Gewichtiger Rückzug

8. Mai 2012 von Laborjournal

Edward Shang mit der Ernennungsurkunde zum International Fellow der American Society for Metabolic and Bariatric Surgery

(mit Updates zum weiteren Fortgang in den Kommentaren!)

Unser Lab Times-Kolumnist Ivan Oransky berichtet gerade in seinem Blog Retraction Watch über die Ereignisse rund um den frischen Rückzug einer Veröffentlichung des Leipzigers Edward Shang (hier und hier). Seit 2010 leitet Shang dort die Sektion für Adipositas Chirurgie in der Klinik und Poliklinik für Viszeral-, Transplantations-, Thorax- und Gefäßchirurgie. Kurz zuvor hatte er noch unter seiner Adresse an der Mannheimer Uniklinik als Erstautor (!) das Paper “Aerobic endurance training improves weight loss, body composition, and co-morbidities in patients after laparoscopic Roux-en-Y gastric bypass” in Surgery for Obesity and Related Diseases (Vol. 6(3): 260-6) veröffentlicht. Dieses wurde jetzt vom Chief Editor Harvey Sugerman zurückgezogen.

In der Retraction Notice schreibt er:

This article has been retracted at the request of the Editor-in-Chief.

This article has been retracted as the senior author, Dr. Edward Shang, claimed that 60 patients had undergone gastric bypass whereas only 21 patients had undergone surgery during this time period. Dr. Shang was unable to provide the raw data for the study, the name of a single patient, or a witness to patient entrance into the trial. Dr. Shang has agreed to withdraw this manuscript from publication.

Shang hat also offiziell niemals 60 Patienten der entsprechenden Magenbypass-Operation unterzogen, sondern höchstens 21. Und manche befürchten gar, dass er gleich alle 60 Patienten „erfunden“ habe. Shangs Schlussfolgerung jedenfalls, dass sportliche Betätigung nach der Operation zu noch schnellerem Abnehmen und besserer Gesundheit führe, ist damit wissenschaftlich obsolet — auch wenn sie plausibel erscheint.

Die Geschichte geht allerdings noch ein wenig weiter. Sugerman informierte daraufhin seinen Kollegen Scott Shikora vom Journal Obesity Surgery über die Angelegenheit, da Shang dort ebenfalls vier Artikel veröffentlicht hatte (siehe hier). Letzte Woche meldete sich Shikora und teilte mit, er habe diese vier Publikationen jetzt geprüft — mit dem Ergebnis, dass keine davon zurückzuziehen sei. Shikoras einzige Begründung: Die Rolle Shangs bei allen vier Publikationen sei „minimal“ gewesen. Was zumindest in einem Fall sofort für Stirnrunzeln sorgt, da Shang den betreffenden Artikel wiederum als Erstautor zeichnete.

Wie auch immer, der Lack ist erstmal ab von der kürzlich noch bejubelten ersten deutschen Professur für Adipositas-Chirurgie (oder wie es auch heißt: Bariatrische Chirurgie). Damals feierten viele Shang noch als Hoffnungsträger. Beispielsweise der langjährige Berliner Arya Mitra Sharma, inzwischen auf dem Alberta Health Services Chair in Obesity Research and Management an der University of Alberta in Edmonton, der in seinem Blog Dr. Sharma’s Obesity Notes schrieb:

[…] the University of Leipzig is now well poised to take the lead in obesity research and management for Germany, a clear first in the rather conservative German academic landscape. […]

Shang’s expertise in modern minimally invasive surgery, including natural orifice surgery (NOTES), which includes performing complex bariatric surgery without having to cut open the patient, will offer a wide range of opportunities for cutting-edge (no pun intended) research in this rapidly evolving field.

As a member of the Scientific Advisory Board to this German Centre of Excellence, I congratulate Dr. Shang on this distinction and very much look forward to meeting him on my next trip to Leipzig.

Jetzt ist auch er geschockt. An Retraction Watch schrieb Sharma:

Certainly these are most grave charges and come as a shock. As you note, based on his work in Mannheim (where this paper originated), Dr. Shang certainly appeared a most promising future leader of bariatric surgery in Germany. I am sure his current employers will look at these charges carefully and, if substantiated, are sure to take appropriate measures.

Hoffentlich behält er Recht mit Letzterem.

 

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9 Gedanken zu „Gewichtiger Rückzug“

  1. Ralf Neumann sagt:

    Irgendetwas ist komisch: Gerade haben wir festgestellt, dass das oben erwähnte Erstautor-Paper von Shang in Obesity Surgery bereits am 2. Mai per Online-Retraction Note zurückgezogen wurde. Darin heißt es kurz und knapp:

    This article is being retracted by the Publisher due to the inclusion of fraudulent data within the article.

