Editorial

Null und nichtig

(17.7.15) Im Fall Schwamborn (siehe Laborjournal 1/2015) erschien jetzt eine zweite Retraction. Der Hintergrund: Die DFG hat dem Luxemburger Professor wissenschaftliches Fehlverhalten bescheinigt.
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Laborjournal berichtete in der Januar-Ausgabe über den Neurobiologen und Stammzellforscher Jens Schwamborn, früher überwiegend an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster tätig, inzwischen ordentlicher Professor an der Universität Luxemburg. Anlass für den Bericht war die Retraction einer Publikation aus Schwamborns Doktorandenzeit. Betreut hatte ihn damals WWU-Professor Andreas Püschel. Ein anonymer Whistleblower hatte Unregelmässigkeiten in Schwamborns Arbeit über Neuronen-Differenzierung gefunden. Das EMBO Journal hat den Verdacht bestätigt und als Begründung für die Retraction angegeben.

 

Der begleitenden Notiz zufolge haben Schwamborn und Püschel die Retraction selbst auf den Weg gebracht. „Das Fehlen der Originaldaten“ sei das Problem gewesen, teilte Püschel dem Laborjournal mit. Obwohl Schwamborn persönlich die Experimente reproduziert habe. Es sei aber „nicht mehr nachvollziehbar, wie und warum es zu diesen Problemen gekommen ist“. Schwamborn schloss sich damals dieser Erklärung an und fügte nichts hinzu.

Editorial

 

Des Rätsels Lösung: Fehlverhalten


Wirklich nicht mehr nachvollziehbar? Laborjournal hat weiter recherchiert und erfahren, dass den beiden Retractions keinewegs ein Mysterium zugrunde liegt, sondern nachgewiesenes wissenschaftliches Fehlverhalten von Schwamborn.

 

Inzwischen kam noch eine zweite Retraction hinzu, im Journal of Biological Chemistry (JBC). Betroffen ist wieder eine Erstautoren-Publikation von Püschels Doktorand, aus dem gleichen Jahr 2007, und mit einem ähnlichen Thema wie die zuvor zurückgezogene Studie im EMBO Journal (siehe auch den Beitrag bei Retraction Watch). Püschel und Schwamborn meinten zu der jüngsten Retraction, „dass wir nach reiflicher Überlegung entschieden haben, dass dies der beste Weg ist. Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen“.

 

Die vom Whistleblower geäußerten Anschuldigungen lesen sich ähnlich wie zuvor: Bildduplikationen, inklusive Drehen, Spiegeln und Strecken, sowie verdächtiges Spleißen von Gelbanden. Es gab also gute Gründe, weiter nachzufragen.

 

JBC fügt einer Retraction grundsätzlich keinerlei Erläuterungen an. Auch bei einer Laborjournal-Anfrage im April 2015, wie es denn mit der eingereichten Korrektur stehe, verwies die Chef-Editorin Martha Fedor auf strikte Vertraulichkeit und bat, sich stattdessen an Schwamborn zu wenden.

 

Überraschung: Die DFG hat schon untersucht


Seit 2013 ist Schwamborn Professor an der Universität Luxemburg. Von einem hochrangigen Kollegen dort kam eine überraschende Auskunft, die half, das von Püschel und Schwamborn beschworene Mysterium aufzuklären: Es soll eine DFG-Untersuchung gegeben haben. Diese habe festgestellt, dass

 

- Daten manipuliert wurden,

 

- wissenschaftliches Fehlverhalten stattfand,

 

- Originaldaten nicht mehr auffindbar waren.

 

Beide Retractions sollen den Autoren beim Abschluss der Untersuchungen empfohlen worden sein. Nur habe es bei JBC deutlich länger gedauert als bei EMBO J. Mit dieser neuen Information konfrontiert, erklärte Püschel: „Ich kann die faktische Richtigkeit der Zusammenfassung bestätigen“.

 

Nun sind Schwamborn und Püschel die einzigen gemeinsamen Namen auf den zwei betroffenen Publikationen. Die Verantwortung seines Doktoranden wollte der Doktorvater in diesem Sinne „weder dementieren noch bestätigen“.

