltweit. Auch die zweiten Basler in den Top 15 haben im Vergleich zum Vorjahr beim Umsatz zugelegt. Beigetragen haben dazu nicht weniger als sechs Präparate, die mehr als eine Milliarde US-Dollar Umsatz erzielten. Der erfolgreichste Blockbuster im Sortiment ist das Multiple-Sklerosis-Medikament Gilenya, ein Immunsuppressivum, das auf dem Pilz-Wirkstoff Myriocin basiert. 3,3 Milliarden US-Dollar brachte es ein. Gefolgt vom Psoriasis-Präparat Cosentyx mit 2,8 Milliarden US-Dollar.

Bekanntgegeben hat Novartis inzwischen auch die ersten Verkaufszahlen von Lutathera. Wir berichteten im Januar über den Vorstoß der Schweizer auf den Radiotherapeutika-Markt, mit dem sie einige niederländische Kliniken und Gesundheitspolitiker verärgerten. Drei Milliarden Euro hatte sich Novartis das marktreife Medikament der Firma Advanced Accelerator Applications zur Behandlung von neuroendokrinen Tumoren kosten lassen. Nun beginnt es sich auszuzahlen. Im vierten Quartal 2018 verbuchte Lutathera 81 Millionen US-Dollar Umsatz, im Geschäftsbericht spricht man bereits von einem „potentiellen Blockbuster“.

Eifrig arbeitet man in Basel auch an zukünftigen Verkaufsschlagern. Zolgensma soll ein solcher werden – eine Gentherapie für Patien­ten mit spinaler Muskelatrophie. Bereits im zweiten Halbjahr 2019 soll die Therapie in Europa zugelassen werden. Aktuell muss Novartis jedoch einen Todesfall erklären. Ein Kind, das an einer Phase-3-Studie in Europa teilgenommen hat, starb an den Folgen einer Atemwegsinfektion. Novartis-Chef Vas Narashimhan bleibt jedoch entspannt. Die spinale Muskelatrophie sei eine so ernste Krankheit, dass mit Todesfällen – unabhängig von der Behandlung – immer zu rechnen ist. Die Launch-Vorbereitungen von Zolgensma haben jedenfalls schon begonnen.

Merck produziert in Teheran

Auf Platz 5 der 15 umsatzstärksten Pharmakonzerne hat sich Merck Sharp & Dohme gekämpft. Hinter dem Erfolg steht vor allem ein Medikament – Keytruda – ein Immun-Checkpoint-Inhibitor, eingesetzt bei Hautkrebs, Lungenkarzinom und Hodgkin-Lymphom. Bereits im ersten Quartal des Jahres 2018 macht Merck mit Keytruda rekordverdächtige 2,3 Milliarden US-Dollar; im gesamten letzten Jahr spülte das Medikament 7,2 Milliarden in die Merck-Kassen.

Trotz des Erfolgs, auch mit Produkten für die Tiermedizin, stehen bei Merck demnächst Umstruk­turierungs­maßnahmen an. Soll heißen: Werke werden geschlossen und Mit­arbeiter entlassen. Dafür baut man an anderer, eher unerwarteter Stelle Neues auf. In Teheran entsteht derzeit eine Produktionsstätte für Merck-Medikamente. Um nicht gegen Sanktionen zu verstoßen, hat man einen Subunternehmer hinzugezogen und betont, dass keine Gelder geflossen sind. „Merck hat keinen juristischen Sitz im Iran und besitzt auch keine Vermögenswerte oder Gebäude“, teilt Merck-Pressesprecher Gangolf Schrimpf FiercePharma in einer Email mit.

Bayer braucht Anwälte

Zum Abschluss noch ein Blick nach Leverkusen, wo Bayer sich derzeit nicht nur mit Glyphosat-Klagen konfrontiert sieht. Auch die Pharmasparte hält die Anwälte des Unternehmens auf Trab. Konkret geht es um den Blutverdünner Xarelto. Bayer wird vorgeworfen, das Medikament würde Blutungen verursachen, die zum Tode führen können. Man habe, so die Kläger, auch nicht ausreichend über die Gefahren informiert. Für Bayer „entbehren die Klagen jeglicher Grundlage“. Dennoch einigte man sich im März auf einen Vergleich, der das Unternehmen rund 400 Millionen US-Dollar kostet. Xarelto bleibt das umsatzstärkste Präparat (3,6 Milliarden Euro im letzten Jahr) im Bayer-Medizin­schränkchen. Die Vergleichssumme zahlt man da sicher aus der Portokasse.

Einen Rückschlag mussten die Leverkusener mit dem Krebsmedikament Xofigo, ein Radium-Isotop, einstecken. Nach vorzeitiger Beendigung einer Phase-3-Studie 2017 sanken die Umsätze merklich. Auch bei den Hämophilie-Präparaten sieht es dank der Konkurrenz, vornehmlich Roches Hemlibra, düster aus. So düster, dass Bayer Ende letzten Jahres das Aus für die Wuppertaler Produktion des Gerinnungsfaktors VIII verkündete. Dabei hatte man diese erst vor wenigen Jahren mit einem Neubau und einer Millionen-Investition ins Bergische Land geholt.

Insgesamt zieht Bayer aber eine positive Bilanz. Der Umsatz mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln sei um 3,4 Prozent auf 16,7 Milliarden Euro gestiegen. „Maßgeblich dafür waren deutliche Zuwächse in China“, heißt es im Geschäftsbericht. Bis 2022 will man den Umsatz in Fernost auf 3 Milliarden Euro steigern.

Fazit: Trotz Konkurrenz, Biosimilars und Generika macht die Top 15 noch immer kräftig Umsatz. Und falls es doch irgendwann in Europa oder den USA nicht mehr klappt, bleibt immer noch China.

Kathleen Gransalke



Letzte Änderungen: 16.05.2019