    Abgesehen davon, dass damit natürlich noch mehr Lack von Shang abblättert — warum sagt dann Obesity Surgery-Chief Editor Scott Shikora einige Tage später zu Retraction Watch, dass es keinen Grund gebe, irgendwelche Veröffentlichungen von Shang in seinem Journal zurückzuziehen? Oder haben die Retraction Watch-Leute ihn womöglich falsch verstanden?

  2. Ralf Neumann sagt:

    Ivan Oransky von Retraction Watch hat sich der Sache nochmals angenommen (Hi Ralf, thanks for this. Something strange is going on. […] I’m trying to pin this down and will post shortly. Ivan). Und sie wird immer seltsamer. Auf Ivans Anfrage, warum Scott Shikora als Chief Editor von Obesity Surgery nicht wusste, dass Shangs Artikel bereits aus seinem Journal zurückgezogen war, und stattdessen behauptete, er sei nach eigener Prüfung aller (!) Shang-Paper zu dem Schluss gekommen, das keines (!) zurückzuziehen sei, antwortete dieser:

    I thought that the article was still in peer review and could be withdrawn from review. However, when I realize now that it had already published online. A retraction is underway.

    Ähem, also nochmal: Shikora dachte, dass ein Paper, das bereits seit zwei jahren veröffentlicht ist, noch in der Begutachtung sei. Und schreibt jetzt, dass die Retraction, die bereits getätigt ist, unterwegs sei.

    Irgendwie geht das nicht zusammen. Entweder verhaspelt sich da gerade jemand ziemlich ungeschickt in zunehmend dubiosen Ausflüchten, oder es ist tatsächlich noch ein weiteres bisher unveröffentlichtes Shang-Paper im Spiel — wie Ivan andeutet:

    That suggests there may be yet another paper involved.

  3. Ralf Neumann sagt:

    Frisch aus der Öffenlichkeitsarbeit von Universität und Universitätsklinikum Leipzig:

    Publikationen zu bariatrischer Chirurgie aus dem Universitätsklinikum Mannheim zurückgezogen

    (lifePR) Leipzig, 09.05.2012, Universität und Universitätsklinikum Leipzig wurden am 2. Mai 2012 von Herrn Prof. Edward Shang über die Rücknahme einer während seiner Tätigkeit am Universitätsklinikum Mannheim (Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg) entstandenen und dort im Februar 2010 in der Zeitschrift „Surgery for Obesity and Related Diseases“ publizierten Arbeit in Kenntnis gesetzt. In der Studie an Patienten nach bariatrischer Chirurgie liegen nach Mitteilung der Autoren Diskrepanzen zwischen den publizierten Ergebnissen und den zugehörigen Rohdaten vor. Am 3. und 4. Mai 2012 haben Universität und Universitätsklinikum Leipzig darüber hinaus erfahren, dass insgesamt 5 weitere Mannheimer Publikationen aus den Jahren seit 2003 mit Prof. Shang als Erstautor und dem Ärztlichen Direktor der Mannheimer Chirurgie und anderen Kollegen als Koautor ebenfalls zurückgezogen wurden. In einem Fall wurde die Rücknahme der Publikation in der Zeitschrift „Obesity Surgery“, für die der Seniorautor als Advisory Editor tätig ist, am 2. Mai 2012 durch den Verlag bestätigt. Als Begründung wurde vom Verlag „inclusion of fraudulent data“, also der Einschluss betrügerischer Daten in die Publikation angegeben.

    Die Universität und das Universitätsklinikum Leipzig, wo Prof. Shang seit September 2010 arbeitet, sind bisher noch nicht durch die Universität Heidelberg über diese Vorgänge informiert worden. Nach gründlicher Abwägung haben das Universitätsklinikum Leipzig und Prof. Shang auch ohne Vorliegen der Untersuchungsergebnisse zu dem wissenschaftlichen Fehlverhalten an der Universität Heidelberg (Medizinische Fakultät Mannheim) das bestehende Anstellungsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen mit sofortiger Wirkung beendet.

    Die operative Versorgung der übergewichtigen Patienten ist durch das Team der bariatrischen Chirurgie in vollem Umfang ebenso sichergestellt wie die Fortführung der aktuell in Leipzig laufenden Forschungsprojekte. Die von Prof. Shang während seiner Zeit in Leipzig als Autor oder Koautor veröffentlichen Arbeiten enthalten in zwei Fällen (ein Positionspapier, eine Leitlinienpublikation) keine Originaldaten , in einem weiteren Fall haben sich die Daten nach Prüfung als korrekt erwiesen. Die noch nicht publizierten Daten aus laufenden wissenschaftlichen Projekten in Leipzig, an denen Prof. Shang beteiligt war, werden gegenwärtig von einer unabhängigen Kommission geprüft.

