Ist doch egal, wer — die Sache zählt!

20. Februar 2015 von Laborjournal

(In dieser Antwort auf den Beitrag „Leidige Praxisprobleme“ vom 13. Februar verteidigt unser Autor Leonid Schneider das Prinzip der anonymen Kommentare auf der Post-Publikation-Review-Plattform PubPeer.)

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Früher hieß es: Es ist publiziert, also stimmt es! Oft beendete man noch jegliche kritische Diskussion mit den Argumenten des Peer-Review und des Journal-Impaktfaktors. Den Grund dafür, dass publizierte Versuchsergebnisse im eigenen Labor nicht zu reproduzieren waren, suchte man dann ausschließlich bei sich selbst.

Nun kann sich jeder Jungwissenschaftler sofort über die Webseite PubPeer eine darüber hinausgehende Meinung bilden. Denn auch was in Nature, Cell und Science steht, muss man nicht unbedingt treudoof glauben. Unbeantwortete, aber plausible öffentliche Anschuldigungen der Daten-Unzulänglichkeit in einem Paper können schon an dessen Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit rütteln. Endlich geht es dann um Evidenz statt Eminenz — und das ist auch gut so.

Trotz diverser Kinderkrankheiten hat das junge Internetportal PubPeer bereits jetzt einen enormen Beitrag zur Richtigstellung der wissenschaftlichen Literatur geleistet. Sie beherbergt inzwischen doch einige Beispiele, wo Fehler oder auch potenzielle Manipulationen in der Fachliteratur öffentlich und mit Bildbelegen aufgedeckt wurden. Ständig kommen neue dazu. Die Bild-Duplikationen in Shoukhrat Mitalipovs Cell-Paper (Vol. 153(6): 1228-38), das übrigens ohne Peer-Review erschien, wurden in PubPeer erstmals angeprangert — was später zu einer umfassenden und peinlichen Korrektur führte. Die Manipulationen in einem der größten Forschungsskandale der letzten Zeit um die sogenannten STAP-Stammzellen wurden vor allem durch PubPeer bekannt.

Die Bedeutung von PubPeer wird daher immer mehr Wissenschaftlern bewusst. Immer mehr nehmen sie zu den sie selbst betreffenden Kommentaren und Vorwürfen Stellung — dies im Übrigen mal mehr, mal weniger überzeugend. Der israelische Stammzellforscher Jacob Hanna stellte aufgrund der zahlreichen Manipulationsanschuldigungen gegen ihn sogar seine Dissertation ins Internet — und bedauerte die schlechte Betreuung seiner für die Daten zuständigen Medizin-Doktoranden. Ob er damit am Ende die Kritiker und vor allem die Journal-Redaktionen überzeugen wird, ist allerdings eine andere Sache.

Dank PubPeer kamen auch fragwürdige wissenschaftliche Karrieren ins Stocken, sogar ohne dass es einer Retraction bedurfte. Weil Fazlul Sarkar durch das Offenlegen zahlreicher Unstimmigkeiten in seinen Publikationen eine extrem hochdotierte Professur in den USA entgangen war, versuchte dieser die Gründer von PubPeer auf die Herausgabe der User-Klarnamen zu verklage — bis jetzt aber erfolglos.

Zum Kern des PubPeer-Erfolgs gehört nämlich gerade die garantierte Anonymität der Kommentatoren. Sogar die Namen der Gründer, die nach eigenem Bekunden junge frustrierte Wissenschaftler sein sollen, sind unbekannt.

Diese Anonymität wurde bereits öfter kritisiert. Hilda Bastian wog etwa in ihrem Artikel „A Stronger Post-Publication Culture Is Needed for Better Science“ (PLoS Med. 11(12): e1001772) die Pros und Kontras der Anonymität im Post-Publication-Peer-Peview ab — und fand, dass Anonymität keine gute Lösung sei. Sie meint dazu, dass das Risiko, welches Jungwissenschaftler mit der öffentlichen Kritik an der Arbeit ihrer namenstarken und einflussreichen Kollegen eingehen würden, doch nicht so groß sei. Stattdessen sei die öffentliche Anerkennung für deren konstruktive Kritik ein mehr als ausgleichender Karrierevorteil.

