Wie man in einem Habilitationsverfahren die Grundrechte verletzt

10. Dezember 2010 von Laborjournal

In Hamburg gibt es einen Biochemiker, der seit 21 Jahren gegen die Ablehnung seiner Habilitationsschrift über potenzielle Schizophrenie-Marker klagt. Gestern hat die TAZ die Geschichte von Alfred Fleissner unter dem Titel „Der verhinderte Professor“ veröffentlicht.

Wie groß Fleissners eigener Anteil an der „Verhinderung“ ist, wird daraus nicht ganz klar — abgesehen von einigen Hinweisen, dass er offenbar ein durchaus streitbarer Charakter ist. Indes hatte sich kürzlich das Bundesverfassungsgericht des Falles angenommen. Und dieses schlug sich  insofern auf Fleissners Seite, als dass es das Vorgehen der Gutachter und des Habilitationsausschusses scharf bemängelte. Die TAZ fasste dessen Fazit folgendermaßen zusammen:

Die Wissenschaftsfreiheit des Grundgesetzes schütze Forscher vor unangemessenen Entscheidungen. Eine Habilitationsschrift dürfe nicht nur deshalb abgelehnt werden, weil der Habilitationsausschuss anderer Meinung ist. Wichtig seien deshalb die vorbereitenden Voten der Gutachter. Diese müssten so ausgewählt werden, dass alle Teile der Arbeit sachkundig bewertet werden können. Nur so könne der Habilitationsausschuss eine fundierte Entscheidung treffen, die wiederum voll gerichtlich überprüfbar ist. Ähnliche Regeln hatte früher schon das Bundesverwaltungsgericht aufgestellt. Doch jetzt haben sie quasi Verfassungsrang.

Die Karlsruher Kammer postulierte damit folglich ein „Recht auf sachkundige Leistungsbewertung im Habilitationsverfahren“.

Pikant am Rande: Das Bundesverfassungsgericht rüffelte insbesondere ein seinerzeitiges Gutachten des Göttinger Nobelpreisträgers Manfred Eigen. Dessen „drei Seiten“ seien in diesem Zusammenhang ziemlich unangemessen gewesen. Die TAZ berichtet hierzu:

So rüffelten die Karlsruher Richter, wie apodiktisch die nur drei Seiten lange Stellungnahme formuliert worden war. „Es reicht nicht aus, dass der Gutachter seine Einschätzungen in Ergebnissätzen zusammenfasst“, erklärte Karlsruhe. Und mit Blick auf die Person Manfred Eigens heißt es. „Die Qualitätsanforderungen für fachwissenschaftliche Gutachten gelten unabhängig vom Ansehen des Gutachters.“

Mal sehen, ob die Verfassungsrichter damit jetzt noch weitere „verhinderte Professoren“ aus ihren Löchern treiben. Denn Fleissner ist sicherlich kein Einzelfall.

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3 Gedanken zu „Wie man in einem Habilitationsverfahren die Grundrechte verletzt“

  1. Ralf Neumann sagt:

    Und hier kommentiert der Zahnmediziner, Kieferchirurg und „Dreifach-Doktor“ Adorjan Kovacs den Fall. Sein Fazit:

    Fleissner hat mit seiner möglicherweise auch etwas querulantischen Ausdauer den Finger in einige Wunden der universitären medizinischen Forschung in Deutschland gelegt. Das ist sein Verdienst. Ihm wird es nun altersbedingt nichts mehr nutzen, anderen nur dann, wenn die systematischen Fehler des universitären Betriebs behoben werden. Dafür gibt es momentan keine Anzeichen. Wer gute Forschung macht, weiß sowieso, dass das nicht unbedingt etwas mit Karriere zu tun hat.

  2. Erwin Lück sagt:

    Komisch, zu einer Habilitationsschrift werden von drei Professoren zunächst Gutachten erstellt. Über Annahme/Ablehnung der Habilitationsschrift entscheidet dann auf Empfehlung eines mit zumindest sechs Professoren besetzten Habilitationsausschusses der komplette, mit mehreren Dutzend Professoren besetzte Fachbereichsrat der Uni.

    Alle genannten, am Habilitationsverfahren beteiligten Professoren besitzen das Recht bzw. die Qualifikation, Habilitationen zu beurteilen.

    Schlimm genug, dass einzelne Gutachter – wie im vorliegenden Fall – die verfassungsgemäßen Rechte eines Prüflings verletzen.

    Wäre dann aber nicht zwingend zu erwarten, dass Mitglieder des Habilitationsausschusses dies erkennen und die Reißleine ziehen? Schlafen die?

    Und müsste nicht spätestens die geballte Kompetenz der Mitglieder des Fachbereichsrats erkennen, dass die Rechte des Prüflings mit Füßen getreten werden? Schlafen die?

    Es wäre zu wünschen, dass jeder einzelne am Habilitationsverfahren beteiligte Professor für den dem Prüfling entstandenen materiellen und immateriellen Schaden persönlich haftbar gemacht wird. Nur auf diesem Weg ließe sich zukünftig ein solcher Rechtsstreit mit 21-jähriger Prozessdauer verhindern.

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