    Das Universitätsklinikum und die Universität Leipzig bedauern diese Entwicklung außerordentlich, da Prof. Shang seit September 2010 hervorragende, von Patienten und Kollegen ausnahmslos hoch geschätzte klinische Arbeit geleistet hat.

    ————————————–

    Jetzt wollte ich diese Pressemitteilung gerade mit dem zugehörigen Link http://www.lifepr.de/inaktiv/universitaetsklinikum-leipzig-aoer/boxid/312843 versehen — doch ist die Meldung dort plötzlich verschwunden und es erscheint vielmehr:

    null

    Was ist da jetzt los?

  4. Ralf Neumann sagt:

    Die Pressemeldung ist auf der Seite der Universitätsmedizin Leipzig in unveränderter Form wieder aufgetaucht:
    http://www.uniklinikum-leipzig.de/r-presse.html?modus=detail&pm_id=395

  5. Kommentar per Email sagt:

    Prof. Shang hat im gegenseitigen Einverständnis die Uni Leipzig verlassen.

  6. Ralf Neumann sagt:

    Auch das Universitätsklinikum Mannheim, Shangs Dienstherr bis 2010 und daher Entstehungsort der jetzt zurückgezogenen Studien, tritt in Aktion:

    09.05.2012

    Medizinische Fakultät prüft mutmaßliches Fehlverhalten eines ehemaligen Mitarbeiters

    Die Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg hat von dem mutmaßlichen wissenschaftlichen Fehlverhalten eines früheren Mitarbeiters Kenntnis erhalten. Der Chirurg Professor Dr. Edward Shang hat wissenschaftliche Publikationen, deren Autor er ist, auf Veranlassung seines ehemaligen Vorgesetzten an der Universitätsmedizin Mannheim, Professor Dr. Stefan Post, zurückgezogen, weil sie auf Ergebnissen von Studien beruhen, die in dieser Form offenbar gar nicht durchgeführt worden sind.

    Professor Shang ist inzwischen Mitarbeiter des Universitätsklinikums Leipzig. Er ist im August 2010 von der Universität Leipzig auf die Professur für Bariatrische Chirurge berufen worden und leitet die Sektion Bariatrische Chirurgie am dortigen Universitätsklinikum.

    Der im Oktober 2011 in das Amt des Dekans der Medizinischen Fakultät Mannheim eingeführte Professor Dr. Uwe Bicker drängt auf eine umfassende Aufklärung der Vorwürfe. In Übereinstimmung mit Professor Dr. Stefan Post, Direktor der Chirurgischen Klinik, wurden alle Maßnahmen eingeleitet um den Vorgang unverzüglich systematisch aufzuklären. Der Habilitationsausschuss der Fakultät ist informiert worden. Das Gremium prüft das mutmaßliche Fehlverhalten von Professor Shang und hat eine schriftliche Stellungnahme von ihm angefordert. Sollte sich der Verdacht gegen Professor Shang bestätigen, wird ihm die Fakultät die venia legendi – und damit die Lehrbefugnis – entziehen.

    „Sollten sich die Verdachtsmomente gegen Herrn Professor Shang erhärten, so kann die Medizinische Fakultät ein solches Fehlverhalten nicht tolerieren – nicht zuletzt weil dies dem Ansehen der medizinischen Forschung insgesamt schaden würde“, so der Dekan der Medizinischen Fakultät Mannheim, Professor Bicker.

    Die Fakultät wird außerdem neben der an der Universität Heidelberg eingerichteten „Kommission zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten“ eine eigene Kommission bilden, die Mechanismen entwickeln soll, um die Sensibilität für mögliches Fehlverhalten weiter zu erhöhen.

  7. Ralf Neumann sagt:

    Drei weitere Paper von Shang wurden zurückgezogen — siehe hier.

  8. Entrüstet,
    Leipzig schafft sich ab, der Neid war wohl größer und die Welt leckt die Zähne nach dieser Koryphäe. Ich wünsche Prof. Shang (Gottvater der Bariatrische Chirurgie ) alles Gute, er hat mir mehr wie geholfen, ein sehr feiner Mensch.
    Er wurde mit Geld hier in Leipzig zugeschüttet, er zeigt, auch Geld unterliegt dem wissenschaftlichen Individualismus.
    Danke, Herr Prof. Shang

  9. Vielen Dank für diesen Beitrag zum Thema Chirurgie. Ich suche ein Chirurgische Vorsorge. Interessant, dass Shang offiziell niemals 60 Patienten der entsprechenden Magenbypass-Operation unterzogen hat, sondern höchstens 21.

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