Das mag zutreffend sein — allerdings wohl kaum, wenn es um Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens geht. Kaum jemand mag Whistleblower oder — je nach Standpunkt — „Nestbeschmutzer“. Schon fest eingestellte Wissenschaftler haben es nicht unbedingt leicht als Whistleblower — man nehme als prominentes Beispiel nur Paul Brookes, den Gründer der inzwischen wegen rechtlicher Schritte eingestellten Internet-Plattform Science-Fraud.org. Für Doktoranden und Posdocs wären öffentliche Datenmanipulationsvorwürfe gegenüber Professoren und Institutsdirektoren sicherlich erst recht glatter Karriere-Suizid.

Manchen Wissenschaftlern ist der mit dem anonymen Kommentieren verbundene Bruch mit gewohnten Hierarchien und institutionellen Abläufen gänzlich ungeheuer. Sie sehen nicht ein, den unbekannten Kritikern, deren Fachkompetenz oder akademischen Rang sie sowieso anzweifeln, Rede und Antwort stehen zu müssen. So werden Hexenjagden gegen Wissenschaftler beklagt, und viele mutmaßen, dass es den anonymen Kommentatoren bei den Angriffen auf die jeweiligen Forscher lediglich um rufschädigende Schlammschlachten gehen würde. Aber solange die Kritikpunkte wertneutral und ohne persönliche Angriffe formuliert sind, sind es doch zuerst einmal die eigenen publizierten Daten, zu denen die Autoren Stellung nehmen sollen.

Es ist auch gänzlich unwichtig, wer vermeintliche Fehler gefunden hat. Trotzdem weigern sich nicht wenige Wissenschaftler grundsätzlich, auf anonyme Kommentare zu antworten. Auf der anderen Seite ducken sich aber auch einige unter den Schutz der Anonymität, um gegen PubPeer Stellung zu nehmen. Sie verlangen, PubPeer-User sollen, wie auf PubMed Commons, nur unter eigenem Namen posten. Dabei drängt sich bei manchen PubPeer-Diskussionen wiederum der Eindruck auf, die anvisierten Autoren selbst würgten hin und wieder, anonym als angebliche unbeteiligte Fachkollegen getarnt, die berechtigte Kritik an ihren eigenen Daten ab. Als Standartargumente dienen solchen „Sockenpuppen“-Kommentatoren die Verweise auf billige Verfahrensfehler — und wenn Manipulationen kaum noch zu leugnen sind, die angebliche „Trotz alledem“-Reproduzierbarkeit der Befunde sowie das hohe Ansehen der Autoren in dem jeweiligen Fach.

Die PubPeer-Kritiker fordern weiterhin, dass die Kommentare von einer Redaktion überwacht und zensiert werden sollen. PubPeer entfernt aber grundsätzlich alle potentiell beleidigenden oder verleumderischen Kommentare. Was meist bleibt, sind die relativ sachlichen, wenn auch manchmal etwas emotionale Meinungen über die Unstimmigkeiten in den Veröffentlichungen.

Natürlich sind auch jede Menge Fehlalarme dabei. Aber: die korrespondierenden Autoren der betreffenden Veröffentlichungen werden automatisch über jeden Kommentar umgehend informiert. Von daher steht ihnen frei, jederzeit dazu Stellung zu nehmen und bei Bedarf die Originaldaten anzubieten, um Unklarheiten zu beseitigen. Die PubPeer-User sind für jede Klarstellung grundsätzlich dankbar, und ein Missverständnis lässt sich eigentlich recht leicht aus der Welt schaffen. Geht es den Verfechtern starker redaktioneller Kontrollen daher vielleicht doch nicht eher darum, sämtliche Vorwürfe der Datenmanipulation sofort als potentiell rufschädigend zu löschen?

