Aus Eins macht Zwei

10. Oktober 2011 von Laborjournal

(Aktualisiert. Ursprünglicher Beitrag vom 23. Mai 2011)

Eine Form wissenschaftlichen Fehlverhaltens ist, die Daten derselben Experimente doppelt zu veröffentlichen. So schrieb beispielsweise 2005 Chief Editor Robert N. Frank im Journal Investigative Ophtalmology & Visual Science zum Thema:

Every author who submits a manuscript to a peer-reviewed journal, whether in ophthalmology and visual science, or in any other field, must verify during the submission process that “the work described herein is original, has not been published all or in part previously except as an abstract for a meeting, and is not currently under consideration for publication in any other journal.” Violation of any part of this statement is considered “double publication,” and is a serious transgression of academic ethics.

Zwei neuere „Fälle“ legen jedoch nahe, dass solche „Verstöße gegen die akademische Ethik“ bei deutschen Medizinern durchaus vorkommen. Deren übereinstimmendes Muster: Die Ergebnisse ein und derselben Studie werden einmal auf Deutsch und einmal auf Englisch veröffentlicht.

Diese „Versuchung“ erscheint gerade in der Medizin besonders groß, da sich in deren Zeitschriften-Universum noch eine erkleckliche Zahl deutschsprachiger Titel tummelt. Der Internist, Der Onkologe, Der Pathologe, Wiener Klinische Wochenschrift oder Der Chirurg sind nur einige Beispiele. All diese sind zudem in Thomson Reuters „Journal Citation Report“ gelistet — mit vernachlässigbaren Impact Faktoren zwar, aber immerhin. Wer dort veröffentlicht, hat nichtsdestotrotz ein Paper mehr auf seiner Publikationsliste.

Frisch in den Fokus gerückt sind in diesem Zusammenhang gerade zwei Professoren für Gerontopsychiatrie: Johannes Schröder vom Universitätsklinikum Heidelberg und sein ehemaliger Oberarzt Johannes Pantel, seit 2003 am Universitätsklinikum Frankfurt. Im Frühjahr diesen Jahres wurden beide über anonyme Mails und Internet-Postings beschuldigt, sie hätten mindestens fünf Paare solch zweisprachiger Doppelpublikationen publiziert. Pantels Dienstherr, die Universität Frankfurt, hat inzwischen bei der Staatsanwalt Frankfurt Anzeige gegen Unbekannt erstattet, um die Urheber dieser „Kampagne“ zu ermitteln.

Unabhängig davon aber bleibt „die Sache“. Denn schon die Abstracts der acht inkriminierten Veröffentlichungen lassen sich leicht zu fünf bilingualen „Publikationspaaren“ anordnen, die nachfolgend in zwei verschiedenen Sprachen jeweils ein und dieselbe Studie mit deckungsgleichen Daten beschreiben. Man vergleiche etwa das Paper Nervenarzt 2002 Sep; 73(9): 845-50 mit dem Artikel Am. J. Psychiatry 2003; 160(2): 379-82, oder das Paper J. Affect. Disord. 1997; 42(1): 69-83 mit dem Artikel Nervenarzt 1998 Nov;69(11): 968-74.

Nun ist solche rezitative „Übersetzertätigkeit“ nicht vollends verboten in der Welt des wissenschaftlichen Publizierens. Das International Committee of Medical Journal Editors schreibt etwa zum Thema „Acceptable Secondary Publication“:

Secondary publication for various other reasons, in the same or another language, especially in other countries, is justifiable and can be beneficial provided that the following conditions are met.

1. The authors have received approval from the editors of both journals (the editor concerned with secondary publication must have a photocopy, reprint, or manuscript of the primary version).

[…]

3. The paper for secondary publication is intended for a different group of readers; an abbreviated version could be sufficient.

[…]

5. The footnote on the title page of the secondary version informs readers, peers, and documenting agencies that the paper has been published in whole or in part and states the primary reference. A suitable footnote might read: “This article is based on a study first reported in the [title of journal, with full reference].”

[…]

6. The title of the secondary publication should indicate that it is a secondary publication (complete republication, abridged republication, complete translation, or abridged translation) of a primary publication. Of note, the NLM does not consider translations to be “republications” and does not cite or index translations when the original article was published in a journal that is indexed in MEDLINE.

