Editorial

„Wir leben den ethischen Anspruch“

(01.07.2021) Abcalis aus Braunschweig stellt genau definierte Antikörper für die Diagnostik her – und dies ganz ohne Tierversuche.
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Noch vor Kurzem war es Pflicht: Sie wollen in den Zoo? Dann gibt’s ein Stäbchen in die Nase. Shoppen in der Innenstadt? Stäbchen in die Nase. Dinieren am Abend? Sie wissen schon. Der vielerorts obligatorische Corona-Antigen-Schnelltest konnte allerdings nur entwickelt werden, weil Forschende bereits kurz nach dem offiziellen Beginn der Pandemie Antikörper gegen das Coronavirus herstellen konnten. Solche Antikörper gewinnt man meist mithilfe von Tieren wie Schafen, Pferden, Hunden, Kaninchen oder Ziegen.

Das ist nicht unproblematisch, wie Laila Al-Halabi-Frenzel, CEO des TU-Braunschweig-Spin-offs Abcalis, erklärt: „Ich habe 13 Jahre Erfahrung in der In-vitro-Diagnostik-Industrie. Die meisten dort verwendeten Antikörper waren das Produkt einer Tierimmu­nisierung. Das heißt, Sie haben da ein angereichertes Antikörper-Gemisch aus dem Tierserum, das von Batch zu Batch stark in Zusammen­setzung und Qualität schwankt. Mit jeder neuen Charge müssen Sie aufwendig testen“. Bereits dort keimte in der Biologin der Gedanke, dass dies doch besser gehen müsse.

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Der Schatz im Gefrierschrank

Auf einem Alumni-Treffen mit ihrem ehemaligen Doktorvater Stefan Dübel und seiner Gruppe wurde der Gedanke konkret: „Wir haben diskutiert, dass es doch einen hohen Bedarf an definierten Antikörpern für diagnostische Zwecke geben müsste und wir die herstellen könnten“. Die Idee kam nicht von ungefähr. Stefan Dübel ist Mitbegründer der Phagen-Display-Technik, die es ermöglicht, zahlreiche Antikörper-Fragmente parallel gegen ein Antigen zu entwickeln. Die Immunglobulin-Genabschnitte werden so in die DNA von Bakterio­phagen integriert, dass sie diese auf ihrer Oberfläche präsentieren. Gibt man die so modifizierten Phagen zu einem Antigen, das auf einer Mikrotiter­platte oder magnetischen Beads immobilisiert ist, haften die Viren mit passenden Antikörper-Abschnitten daran. Nach erfolgreicher Bindung können die Phagen vom Antigen gelöst, vermehrt und analysiert werden.

Um daraus ein Geschäft machen zu können, benötigten die Gründungs­willigen jedoch eine große Phagen­bibliothek mit diversen Antikörper-Varianten. „So eine Bibliothek existierte bereits bei Stefan Dübel. Zudem hatte sich über die Jahrzehnte so einiges an vielver­sprechenden Antikörper-Klonen im Gefrier­schrank angesammelt“, erzählt Al-Halabi-Frenzel.

Wichtige Förderungen

Mit diesen guten Voraus­setzungen bewarben sich die fünf Gründerinnen und Gründer für die EXIST-Gründungs­förderung – mit Erfolg. „Wir haben die Förderung mit kleineren Korrekturen bekommen und Abcalis Ende 2019 gegründet. Man muss gestehen, dass wir durch die Corona-Pandemie so einige unerwartete Service­projekte durchführen konnten“, erklärt die Biologin. Hervorheben möchte Al-Halabi-Frenzel auch die Unterstützung und den Austausch durch die Female-Entrepreneurship-Gruppe in Braunschweig. „Ich finde es wichtig zu zeigen, dass man unabhängig von Geschlecht oder anderen Äußerlichkeiten viel bewegen kann“.

Das Alleinstellungs­merkmal des Braunschweiger Unternehmens sind die sogenannten multiklonalen Antikörper, die die Vorteile von Immun­globulinen aus tierischen Seren mit denen monoklonaler Antikörper kombinieren sollen, wie Al-Halabi-Frenzel erklärt: „Monoklonale Hybridoma-Antikörper sind in der Regel besser definiert, erkennen aber nur ein Epitop. Bei polyklonalen Immun­globulinen aus tierischer Produktion habe ich ein sehr schwankendes Naturprodukt mit oft breiterem Erkennungs­spektrum. Bei beiden ist die Gensequenz primär nicht bekannt, man kennt sein diagnostisches Werkzeug also gar nicht genau“. Die multiklonalen Antikörper von Abcalis hingegen sind ein Gemisch aus mehreren monoklonalen Antikörpern, die gegen ein Antigen gerichtet sind. Dank der Phagen­bibliothek sei die Sequenz jedes Antikörpers bekannt und so die Zusammen­setzung des Gemischs genau einstellbar.

Ethisch und nachhaltig

Abcalis möchte auch mit dem Verzicht auf Tierversuche punkten, der bei den Braunschweigern ethisch motiviert ist, wie die Geschäfts­führerin erklärt: „Wir stehen hinter unserem ethischen Ansatz und da gehört neben der Vermeidung von Tierleid auch Nachhaltigkeit dazu“.

Zugutekommt Abcalis die jüngste, kontrovers diskutierte Empfehlung des EU-Referenz­labors für Alternativen zu Tierversuchen (Laborjournal berichtete in Heft 4/2021: „Antikörper-Debakel in Brüssel“). Das Gremium hatte im Mai 2020 empfohlen, dass keine polyklonalen Antikörper aus tierischer Produktion mehr verwendet werden sollen. Neben Kritik an der eigentlichen Entscheidung wurde auch die Zusammen­setzung des wissen­schaftlichen Beratungs­komitees moniert. So waren 5 der 15 Expert/innen an Firmen beteiligt, die Antikörper ohne Tierversuche anbieten – darunter auch Abcalis-Mitgründer Stefan Dübel. Im Bericht des Gremiums findet sich dazu kein Hinweis. „Diese Kollegen wurden aber gerade wegen ihrer praktischen Erfahrung bei der tierversuchs­freien Antikörper-Herstellung von der EU gezielt angefordert“, so Al-Halabi-Frenzel. Zudem habe sich Dübel bereits von der politischen Empfehlung des Gutachtens distanziert.

Trotz aller Kritik sind die Auswirkungen der Empfehlung bereits spürbar, wie die Biologin erzählt: „Als wir begonnen haben, wurden wir von erfahrenen Geschäfts­leuten ob unseres ethischen Ansatzes belächelt. Jetzt kommen tatsächlich Firmen genau deswegen auf uns zu. Selbst wenn da zu einem gewissen Anteil ‚Greenwashing‘ betrieben wird, wächst der Bedarf“. In Zukunft will Abcalis, so die Geschäftsführerin, das Antikörper-Angebot für die Forschung weiter ausbauen. Auch in Richtung Nachhaltigkeit will man sich weiter verbessern. „Wir versuchen da schon einiges. An Styropor­boxen kommen wir aber bislang trotzdem nicht vorbei“, scherzt Al-Halabi-Frenzel.

Tobias Ludwig

Bild: Abcalis & Pixabay/Alexandra_Koch


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Letzte Änderungen: 01.07.2021