Wann ist Schluss mit Zitieren?

4. November 2014 von Laborjournal

Ihn muss man schon lange nicht mehr zitieren

Jeder Labor-Biologe stellt mit dem pH-Meter seine Puffer ein. Muss er daher später in seinen Veröffentlichungen den dänischen Chemiker Søren Peder Lauritz Sørensen zitieren — weil dieser 1909 erstmals das Konzept der pH-Skala vorstellte?

Oder nehmen wir Johannes Thal. 1577 beschrieb der Erfurter Arzt und Botaniker erstmals die Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana. Gut vierhundert Jahre später avancierte Thals „Pflänzchen“ bekanntlich zu dem Modellorganismus der Pflanzenforschung schlechthin. Allein die Literaturdatenbank Web of Science listet heute 95.000 Artikel unter dem Stichwort „Arabidopsis„. Wahrscheinlich hat nicht einer Thal in der Referenzliste.

Sørensen und Thal könnten folglich zu den meistzitierten Männer der wissenschaftlichen Literatur gehören — tun sie aber nicht. Und das ist auch richtig so. Denn irgendwann gehören Dinge einfach zum allgemeinen (Fach-)Wissen oder Handwerk, so dass die entsprechenden Zitierungen ziemlich überflüssig, ja sogar eher peinlich wirken. 

Der Evolutionsforscher Dan Graur von der University of Houston stieß kürzlich in seinem Blog Judge Starling wie folgt in die gleiche Kerbe:

Why do we even need to cite Darwin’s book. Does he need it for promotion and tenure? When we mention the “mitochondrial Eve” do we cite the Bible? When we write about DNA, do we cite Miescher or Watson and Crick.

Wie aber steht es angesichts des Gesagten mit den Herren Oliver Lowry und Ulrich Laemmli sowie Frau Marion Bradford? Laemmli fuhr 1970 das erste SDS-Polyacrylamidgel, Lowry und Bradford entwickelten 1951 beziehungsweise 1976 unterschiedliche Methoden zur Proteinbestimmung. Alle drei Methoden gehören seit Jahrzehnten zur absoluten Routine in jedem biochemisch-molekularbiolgischen Labor. Dennoch werden die Drei bis heute weiterhin fleißig zitiert — zuletzt jeweils runde 50mal pro Jahr.

Irgendwie haben die Drei einfach Glück gehabt, dass man ausgerechnet sie — wahrscheinlich aus Faulheit, die Methode im Paper genauer zu beschreiben — immer noch zitiert. Viele andere hatten dieses Glück nicht — wie beispielsweise der Schwede Arne Tiselius, der 1937 die Agarosegel-Elektrophorese in der heute noch gängigen Form veröffentlichte. (Womit sich zugleich die Frage stellt, warum man in den Methodenteilen heutiger Veröffentlichungen Proteinbestimmung und SDS-PAGE noch extra ansprechen muss, Agarosegele hingegen nicht.)

Und so ist es schließlich auch kein Wunder, dass Nature gerade die Artikel von Lowry, Bradford und Laemmli als die drei meistzitierten wissenschaftlichen Veröffentlichungen aller Zeiten präsentiert.

Schön für sie. Und klar, methodische Fortschritte sind enorm wichtig für den wissenschaftlichen Fortschritt. Dennoch aber stehen Lowry, Bradford und Laemmli wohl kaum auf einer Stufe mit Darwin, Miescher oder Watson & Crick. Oder Albert Einstein, Robert Koch, Louis Pasteur, Alexander Fleming,…

Ach so, stimmt — es geht ja nur um Zitierungen….

(Illustr.: Mary Ann Reilly)

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