Diese Bedingungen erfüllten Schröder, Pantel und Co. offenbar nicht. Im August jedenfalls veröffentlichten die Editoren des Am. J. Psychiatry eine „Expression of Concern“ zu dem oben erwähnten Paper Am. J. Psychiatry 2003; 160(2): 379-82, in der sie nach eingehender Prüfung feststellen:

The February 2003 article „Parahippocampal Volume Deficits in Subjects With Aging-Associated Cognitive Decline“ by Johannes Pantel, M.D., Ph.D., et al. (Am J Psychiatry 2003; 160:379—382) which was accepted for publication September 6, 2002, reported results identical to those published in the September 2002 issue of Nervenarzt („Strukturelle zerebrale Veränderungen bei Probanden mit leichter kognitiver Beeinträchtigung Eine MR-volumetrische Studie“; Nervenarzt 2002;73:845—850). This duplicate publication is a violation of our editorial policy which states that all submissions must represent original material, cannot have been published previously, and are not being considered for publication elsewhere.

Die Universität Frankfurt scheint dies jedoch als nicht ganz so schlimm anzusehen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb jedenfalls am 7. Oktober zu dem „Fall“:

Die Goethe-Universität hat sich […] mit den Vorwürfen befasst und ist […] zu der Ansicht gelangt, dass der Kasus längst nicht so dramatisch sei, wie die Denunzianten im Netz suggerierten: Zwar habe Pantel sich einmal in unkorrekter Weise selbst zitiert, doch sei dies nur eine kleine „Ordnungswidrigkeit“ gewesen — von einem Wissenschaftsskandal könne keine Rede sein. Deshalb habe man die Öffentlichkeit nicht über den Fall informiert.

Eine klare Verletzung der ethischen Standards wissenschaftlichen Publizierens — womöglich sogar in mehreren Fällen — verniedlicht die Universität also zur kleinen „Ordnungswidrigkeit“ (man beachte die Anführungszeichen!). Wenn man es sich da mal nicht ein wenig einfach macht.

Unabhängig davon bleibt die Frage, warum die Editoren des Am. J. Psychiatry das Paper nicht gleich ganz zurückgezogen haben. Schließlich passierte kürzlich genau dies in einem vergleichbaren Fall, über den wir bereits im November letzten Jahres auf Laborjournal online berichtet hatten. Tom Gromann, Oliver Birkelbach und ihr Chef Roland Hetzer, Direktor der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie am Deutschen Herzzentrum Berlin, veröffentlichten ein und dieselbe Studie zur Tracheotomie durch Ballondilatation 2008 zuerst auf Deutsch in Der Chirurg (Vol. 80(7): 622-27) und im Jahr darauf auf Englisch in Anesthesia & Analgesia (Vol. 108(6): 1862-66). Im November 2010 mussten die Autoren die englische Doppelpublikation zurückziehen — vornehmlich, da sie die beiden Journals eben nicht von der „Zweitverwertung“ unterrichtet haten.

In der Retraction Note (Anesthesia & Analgesia Vol. 111: 1524) schreiben sie:

We request retraction of the article “Balloon Dilatational Tracheostomy: Initial Experience with the Ciaglia Blue Dolphin Method.” This paper is a translation of a manuscript we published in German. Following publication in the highly esteemed German journal Der Chirug, we thought our experience would be valuable to English speaking physicians.

Wir kommentierten dies damals in Laborjournal online:

Das klingt natürlich nach ehrenhafter Absicht. Man fragt sich allerdings, warum Hetzer und seine zwei Mitarbeiter die Studie dann nicht gleich in Anesthesia & Analgesia oder einer anderen englischsprachigen Zeitschrift veröffentlichten. So schwer hätte das nicht sein können, denn Anesthesia & Analgesia akzeptierte das Manuskript schließlich auch zur Veröffentlichung. (Was wiederum dafür spricht, dass Der Chirurg nicht zur gewohnten Lektüre der Anesthesia & Analgesia-Gutachter gehört.)

