Bildungsneuroforschung

13. Oktober 2009 von Laborjournal

decission

Max-Planck-Institut für Bildungsforschung — ein Name, der förmlich riecht nach gerunzelter Denkerstirn und Debatten in Ledersesseln. Das stimmt jedoch nicht ganz: auch die Neurowissenschaften haben im Berliner Institut mittlerweile ein Plätzchen gefunden. Wenigstens in der Nachwuchsgruppe von Hauke Heekeren. Diese untersucht unter anderem mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) und Elektroenzephaolografie (EEG) die neurobiologischen Grundlagen der Entscheidungsfindung.

Die jüngsten Früchte dieser Bemühungen durften sie nun in PNAS (Band 106 (42): 17951-56) beschreiben. Des langen Papers kurzes Fazit: Wie schnell und flexibel jemand eine belohnungsabhängige Entscheidung trifft, hängt unter anderem von der jeweiligen Variante des Enzyms Catechol-O-Methyltransferase (COMT) ab. Dieses Enzym baut den Neurobotenstoff Dopamin ab, der eine Schlüsselrolle im Entscheidungslernen spielt. Positiv empfundene Entscheidungen, die eine Belohnung nach sich ziehen, führen zu einer vermehrten Ausschüttung von Dopamin und werden daher als vorteilhaft erlernt.

Das COMT-Enzym kommt nun in zwei Varianten vor, die den Dopaminspiegel in unterschiedlicher Stärke beeinflussen: COMT-Met und COMT-Val (Met/Met- oder Val/Val-Genotyp). Erstautorin Lea Krugel und Co. fanden nun, dass Menschen mit der COMT-Val-Variante deutlich schneller aus überraschenden Ergebnissen lernten und flexibler entschieden als COMT-Met-Genotypen. Gleichzeitig fanden sie per fMRT in den Hirnen von COMT-Val-Personen eine höhere Dopamin-abhängige Aktivität im Striatum sowie ein intensiveres Zusammenspiel zwischen Striatum und Stirnhirn (präfrontaler Kortex).

COMT-Val-Homozygote dürften also einen Verhaltensvorteil gegenüber ihren COMT-Met-Artgenossen haben. Und tatsächlich hat die COMT-Val-Variante in menschlichen Population ein deutliches Übergewicht. Mehr noch: Die Val-Variante ist phylogenetisch gesehen sogar älter. Dass sich dennoch daneben eine zahlenmäßig relativ stabile Minderheit mit Met-Variante etablieren konnte, kann eigentlich nur heißen, dass schnelleres und flexibleres Entscheiden doch nicht die ganz großen Vorteile bringt.

Was das Ganze nun mit Bildungsforschung zu tun hat? Nehmen wir’s lieber umgekehrt und registrieren auch diese Studie unter dem Phänomen, in welch diverse Richtungen und Felder die modernen Life Sciences mittlerweile hineinstrahlen. Leitwissenschaft nennt man sowas manchmal.

(Foto: iStockphoto / kutay tanir)

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3 Gedanken zu „Bildungsneuroforschung“

  1. Bad Boy Boogie sagt:

    „Dass sich dennoch daneben eine zahlenmäßig relativ stabile Minderheit mit Met-Variante etablieren konnte, kann eigentlich nur heißen, dass schnelleres und flexibleres Entscheiden doch nicht die ganz großen Vorteile bringt.“

    Da bin ich aber froh, dass die gute, altmodische Besonnenheit doch ab und an einen evolutionsbiologischen Vorteil gegenüber hektischem Reagieren bringt.

    Steht im o.g. Paper eigentlich irgendwo, wie die beiden Varianten (COMT-Val / COMT-Met) gewichtet sind, sprich: ist das „deutliche Übergewicht“ in der Humanpopulation 60:40 oder 99:1? Und an wievielen Menschen man die jeweilige Variante gecheckt hat (an 100 oder an 100.000)?

  2. Ralf Neumann sagt:

    Eine 2005er-Studie im American Journal of Psychiatry fand unter 543 jungen Männern folgende Allel-Verteilung: „Alleles of Val and Met were present at overall frequencies of 56.4% and 43.6%, respectively. The three genotype frequencies were 20.6% for Met/Met (N=112), 46% for Met/Val (N=250), and 33% for Val/Val (N=181).“

    Entsprechend fand eine 2007er-Studie in PLoS ONE unter 792 finnischen Männern zwischen 46 und 64 Jahren folgende Verteilung: „The frequency of the Val/Val, Val/Met and Met/Met genotypes in healthy controls was 22.0, 50.3 and 27.7%, respectively.“

    Heißt also, dass das Val-Varianten-Übergewicht gar nicht so groß ist. Was den evolutionären Erfolg des „jüngeren“ Met-Allels sogar noch größer macht.

  3. Dr. Kerstin Steger sagt:

    Die Catechol-O-Methyltransferase hat die drei Aufgaben, Dopamin abzubauen, Noradrenalin abzubauen und Noradrenalin in Adrenalin zu überführen. Bei Menschen, die die Variationen Val/Met und Met/Met haben, ist sie WENIGER aktiv als bei der Val/Val Variante. Dies bedeutet, dass bei Val/Met und vor allem Met/Met GENERELL MEHR Dopamin und Noradrenalin vorhanden sind.
    Es wäre wünschenswert zu wissen, was mit „schneller“, „flexibler“ und „Entscheiden“ überhaupt experimentell gemeint ist.
    Unter den mannigfaltigen Studien zu COMT, die sich größtenteils gegenseitig widersprechen, gilt zumindest das Ergebnis als gesichert, dass Menschen mit dem Met-Allel eine höhere Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses haben – durch das viele im präfrontalen Cortex verbleibende Dopamin!
    Im „Jargon“ dieser Studie könnte man sagen: Letztere Typen fühlen sich für das Denken an sich belohnt! Val-Allel-Typen haben dagegen einen insgesamt niedrigeren Dopamin-Spiegel, welcher sodann auf Einzelereignisse reagiert. Hier eine „höhere Dopaminantwort“ zu postulieren, mag zwar mathematisch und relativ zum Ausgangsniveau richtig sein, neuroendokrinologisch gesehen ist das aber falsch.
    Nachdenken ist in einer komplexen Welt eine gute Sache und sowohl schnelles Entscheiden als auch Nachdenken dürften ihre Vorteile haben. Von „hält sich eine Minderheit“ zu sprechen, ist vor dem Hintergrund von „Lern- und Entscheidungsforschung“, noch dazu aus einer MRT-Röhre wo „schnelles, flexibles Entscheiden“ höchstwahrscheinlich keine komplexen, lebenswichtigen Fragen behandelt (bei denen Abwägung wichtig ist und es damit gut ist, wenn das Denken per se Belohnungscharakter hat) m.E. kein neutraler, erkenntnisorientierter Zugang.

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