Neuer Versuch mit alter Idee

(01.12.2018) Seit gut dreißig Jahren versuchen Biotech-Firmen einen Impfstoff gegen Lyme-Borreliose auf den Markt zu bringen. Mit wechselndem Erfolg.
editorial_bild

Editorial

Sie lauern in Wäldern, Parks und Gärten, geduldig auf ihr nächstes Opfer wartend. Mal Stunden, mal Tage. Ixodes … Zecken. Haben sie einen passenden Wirt gefunden, laben sie sich an dessen Blut und über­tragen hin und wieder nicht nur Anti-Gerinnungs­enzyme sondern auch ein paar blinde Passagiere – Flaviviren und Bakterien der Gattung Borrelia. Erstere lösen die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) aus, zweitere eine Erkrankung namens Lyme-Borreliose oder Lyme-Krankheit (benannt übrigens nach der US-Stadt, Old Lyme in Connecticut, in der 1975 die ersten Fälle beschrieben wurden).

Bekanntermaßen gibt‘s gegen die FSME eine Schutzimpfung, gegen die Borreliose nicht. Oder besser gesagt: nicht mehr. Das bisher einzige, vor der Lyme-Krankheit schützende Vakzin, Lymerix, wurde nach nur 38 Monaten wieder vom US-Markt genommen. 2002 zog GlaxoSmithKline (GSK) die Reißleine, nachdem sich Klagen gehäuft hatten, in denen dem Konzern vorgeworfen wurde, der Impfstoff würde schwere Nebenwirkungen wie Arthritis verursachen. Spätere Untersuchungen ergaben jedoch, dass nichts dran ist, an den Anschuldigungen. Offiziell gab GSK für das Aus jedoch eine zu geringe Nachfrage an.

Editorial
Süddeutsche Entdeckung

Die Wiege des Impfstoffs steht übrigens in Deutschland. In den 90ern beschrieben Markus Simon vom Freiburger Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Reinhard Wallich sowie Michael Kramer von der Uni Heidelberg eine interessante „Zielstruktur protektiver Anti­körper“: OspA oder Outer Surface Protein A ist ein Lipoprotein in der Zellmembran von Borrelia burgdorferi. GSK oder damals noch SmithKlineBeecham griff OspA auf und entwickelte daraus den Impfstoff Lymerix. Mit dem erwähnten Ende der Geschichte, die Laborjournal im Jahr 2004 aus der Sicht Markus Simons ausführlich erzählte.

Allerdings sollten sich Simons damalige Befürchtungen, „das Thema Borreliose-Impfstoff hat sich auf lange Zeit erledigt. Da traut sich kein Unternehmen mehr ran“ letztlich nicht bewahrheiten. Denn schon zeitgleich zu GSK, versuchte auch Pasteur Mérieux Connaught, heute Sanofi Pasteur, sein Glück mit OspA. Allerdings schaffte es Imulyme nie auf den Markt – wegen technischer Schwierigkeiten, Patentproblemen mit GSK und der Sorge, die Entwicklung würde sich nicht rentieren. Auch Baxter Healthcare war nah dran an einer Marktzulassung für den hauseigenen Vakzin-Kandidaten. 2014 begrub die Pharmafirma jedoch ihr komplettes Impfstoff-Programm und damit die Hoffnung auf eine Borreliose-Schutzimpfung. Vorerst.

Editorial
Gegen alle sechs

Denn aufgegeben hat man OspA noch lange nicht. In Wien tüftelt man derzeit bei Valneva Austria an VLA15, einem neuen Impfstoff basierend auf der alten Zielstruktur. „VLA15 ist so konstruiert, dass es vor den sechs häufigsten Spezies der Borreliose-Spirochäte schützt,“ teilt uns die Valneva-Pressereferentin mit.

Interessanterweise gibt es bei den Borreliose-Erregern große Unterschiede zwischen Nordamerika und Europa. Während sich US-Amerikaner und Kanadier fast ausschließlich mit Borrelia burgdorferi sensu stricto herumschlagen müssen, sind Europäer mehreren Spezies gleichzeitig ausgesetzt: B. burgdorferi, B. garinii, B. afzelii, B. bavariensis und B. spielmanii. Das vereinfacht eine Vakzin-Entwicklung nicht unbedingt. Aber bei Valneva ist man entschlossen und hat der „gefürchtetsten von Zecken-übertragenen Krankheit in der Nordhemisphäre“ den Kampf angesagt. „Die Fälle in den USA haben sich seit den späten 1990er Jahren verdreifacht und es wird geschätzt, dass mehr als 300.000 Amerikaner jährlich an der Lyme-Borreliose erkranken. Hinzu kommen mehr als 200.000 Fälle in Europa. Es gibt also einen großen ungedeckten medizinischen Bedarf (…) und Valneva unternimmt – in Abstimmung mit FDA und EMA – alles was möglich ist, (…) einen sicheren und wirksamen Impfstoff schnell zu entwickeln.“

