Etwas Schwund ist immer…

16. Mai 2017 von Laborjournal

(Eine typische Labor-Geschichte, erzählt von Valerie Labonté)

Nach längerer Abwesenheit im Labor rechnet man ja damit, dass manches nicht mehr an seinem Platz ist. Aber dass es gleich so schlimm kommen muss wie in diesem Beispiel…

Doktorandin Petra kommt nach einigen Wochen Schreibarbeit zu Hause wieder ins Labor, um für den nächsten Tag ein Experiment vorzubereiten, das ihr für das Paper noch fehlt. Das Vorhaben beginnt natürlich mit… Suchen! Ihre Pipetten sind auf andere Arbeitsplätze und in fremde Schubladen verteilt. Neben der Waage hat jemand eine Dauerpipette für alle eingerichtet — natürlich ist es eine von ihren. Also erstmal die Pipetten zusammensammeln, putzen und eichen.

Petra hat schon fast keine Lust mehr, aber sie muss ja nur vorbereiten heute. Nächste Aufgabe: Chemikalien zusammensuchen. Zwar gibt es diesen gut geordneten Chemikalienraum, doch hat jeder seine Stammchemikalien am Platz oder im Kühlfach gebunkert — oder wo es sonst gerade praktisch scheint. Normalerweise weiß man trotzdem, wo etwas zu finden ist — nur ist erstens Petras eigene Sammlung inzwischen geplündert, und sind zweitens diejenigen der Kollegen nicht mehr in dem selben Zustand wie vor Monaten.

Nach „Wo sind meine Pipetten?“ heißt also die zweite Laborrunde: „Wo sind meine Chemikalien?“. Zu allem Überfluss sind einige der nachbestellten Chemikalien inzwischen in anderen Flaschen als gewohnt gekommen, weshalb es noch länger dauert, bis Petra alles zusammengekratzt hat.

Nach knapp drei Stunden sind diese beiden ersten Hürden bewältigt. Jetzt muss Petra nur noch alles einwiegen und ihre Assays für den nächsten Tag vorbereiten, sich in die Liste für den Plate Reader im Nachbarlabor eintragen, das Programm mit den Messmethoden checken — und warten bis zum nächsten Tag.

Am Plate Reader ist die Messmethode okay, alle Parameter sind richtig eingestellt — alles wie immer. Nur steht am nächsten Tag für 13 Uhr der Hiwi in der Liste. „Toll“, denkt sich Petra und sucht den Hiwi, um ihn zu bequatschen:

„Bitte, lass‘ mich vor. Sonst komm ich hier nie raus, ich habe sieben halbstündige Messungen zu machen und muss die den ganzen Vormittag vorbereiten.“

Doch der Hiwi will am nächsten Tag ebenfalls noch bei Tageslicht aus dem Labor kommen und kann auch nicht früher mit seinem Experiment anfangen, weil er die Zeit davor zum Pipettieren braucht. Also bleibt Petra nur, am nächsten Tag erst um 15 Uhr mit den Messungen anzufangen. Inständig ermahnt sie den Hiwi daher, dass er auf jeden Fall um 15 Uhr fertig sein muss, damit sie pünktlich mit ihren Messungen beginnen kann. Ansonsten wäre ihr ganzes Experiment nicht zu gebrauchen. Der Hiwi verspricht es. Dennoch geht Petra mit gemischten Gefühlen nach Hause: „Hoffentlich klappt das!“

Am nächsten Tag läuft alles super. Haarkleine Vorbereitung zahlt sich eben aus, denkt sich Petra. Dank des Hiwis durfte sie zwei Stunden länger schlafen und hat nun einen schönen Laborvormittag ohne Pannen. Alles läuft perfekt, sogar der Kaffee mit den Kollegen passt genau in die Inkubationspausen. Dem pünktlichen Messbeginn um 15 Uhr sollte nichts im Wege stehen.

Am Nachmittag ist es dann so weit: Alle Platten einsammeln und die Treppe hoch zum Plate Reader — hoffentlich ist der Hiwi fertig? Doch auch hier alles super, das Gerät ist frei! Petra schaltet den Computer an, ihre Anspannung löst sich — jetzt kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Doch halt! Das Messprogramm sieht so anders aus. Petra wird nervös, noch vier Minuten bis zum ersten Messzeitpunkt. Sie fängt an, ihre gespeicherten Methoden zu suchen. Fehlanzeige. Ihr Ordner, den sie am Vortag eingerichtet hatte, ist zwar da, doch damit alleine kann sie nichts anfangen.

Da schneit plötzlich der Hiwi rein — pünktlich zum geplanten Messbeginn. „Ich dachte mir doch, dass ich Dich hier finde“, sagt er gut gelaunt. „Die Werkstatt hat heute morgen den Computer ausgetauscht, es gibt ein neues Messprogramm.“ — Petra würde dem Hiwi am liebsten an die Gurgel gehen: „Und warum sagst Du mir das erst jetzt?“ — „Aber es funktioniert doch genau wie das alte, sieht nur anders aus.“

„Von wegen sieht nur anders aus“, denkt sich Petra. „Wo sind meine Methoden?“ Es gibt zwar einen Methoden-Ordner, doch da stecken nur die Protokolle nur drin, die standardmäßig mit dem Plate Reader mitgeliefert wird. Alle selbstprogrammierten Messprotokolle sind verschwunden. Was bleibt also Petra, als sich hinzusetzen und ihr Methodenprotokoll neu aufzuschreiben. Zwanzig Minuten nach dem ersten Messzeitpunkt ist sie fertig — zu spät, ihr Experiment kann sie vergessen. Ein paar Testmessungen sind zwar noch drin, doch für das geplante Manuskript ist das alles nicht mehr zu gebrauchen.

Den alten Computer findet sie übrigens kurze Zeit später in der Werkstatt wieder — unversehrt und mit einem gelben Zettel: „Zum Entsorgen“. Schnell hoch ins Labor das Ding, wieder anschließen — und siehe da: der Methoden-Ordner ist noch da, mit allen selbst programmierten Methoden.

Doch Petra hat bereits genug. Sie bereitet den ganzen Zirkus jetzt nicht gleich nochmal für den nächsten Tag vor. Stattdessen schaut sie kurzentschlossen nach, was heute Abend im Kino so läuft…

(Illustration: Skogflickan)

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