Die Unis schaffen ihre Kompetenz zur Doktorandenbetreuung ab

29. April 2016 von Kommentar per Email

(Ein deutscher Hochschullehrer schrieb uns kürzlich folgendes zum obigen Thema:)

Früher wurde jeder Doktorand von seinem „Doktorvater“ (bzw. „-mutter“) betreut. Selbstredend wurden dabei  ganz en passant auch alle für einen angehenden Wissenschaftler unabdingbaren ‚Softskills‘ vermittelt — wie etwa ‚Korrekte wissenschaftliche Praxis‘, ‚Experimental design‘, ‚Ethik im Wissenschaftsbereich‘, ‚Datenauswertung und Statistik‘, ‚Posterdesign‘, ‚Vortragsstil‘, ‚Manuskriptschreiben‘ u.s.w.

Heute jedoch braucht es für die Vermittlung dieser Softskills extra Doktorandenseminare, die im Rahmen von Graduiertenschulen und Exzellenzclustern oft sogar verbindlich sind. Da kann es schon mal passieren, dass ein Doktorand zwei bis drei mal in der Woche mitten am Tag die Pipette fallen lässt, um zum Doktorandenseminar zu hetzen. Dass dadurch das gerade angefangene Experiment korrumpiert wird und er danach von vorn anfangen muss, weil alles viel zu lange bei Raumtemperatur rumgestanden hat, ist in dem Moment nicht so wichtig.

Bei der Anmeldung zur Disputation wird von der Fakultät schließlich auch abgefragt, welche Seminare, Kolloquien, etc. der Doktorand während der vergangenen Jahre so besucht hat. Stimmen Anzahl und Umfang der besuchten Veranstaltungen nicht, wird die Zulassung zum Promotionsprüfungsverfahren von der zuständigen Fakultätsmitarbeiterin verweigert. In dem Moment nützt es dann auch nichts, wenn der Promovend mehrere Nature-Publikationen als Erstautor vorlegen kann. Die Angelegenheit muss dann direkt zwischen Doktorvater und Dekan geklärt werden.

Um die Sorgen der Doktoranden aufzufangen, werden uni-intern Graduiertenzentren gegründet, in denen ehemalige Doktoranden und PostDocs den schlecht bezahlten und aussichtslosen Job übernehmen, auf die „Verbesserung der Rahmenbedingungen der Doktoranden innerhalb der Uni Einfluss zu nehmen“. Auch wegen der im Rahmen der Exzellenzinitiative gewachsenen Graduiertenschulen ist es Doktorvätern daher möglich, sich immer weiter aus dem Betreuungs-Geschäft zurückzuziehen, aber dennoch im Falle eines guten Doktoranden dessen Meriten, inklusive Autorenschaften, mit für sich einzustreichen.

Wer auf diese Weise Betreuungspflichten abgegeben hat, der hat natürlich Zeit Seminare wahrzunehmen. Beispielsweise Seminare, in denen man lernen kann, wie Doktoranden zu betreuen sind. Es gibt sie tatsächlich: Lehrangebote speziell für die PROFis….— die es doch aber eigentlich selbst wissen sollten. Die Dozenten, die diese Veranstaltungen leiten, sind Didaktiker, Pädagogen, Psychologen, Heilpraktiker und selbsternannte Expertentrainer. Vorzugsweise von weit angereist und gut bezahlt.

Es geht inzwischen so weit, dass Unis nicht-universitäre Forschungseinrichtungen wie die Max-Planck-Gesellschaft gar als Vorbild dafür anpreisen, wie gut sie ihre Doktoranden betreuen. Dabei haben diese Einrichtungen gar keine Lizenz zum Promovieren. Womit sich ein wahrlich paradoxer Zirkel schließt: Die Uni als einzig promovierende Ausbildungsstätte im Land soll von einer externen, rein auf Forschung ausgerichteten Einrichtung ohne Lehrauftrag lernen, wie man mit Doktoranden umgeht. Ein Armutszeugnis!

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8 Gedanken zu „Die Unis schaffen ihre Kompetenz zur Doktorandenbetreuung ab“

  1. Michael sagt:

    Ich kann dem nicht zustimmen. Wenn ich mir in meinem Institut so ansehe, wie da teilweise von Hochschullehrern mit Doktoranden umgegangen wird, dann wären da Softskillkurse für die Professoren dringend erforderlich. Ebenso das erlernen von Fähigkeiten – in manchen Gruppen funktioniert das sehr gut, bei anderen sehen Vorträge und Poster dementsprechend mies aus.