 

...und das nächste Puzzlestück aus Luxemburg


Ein weiteres Puzzlestück kam von Ludwig Neyses, Vize-Präsident für Forschung an der Universität Luxemburg. Die von ihm übermittelte offizielle Stellungnahme der Universität lautet:

 

Sowohl die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) als auch eine Kommission an der Universität Münster haben die gegen Professor Jens Schwamborn erhobenen Vorwürfe, die zum Zurückziehen der wissenschaftlichen Publikationen bei EMBO und JBC geführt haben, geprüft. Beide Kommissionen kamen Ende 2013 bzw. Anfang 2014 zu dem Schluss, dass Fahrlässigkeit vorgelegen hat.


Dementsprechend wurde Professor Schwamborn für ein Jahr für Anträge bei der DFG gesperrt (03/2014 – 03/2015).


Obwohl die Arbeiten nicht im direkten Zusammenhang mit der Universität Luxemburg stehen, sondern Professor Schwamborns wissenschaftliche Tätigkeit an der Universität Münster in den Jahren 2002 bis 2006 betreffen, war die Leitung der Universität Luxemburg (inkl. Ethik-Kommission) seit Erhebung der Vorwürfe im Sommer 2013 vollständig informiert und es wurde eine Strategie der grösstmöglichen Transparenz verfolgt.


Die Universität Luxemburg hat die Entscheidung der DFG zur Kenntnis genommen und folgt dem Prinzip, dass keine mehrfache Strafe für dasselbe Fehlverhalten erfolgen soll.“


Hier wird Schwamborn offiziell nur Fahrlässigkeit zugesprochen, obwohl Püschel ja zugab, dass die DFG und offenbar auch die Uni Münster Datenmanipulationen und wissenschaftliches Fehlverhalten festgestellt haben. Wie ist das zu erklären? Von der DFG selbst kam nur der Verweis auf den „Grundsatz der Vertraulichkeit“.

 

Die DFG schweigt. Eine Pressemitteilung gibt es trotzdem


Eine Pressemitteilung der DFG (vom 28. März 2014) gibt es aber offenbar doch. Sie nennt zwar keine Namen. Aber die darin geschilderten Details passen haargenau zu den von Laborjournal zusammengetragenen Informationen aus Luxemburg. Auf Nachfrage, ob sich die Mitteilung tatsächlich auf das Duo Schwamborn/Püschel bezieht, kam von der DFG jedenfalls kein Widerspruch.

 

Man lernt aus dieser Pressemitteilung zum Beispiel, dass tatsächlich der anonyme Hinweisgeber die Manipulationen „der DFG, den Hochschulen der Wissenschaftler sowie weiteren Adressaten anonym angezeigt“ hatte. Man kann auch folgern, dass Püschel kein unschuldiges Opfer war. „Bei dem Arbeitsgruppenleiter werden besonders die grobe Vernachlässigung der Aufsichtspflicht und die unzureichenden Anleitungen der Mitarbeiter durch einen erfahrenen Wissenschaftler gerügt“, wird die Generalsekretärin der DFG und Vorsitzende des Ausschusses zur Untersuchung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, Dorothee Dzwonnek, zitiert.

 

Püschel bekam also eine Teilschuld am festgestellten Fehlverhalten zugesprochen und erhielt eine schriftliche Rüge der DFG.

 

Sein Doktorand Schwamborn wurde für ganze 12 Monate von der DFG-Förderantragstellung ausgeschlossen, was ihn als im Ausland tätigen Wissenschaftler womöglich nicht zu sehr behinderte.

 

Reproduzierbar? Von wem?


Am Ende der DFG-Mitteilung steht: „Von weitergehenden Maßnahmen habe deshalb abgesehen werden können, weil die eigentlichen Forschungsergebnisse reproduzierbar seien und eine Korrektur der Publikationen bereits durch die Hochschule den Wissenschaftlern zur Auflage gemacht worden sei“.

 

Reproduzierbar vom wem eigentlich? Püschel ordnet diesen Erfolg in seiner Email an Laborjournal alleine Schwamborn selbst zu.

 

Wie dem auch sei, mit einer Retraction sind die Forschungsergebnisse eines Papers eigentlich null und nichtig. Aber das ist wohl Ansichtssache, wie wir immer wieder lernen.

 

Leonid Schneider

Illustration: Ausschnitt aus Schwamborn et al. 2007 (retracted)

 

 



Letzte Änderungen: 02.09.2015