Wachsweiche Zitierzahlen

8. Mai 2013 von Laborjournal

Aus der Reihe „Spontane Interviews, die es nie gab — die aber genau so hätten stattfinden können”. Heute: Prof. C.H. Eck, Ordinologisches Institut TU Prüftal.

LJ: Frau Professor Eck, Sie scheinen amüsiert. Falls es so ist — darf ich fragen, worüber Sie sich amüsieren? 

Eck: Über Zitate.

LJ: Ach ja? Aber Zitierungen sind doch ein ernstes Geschäft in der heutigen Wissenschaft. Was ist denn passiert?

Eck: Ich habe mir mal sämtliche Paper genauer angeschaut, die einen gewissen Artikel von mir zitieren.

LJ: Was heißt „genauer angeschaut“?

Eck: Das heißt, ich habe nachgesehen, in welchem Zusammenhang sie mein Paper zitieren. Und ob das gerechtfertigt ist oder nicht, ob richtig oder falsch,…

LJ: Interessant. Und was kam raus, dass es Ihnen dieses süffisante Lächeln auf Ihr Gesicht zaubert?

Eck: Mein Artikel wurde laut Google Scholar 32-mal zitiert. Ich selbst sehe es jedoch in nur 60 Prozent der Fälle als tatsächlich passend und gerechtfertigt an, dass und wie ich in dem jeweiligen Paper zitiert wurde.

LJ: Und die anderen 40 Prozent?

Eck: Na, da hat das Zitat eben nicht gestimmt. In den schlimmsten Fällen hatten die Autoren meinen Artikel gar nicht verstanden — so dass ich selbst auch gar nicht kapierte, warum die mich zitieren. In anderen Fällen hat mein Artikel thematisch zwar grundsätzlich gepasst, wurde aber ausgerechnet an einer Stelle und zu einem Aspekt zitiert, zu dem er gerade nichts beigetragen hatte. In weiteren Fällen wurde er für etwas zitiert, was andere Arbeiten bereits vor uns herausgefunden hatten — und die ich entsprechend in meinem Artikel auch als Referenz angegeben hatte. Da hätten die Autoren also die Artikel aus meiner Referenzliste und nicht mich zitieren müssen. Und nochmals vier Paper hatten meinen Artikel zufällig als beispielhafte Referenz für etwas ausgewählt, wofür sie auch gut zwei Dutzend andere Artikel hätten nehmen können.

LJ: Puh, hätte ich so nicht unbedingt gedacht. Was sagt Ihnen das jetzt allgemein?

Eck: Ich denke, dass das kein Einzelfall ist. Und es macht einen natürlich skeptisch, ob Zitierzahlen am Ende tatsächlich bedeutsame Indikatoren des Wertes von Forschungsleistungen sind. In meinem obigen Fall würde der „Wert“ meines Artikels auf diese Weise erstmal überschätzt. Auf der anderen Seite gibt es aber sicher auch einige Paper, die meinen Artikel hätten zitieren müssen — dies aber nicht getan haben.

LJ: Das hieße doch aber, dass Zitierzahlen als Gradmesser für Forschungsqualität womöglich viel wachsweicher sind als die meisten denken.

Eck: Genau.

LJ: Und das amüsiert sie?

Eck: Ja. Weil ich mich irgendwie bestätigt fühle. Ich habe schon früher gesagt, man soll diese ganze aufgeblasene Bibliometrie nicht so wichtig nehmen. Tut man das nämlich, dann werden diese ganzen Zahlen irgendwann mal zum Selbstzweck — zum primären Ziel, nach dem Du Deine Forschung ausrichtest. Du strebst nicht mehr nach Erkenntnis per se, sondern vor allem nach hohen Zahlenwerten. Und mit diesem Sog bereitet die Bibliometrie, so nützlich sie bisweilen auch sein mag, der Forschung letztlich einen gefährlichen Bärendienst.

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2 Gedanken zu „Wachsweiche Zitierzahlen“

  1. Sven D. sagt:

    Quelle: http://ecodevoevo.blogspot.de/2013/05/you-keep-citing-our-paper-i-dont-think.html

    Habt Ihr doch gerade selbst vor ner Woche oder so getwittert und unterstreicht die These, dass das fiktive Interview „genau so hätte stattfinden können“…. 😉

  2. Und weil das so ist, gibt es auch neben Lamentieren, Meinungsbilden und Argumentieren noch zwei Wege aus dem Dilemma: erstens, man versucht alles Zählen wieder abzuschaffen, oder zweitens, man entwickelt so viele Variablen, die man zählen kann, dass jede einzelne Zahl kaum noch etwas wert ist – Inflation.

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