  2. Genialer Beitrag, dem ist nichts hinzu zu fügen!

  3. Ralf Neumann sagt:

    Der Beitrag passt übrigens ganz gut zu folgendem Blog-Post vom Februar: https://www.laborjournal.de/blog/?p=8743

  4. Kommentar via Twitter sagt:

    „Was ist besser, Doktorandenbespaßung im Graduiertenprogramm, oder jahrelang am Rockzipfel von Doktorvater/ -mutter? „

  5. Mario Rembold sagt:

    Ehrlich gesagt kann ich diese Kritik nur bedingt nachvollziehen. Natürlich mag manch ein vorgeschriebenes Seminar an der Realität vorbeigehen. So wie es im Straßenverkehr auch sinnlose Ampeln gibt. Grundsätzlich aber kann es doch kein Nachteil sein, wenn Doktoranden über den Tellerrand ihrer eigenen Arbeitsgruppe hinausschauen. Ich finde sogar: ganz im Gegenteil! Und dass Professoren auch Seminare besuchen, bei „Didaktikern, Pädagogen, Psychologen, Heilpraktikern und selbsternannte Expertentrainern“ – wo ist das Problem, sofern die ihren Job gut machen? Ich habe im Studium gelegentlich Erfahrungen mit erfolgreichen Profs gemacht, die solch eine Didaktik-Nachhilfe bitter nötig gehabt hätten. Bei diesen Seminaren stellt doch kein Dozent die fachliche Kompetenz des Professors auf seinem Forschungsgebiet in Frage, sondern es geht darum, wie man Lehre oder die Doktorandenbetreuung optimieren kann. Um das WIE des Vermittelns, nicht um das WAS! Wer da als erfahrener Wissenschaftler von sich behauptet, er brauche nichts mehr dazu zu lernen, der macht mich misstrauisch. Ich stelle eher fest: Wer gut darin ist, mit Menschen zu kommunizieren, sie anzuleiten und zu lehren, der ist in der Regel auch selbst bereit, Neues zu lernen, sich Tipps anzuhören und neue Ideen aufzugreifen.

    Darüber hinaus sollte man bitte auch nicht vergessen, dass in einigen Arbeitsgruppen eben auch unschöne Dinge im Graubereich guter Wissenschaftlicher Praxis passieren (von denen der betreuende Professor natürlich nichts mehr wissen will, sobald die Sache dann publik wird). Da geht es nicht nur um die spektakulären Fälle, sondern auch um unsaubere Statistik oder einfach Dinge, die aus Unerfahrenheit und wegen mangelnder Betreuung, oder durch zu hohen Druck (befristeter Vertrag läuft aus) passieren. Dort, wo ein exklusiver Betreuer in einem abgeschlossenen System namens „unser Labor“ feststeckt, ist die Gefahr doch besonders groß, dass sich Gewohnheiten und Nachlässigkeiten einschleifen, die man sich als Doktorand dann selbst schön redet. Wer gezwungen ist, immer wieder mit anderen Doktoranden zusammen zu kommen und auch mal von ganz anderen Dozenten unterrichtet wird, der könnte vielleicht auch selbstkritischer werden. Spannend gerade dann, wenn hin und wieder unterschiedliche Welten aufeinander treffen. Wieso sollte in Sachen Methoden oder Guter Wissenschaftlicher Praxis nicht auch mal ein Biologe von einem Geisteswissenschaftler lernen – und umgekehrt? Vielleicht ist es unterm Strich ganz gut, ab und zu mal die Pipette beiseite zu legen. Wenn man sieht, wie oft nicht replizierbare Daten voreilig veröffentlicht werden, bräuchten wir vielleicht sogar viel mehr solcher Seminare und Diskussion. Denn Forschung ist doch mehr, als Proben zusammenmixen und mit dem eigenen Doktorvater reden! Eine Doktorandenausbildung ist mehr als das Sammeln eigener Nature-Publikationen!

    Natürlich darf solch ein System nicht die Betreuung durch die Doktormutter oder den Doktorvater ersetzen. Das wäre natürlich fatal. Sondern im Idealfall geht das Hand in Hand. Und selbstverständlich: Es muss Phasen geben, in denen der Doktorand sich voll auf sein Forschungsprojekt konzentrieren kann. Aber diese Kritik hier kommt mir ehrlich gesagt zu pauschal rüber.

  6. Dennis Eckmeier sagt:

    „Da kann es schon mal passieren, dass ein Doktorand zwei bis drei mal in der Woche mitten am Tag die Pipette fallen lässt, um zum Doktorandenseminar zu hetzen.“

    Also zu meiner Zeit (2007-2010) war die Fähigkeit seine Arbeit selbständig zu planen noch Vorraussetzung für einen Doktortitel. Heute muss man wohl alles vorgekaut bekommen?

