Vom Ruhm der Täufer

13. März 2013 von Laborjournal

Klare Begriffe sind wichtig, keine Frage. Schließlich muss man wissen, worüber man redet. Gerade in der Wissenschaft.

Wo käme man denn hin, wenn man etwa „Kernteilung“ sagt — und der eine denkt an die gewöhnliche somatische Teilung, die andere dagegen an die Reifeteilungen der Keimzellen. „Mitose“ und „Meiose“ machen als Begriffe also Sinn — schaffen unmittelbar Klarheit, worüber man spricht.

Die Kehrseite solcher Namensfindung jedoch ist, dass manche Leute Begriffe einführen wollen, wo sie gar nicht notwendig oder kaum passend sind — oft nur mit dem Hintergedanken, dass der entsprechende Begriff auf ewig mit ihrer „Tauf-Person“ verknüpft sei. Wie der Calvin-Zyklus, das Broca-Areal oder die Homöobox mit Walter Gehring.

So wird beispielsweise auch Nobelpreisträger Sydney Brenner nicht müde immer wieder zu betonen, dass er damals den Begriff „Codon“ kreiert habe — und zwar bevor Marshall Nirenberg und Co. den genetischen Triplett-Code effektiv entschlüsselten. Was unlängst einen Zeitzeugen der molekularbiologischen Pioniertage zu dem süffisanten Kommentar veranlasste: „Ach der Brenner, der will doch damals die Ideen zu allem zuerst gehabt haben.“

Passend dazu auch eine Anekdote, die dem Autoren dieser Zeilen selbst passiert ist — wenn auch bereits vor einiger Zeit: Die Daten für ein Kooperations-Paper waren gerade fertig, der Entwurf für ein erstes Manuskript stand an. Da sagte der ehrgeizige Nachwuchs-Gruppenleiter zu dem frisch gebackenen Postdoc (also zu mir): „Wir müssen uns unbedingt noch einen schnittigen Begriff für das Phänomen ausdenken.“ Und als ich ihn fragend anschaute, fügte er mit verschwörerischem Lächeln hinzu: „Klar, den braucht’s für unser Paper nicht wirklich. Aber wer weiß jetzt, was daraus werden kann? Am Ende geht das Feld auf wie ein Hefeteig — und dann haben wir den Claim quasi per Begriffshoheit schon abgesteckt.“

Wir veröffentlichten das Paper schließlich ohne neuen Begriff. Alles, was uns einfiel, klang am Ende doch allzu arg übertrieben — weshalb wir es ließen. Was der niedere Zweck solcher Namens-Schöpfungen sein kann, war mir dadurch allerdings nur allzu klar.

Und es ist damit ja nicht gerade besser geworden zuletzt. Vor allem seit man nach dem Genom weitere „-ome“ aus dem Ärmel schütteln kann wie Sand aus dem Strand-Handtuch, vergeht keine Woche, ohne dass die Anhängsel „-om“ oder „-omik“ — manchmal mehr, öfter weniger passend verknüpft — im Titel irgendwelcher Paper auftauchen.

Eine Reihe US-Forscher veranlasste diese „-Om-Manie“ kürzlich, den Aufsatz „The Biological Observation Matrix (BIOM) format or: how I learned to stop worrying and love the ome-ome“ als Technical Note in der Zeitschrift GigaScience (Vol. 1: 7) zu veröffentlichen. In einem begleitenden Kommentar schreibt der US-Mikrobiologe Jonathan Eisen dazu:

In this issue of GigaScience, McDonald et al. track one aspect of this spread in the emergence of new “ome” words. They describe the collection of omics terms as the “ome-ome”. The main point of their analysis of the ome-ome is that, well, omics is everywhere. […] The increasing size of the ome-ome suggests (to me at least) that the drive to add “ome” or some variant of it to just about anything is a meme (a spreading cultural practice).

[…] But as the world of genomics has changed, so has the world of scientific discourse. […] And much of this discussion is not so supportive. I should know, as I have become — for better or worse — a hub of much of the critiques, a result of giving out “Awards” such as the “Worst New Omics Word Award” and “Badomics Word of the Day Award”. Examples of some of the “winners” include: sexome, circomics, nascentome, connectome, predatosome, negatome, diseasome, receptorome, uniqueome, drugome, adversomics, bibliome, N-terminome, transactome, nutriome, miRNAome, tRNomics, variome, speechome, vaccinomics, pharmacomicrobiomics, and museomics.

Klare Sache von „-ome, die die Welt nicht braucht“. (Siehe auch dieses Lab Times-Editorial)

Aber es sind nicht nur die „-ome“. Anfang des Monats präsentierten Lloyd Smith und Neil Kelleher im Namen des sogenannten „Consortium for Top Down Proteomics“ in Nature Methods den nächsten Knaller: „Proteoform: a single term describing protein complexity“ titelten sie ihre Correspondence (Vol. 10: 186-7). „Proteoform“ soll demnach alle Formen beschreiben, die ein einzelnes Protein annehmen kann. Die bereits bekannte „Protein-Isoform“, so die Autoren, sei hierzu nicht ausreichend, da diese nur die genetische Variation bei der Übersetzung ein und desselben Leserasters in ein Protein umfasst. Spätestens sämtliche Modifikationen, die nach der Translation stattfinden, würde der Begriff aber nicht treffen. Auch die „Protein-Spezies“ wäre in der hergebrachten Bedeutung nicht geeignet, da dieser Begriff wiederum nicht zwischen Proteinformen unterscheidet, die von demselben Gen stammen oder von verschiedenen.

Wer noch genauer wissen will, was denn nun die „Proteoform“ von weiteren, teilweise überlappenden Begriffen wie „Proteinform“ und „Proteinvariante“unterscheidet, den verweisen wir an dieser Stelle auf das Original-Paper. Nur noch ein paar Zitate (von hier) dazu, wie das Konsortium ihre „Namens-Schöpfung“ vermarktet:

“It’s not just a term, it’s a movement,” says Kelleher

‚Proteoform‘, they say, will help solve these issues, and they have begun using it in their work. „We find it to be intuitive and readily grasped by readers and audiences. It has an aesthetic appeal, as the simple protein analog of the genetic term ‚isoform‘,“ they add.

At their latest conference in Florida, about a month ago, Kelleher says that “everyone” was using “proteoform” in their talks. “It just catches on…it fills a void the rolls right off the tongue at conferences and sits well in the gut while digesting text,” he says.

Wow, die scheinen ziemlich überzeugt von ihrer „Proteoform“. Und auch im LinkedIn-Forum des Konsortiums wird dessen Begriffs-Vorstoß durchaus positiv diskutiert. Aber ob die „Proteoform“ am Ende wirklich hilft, dass die Betroffenen besser über das reden können, was sie meinen — das muss sich noch zeigen.

Doch selbst wenn die Communitiy die „Proteoform“ am Ende tatsächlich annimmt: Im Zweifelsfall hatte Sydney Brenner diesen oder einen gleich gemeinten Begriff wahrscheinlich sowieso bereits vor Jahrzehnten sinnierend auf irgendeinen Zettel gekritzelt.

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