Früher flatterten die anonymen Vorwürfe der Datenmanipulation lediglich in die Postfächer der Universitäten und Journals — und fielen auf diese Weise des Öfteren in die Kategorie „Gelesen, gelacht, gelöscht“. Es kann sein, dass es nun in dieser Hinsicht eine Welt vor und nach PubPeer geben wird. Zumindest können sich echte Pfuscher und Betrüger hinter ihren institutionellen Burgmauern nicht mehr ganz so geschützt und unangreifbar fühlen.

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3 Gedanken zu „Ist doch egal, wer — die Sache zählt!“

  1. Ralf Neumann sagt:

    PubPeer scheint nicht immer wirklich hilfreich, um die Voraussetzungen für echte Post-Publication-Diskussionen zu schaffen: http://tinyurl.com/mts3hmt

  2. Es ist wirklich ein schwer zu lösendes Dilemma: zum einen braucht man Anonymität um sich selbst zu schützen (da gibt es in der tat viele Beispiele und denkbare Szenarien).
    Zum anderen öffnet die Anonymität dem Betrug Tür und Tor, gerade in der heutigen Zeit, wo die zunehmende Konkurrenz zu immer halsabschneiderischen Taktiken führt.
    Das war schon seit der Einführung des heute traditionellen Gutachterwesens der Fall, und ist es in diesem speziellen Fall des modernen Gutachterwesens 2.0 ebenso.
    Vielleicht wäre eine Lösung, den betrug in Grenzen zu halten, auch eine ähnliche? Also dass man auf PubPeer zwar anonym posten kann, es aber Menschen gibt, die die Identität der Nutzer kennen und bei Missbrauch (und nur dort!) auch verfolgen können? Das bedeutet natürlich, dass erst bei nachgewiesenem Missbrauch die Anonymität aufgehoben werden darf und nicht zum Zwecke des Nachweises. Diese Option würde auch eine abschreckende Wirkung auf potentielle Betrüger haben.

    Hier mein Szenario, wieso ich glaube, dass der momentane Zustand nicht tragbar ist:
    „Natürlich sind auch jede Menge Fehlalarme dabei. Aber: die korrespondierenden Autoren der betreffenden Veröffentlichungen werden automatisch über jeden Kommentar umgehend informiert. Von daher steht ihnen frei, jederzeit dazu Stellung zu nehmen und bei Bedarf die Originaldaten anzubieten, um Unklarheiten zu beseitigen. “

    Stellen wir uns den Fall vor, ich habe eine Einladung zum Vorstellungsgespräch bekommen und habe gute Aussichten zu den Top-Kandidaten zu gehören. Allerdings gibt es zwei Konkurrenten, die ich unbedingt ausschalten muss. Flugs Kommentare unter verschiedenen Accounts gepostet, in denen steht, dass Abbildungen im Paper so aussehen, wie die in der Dissertation, aber mit anderem Ergebnis. Bis heraus kommt, dass dem gar nicht so ist, habe ich die Stelle schon, denn keiner würde jemanden auf die Liste schreiben, der diese PubPeer Kommentare hat. Die Konkurrenten wären zwar rehabilitiert, aber ohne Job, der Betrüger jedoch mit fester Anstellung und sicher vor Verfolgung. Ich kann mir nur wenige Situationen vorstellen, in denen man sich mit weniger Risiko eine Versorgung auf Lebenszeit erschleichen könnte. Mit so geringem Risiko und so hohen Einsätzen ist es nur eine frage der Zeit, bis so etwas passiert – wenn es nicht schon passiert ist.

  3. Leonid Schneider sagt:

    Lieber Björn,
    zunächst einmal ist jeder der als „Peer“ postet, mit seinem richtigen Namen bei PubPeer registriert. Gerade wird in einem PubPeer-Topic darüber diskutiert, die „Unregistered Submission“ komplett abzuschaffen, die tatsächlich weg sollte (Kategorie „Kinderkrankheiten“).
    Dein Szenario würde aber für den Betrüger nach hinten losgehen, sobald die Arbeitgeber nur sehen, wie frisch die Anschuldigungen sind und dass nur bei einem der Kandidaten zu der Zeit keine Einträge erfolgten.
    Letztendlich gibt es natürlich nirgendwo absolute Sicherheit.

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