In Phase 1 hat VLA15 klinisch bereits überzeugt. Er war in allen „getesteten Dosierungen und Formulierungen immunogen und wies gute OspA-spezifische IgG-Antikörpertiter gegen alle getesteten OspA-Serotypen auf“. Sicher und gut verträglich war er obendrein. Grund genug direkt in die Phase 2 einzusteigen, in der man „die optimale Dosis bestimmen und das Impfschema für die Phase-3-Studien festlegen“ möchte. Aktuell werden Patienten rekrutiert. „Die komplette Phase-2-Studie wird etwa zwei Jahre dauern, mit ersten Zwischenergebnissen ist Mitte 2020 zu rechnen,“ heißt es aus Valneva-Kreisen.

Es lohnt sich

Lohnt sich denn der ganze Aufwand? Wir erinnern uns: GSK und Pasteur sind wegen zu geringer Nachfrage aus dem Borreliose-Vakzin-Business ausgestiegen. Valneva ist da optimistischer. Denn mit zunehmenden Krankheitsfällen („a rapidly expanding disease footprint“) steigt ja auch die Nachfrage. „Der wachsende Bedarf macht die Entwicklung von VLA15 lohnenswert für Valneva,“ bestätigt die Pressereferentin. „Der Impfstoff-Kandidat hat das Potential, sowohl für Kinder ab 2 Jahren als auch für Erwachsene empfohlen zu werden, die in Risikogebieten in Nordamerika und Europa leben oder dorthin reisen“.

Neuere Schätzungen geben den Marktwert für solch einen Impfstoff mit rund 700 Millionen Euro an. Vorteil für Valneva: „VLA15 ist derzeit das einzige aktive Lyme-Borreliose-Impf­stoffprogramm in klinischer Entwicklung.“ Den potentiellen Profit-Kuchen könnte man also ganz alleine aufessen.

Backen muss man den Kuchen allerdings erst noch. Daher gilt weiterhin: Absuchen (sich) und Aufsuchen (einen Arzt), bei verdächtigen Symptomen. Antibiotika wie Doxycyclin, Amoxicillin, Clarithomycin oder Azithromycin eliminieren den Eindringling recht zuverlässig. Tabletten schlucken ist allerdings nicht jedermanns Sache. Es könnte auch einfacher gehen. Zum Beispiel mit einem antibakteriellen Gel für die Haut.

Von Augen zu Zecken

Diese oder ähnliche Gedanken hatte vor gut zehn Jahren wohl auch der ehemalige und bereits pensionierte Novartis-Chef für Augenheilkunde, Gustave Huber. 2012 erzählte er der NZZ wie er von Augen auf Zecken umschwenkte. Auslöser war eine Bekannte, die befürchtete von einer Zecke gebissen und mit Borrelien infiziert worden zu sein. Huber begann zu forschen und stellte überraschend fest, dass die Borreliose-Bakterien ins­besondere B. afzelii nach dem Biss an Ort und Stelle verbleiben – für ein paar Tage. Demnach müsste den Erregern doch mit einer Antibiotika-haltigen Hautcreme beizukommen sein.

2007 gründete Huber die Ixodes AG, zunächst als GmbH. Später kamen zwei weitere ehemalige Novartis-Mitarbeiter hinzu: Pharmazeut Lorenz Meinel und Ökonom Luzi Andreas von Bidder, die auch heute noch das Ixodes-Kernteam bilden. Ihr Produkt: das Ixogel, eine 10% Azithromycin-Formulierung, die kurz nach dem Biss mehrfach auf die Stichstelle aufgetragen wird. Azithromycin deshalb, weil es als lipophile Substanz die Hautschichten gut durchdringt und eine recht lange lokale Halbwertszeit hat.

Bis in die klinische Phase 3 hat es Ixogel bereits geschafft. Diese Studie beendete Ixodes jedoch vorzeitig, da es keinen eindeutigen Beweis für die Wirksamkeit der Creme gab. Das war 2012. Seitdem ist es ruhig geworden um Ixogel. Was ist los in Zürich, hat man etwa aufgegeben? „Wir suchen zurzeit Geld für die nächste Phase 3“, verrät uns CFO von Bidder.

Es geht also weiter – und irgendwann in naher Zukunft kann man hoffentlich wieder furchtlos durch Wälder, Parks und Gärten streifen.

Kathleen Gransalke



Letzte Änderungen: 01.12.2018