Auf diese Weise hätten die „wertvollen Erfahrungen“ der Berliner Herzchirurgen umgehend allen Kollegen zur Verfügung gestanden. Auch den deutschen, die ja sowieso jede Menge englische Artikel in den „Better Impact Journals“ lesen müssen.

Wie auch immer, unter Einhaltung der oben genannten Regeln wäre die Doppelveröffentlichung — manche nennen es auch Eigenplagiat — zwar sicherlich nicht wohlgelitten, aber immerhin prinzipiell duldbar gewesen. Nur scheinen die betreffenden Herren diese Regeln nicht zu kennen — oder nicht kennen zu wollen. Denn hätten die jeweiligen Journals von Anfang an gewusst, dass diese ihre Texte als „Zweitverwertung“ bei ihnen einreichen — wer weiß, ob sie sie überhaupt publiziert hätten.

Zumindest Anesthesia & Analgesia ganz sicher nicht, wie die Retraction jetzt zeigt. Und das Am. J. Psychiatry hätte sich auf diese Weise ganz sicher ebenfalls die nachträgliche „Expression of Concern“ erspart.

 

2 Gedanken zu „Aus Eins macht Zwei“

  1. Kerstin Werner sagt:

    Als ich über die Überschrift das Artikels im LJ gestolpert bin, habe ich mich fast gefreut. Es gibt sie also doch, die Versionen einer englischsprachigen Publikation in deutsch. Was daran falsch sein soll, verstehe ich nicht wirklich, außer, dass die Arbeiten in zwei verschiedenen Zeitschriften publiziert wurden. Ich fände sehr gut, wenn eine Publikation vom Journal im Internet auch in der jeweiligen Muttersprache angeboten wird. Ich frage mich sowieso schon lange, ob es wirklich niemanden stört, dass es jegliche Informationen mit wissenschaftlichem Inhalt und neuerdings auch Vorträge an der eigenen Uni fast nur noch englisch gibt. Ich bin Technische Assistentin und arbeite in der Forschung. Meinen Beruf sehe ich als Berufung und bin ebenso an Weiterbildung und Information interessiert wie die Wissenschaftler. Da ich aber nun mal mangels Studium in die Materie nicht so involviert bin, wie z.B. ein Biologe, muss ich die Texte nicht nur übersetzte können, sondern sie auch begreifen. Das dauert lange und bringt nicht immer die gewünschten Erkenntnisse. Mich regt schon seit langem die „Verenglischung“ in der Wissenschaft auf. Homepages der Biofirmen gibt es fast nur noch in englisch, jeder zweite Werbeflyer flattert in englischer Sprache herein (und demzufolge gleich weiter in den Papierkorb), die meisten Vorträge und Kolloquien werden auf englisch abgehalten… Einzig die Doktoranden dürfen ihre Arbeitennoch in ihrer Muttersprache verteidigen und publizieren.
    Auf meine Frage an eine befreundete Ärztin, ob denn wirklich alle Kollegen so super englisch könnten, bekam ich ein Stirnrunzeln und ein klares:“Nee, gar nicht!“ Ich würde es begrüßen, wenn jede Publikation, die von einem deutschsprachigen Wissenschaftler veröffentlicht wird, auch in deutsch zur Verfügung steht.

  2. Winfried Köppelle sagt:

    @Kerstin:
    Nicht die Übersetzung und Zweitveröffentlichung eigener Ergebnisse ist das Verwerfliche, sondern das Verschweigen davon.

    Anders ausgedrückt: Wissen alle Bescheid (alle Autoren, Editoren, Kollegen, Paper-Leser, etc. – und willigen die beiden ersteren auch ein), dann (aber nur dann) ist derlei durchaus legitim (und von manchen Lesern anscheinend ja sogar erwünscht; s.o.)

    Verpönt hingegen ist, mittels heimlicher(!) Doppelpublikationen seine Paper-Liste künstlich hochzupushen.

    Und letzteres ist auch gut so, nicht nur wegen Chancengleichheit bei Bewerbungen („…so, wer hat denn jetzt den, äh, die Längste/n…“) – auch weil die Publikationsflut Jahr für Jahr höher steigt, sollte man die Zahl der Paper mit derlei Tricks nicht noch weiter multiplizieren.

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