    Wie auch immer, in Bielefeld hatte ich auch Pflichtveranstaltungen, das waren aber keine Lehrveranstaltungen mit Frontalunterricht für die Doktoranden, sondern Seminare der Departments, Seminare mit externen Sprechern, Arbeitsgruppentreffen und Journal Clubs, bei denen *ALLE* wissenschaftlichen Mitarbeiter anwesend sein sollten, auch die Professoren, Assistenten und Postdocs, und JEDER hat Vorträge gehalten oder Paper vorgestellt. Da wurden alle Probleme durchgesprochen. Und wenn da einer mit schlampiger Statistik her kam, dann wurde das auch besprochen (war natürlich einfacher im Journal Club ;)). Durch die ständige aktive Anwesenheit der Profs in diesen Veranstaltungen, und weil die promovierten Wissenschaftler auch alle da waren, empfand ich das als fundamentalen Teil meiner akademischer Arbeit, und nicht als Lehrveranstaltungen – und gleichzeitig haben die Professoren meiner Meinung nach ihr Wissen und ihre Erfahrung an mich vermittelt. Praxisnah mittels Problemen die mich auch selbst betrafen. Auch in die Lehre wurde ich als Hilfskraft mit eingebunden.

    Davon abgesehen, macht die weitere Verschulung unseren Nachwuchs natürlich nur unselbständiger. Ich habe jedenfalls die Promotionsordnung noch selbst gelesen und zugesehen, dass ich die notwendige Qualifikationen möglichst innerhalb der vorgegebenen Zeit auch erfüllen konnte. Graduiertenkollege finde ich nur insofern hilfreich, als dass die Leute die Chance bekommen, sich mehrere Labors erstmal anzuschauen, bevor sie sich für einen Betreuer entscheiden. Aber man ist natürlich dann wieder auf die Labors in dem Kolleg eingeschränkt.

    Natürlich ist nichts gegen ein oder zwei Workshops pro Jahr einzuwenden. Wieso die auf Doktoranden beschränkt sein sollten, weiß ich nicht.

  7. Ralf Neumann sagt:

    Klar, bezüglich der konkreten Doktorandenbetreuung ist vieles Einzelfall-abhängig und kann kaum pauschal über einen Kamm geschoren werden.

    Mir gibt aber vor allem der letzte Absatz des Beitrags zu denken. Wenn die Unis mehrheitlich sagen, dass sie Doktoranden nicht so gut betreuen können wie andere Einrichtungen, die gar kein Promotionsrecht haben (MPG und Co.) – dann läuft irgendwas schief. Entweder müsste man die Unis wieder in die Lage versetzen, dies genauso ansprechend zu leisten; oder man müsste den anderen Einrichtungen auch das Promotionsrecht zuerkennen (wogegen sich die Unis ja immer wieder wehren) – aber dann auch mit allen Pflichten als Doktortitel-verleihende Institution.

  8. Mario Rembold sagt:

    Letztlich bräuchte man ein paar konkrete Beispiele, um zu wissen, worum es wirklich im oben diskutierten Fall geht. Vor zehn Jahren habe ich auch schon von schlecht betreuten Studenten und Doktoranden gehört, die ihren Professor nie gesehen haben. Und die positiven Beispiele gab es auch damals wie heute. Wo Doktoranden extrem gut betreut sind, ohnehin regelmäßig Tagungen besuchen, diskutieren, hinterfragt werden und selbst hinterfragen, braucht man solche Kolloquien vielleicht nicht. Ich vermute aber, dass gerade in diesen sehr guten Gruppen der Austausch mit anderen gar nicht das große Problem ist. Und extrem hilfreich könnte solch ein System eben für nicht so gut betreute Studenten sein. Eingefahrene Strukturen dort aufzulockern, wo es vielleicht nicht so gut läuft, könnte letztlich für alle Beteiligten nützlich sein. Was ist daran auszusetzen, auch die Professoren selbst einzuspannen, dass sie sich in Punkto Didaktik (oder wie immer man das nennen mag) fortbilden? Und nein, ich finde es eben nicht selbstverständlich, vorauszusetzen, dass ein Uniprofessor von vornherein irgendwelche Kompetenzen mitbringt, die ihn befähigen, Wissen und forschungsrelevante „Soft Skills“ zu vermitteln. Schön wenn es so ist, aber es ist doch nicht Teil der naturwissenschaftlichen Ausbildung!

    Natürlich, was keiner will: Absurde Bürokratie verstärken und Kurse ins Leben rufen, nur um Verwaltungsstellen zu schaffen, von wo aus solche Seminare dann koordiniert werden. Natürlich muss da auch was bei rumkommen für die (jungen und alten) Forscher. Es kommt eben darauf an, was gut und was schlecht gemacht ist. Ich sehe nicht, wieso die Unis durch gut gedachte Konzepte ihre Kompetenz zur Doktorandenbetreuung verlieren. Doch eher im Gegenteil. Oder man müsste mal konkret ein Beispiel haben, wo solch ein System wirklich zum Outsourcing von Kompetenzen führt. Mein Eindruck aus dem Bauch heraus ist eher, dass Vernetzung und der Blick über den Tellerrand prinzipiell gut sind für die Forschung und Wissenschaft. Wahrscheinlich nicht nur im Hinblick auf die Doktoranden.

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