Arsen-Bakterien schon geplatzt?

7. Dezember 2010 von Laborjournal

Halomonadaceen-Stamm GFAJ-1 aus dem Mono Lake: Doch kein Arsenat- statt Phosphatrückgrat in der DNA?

Wow, was war das für eine Sensation letzte Woche:

A Bacterium That Can Grow by Using Arsenic Instead of Phosphorus,

betitelten NASA-Forscher ihren Science-Artikel. Und nachdem die NASA selbst tagelang im Voraus ominös-nebulös ‚eine spektakuläre Entdeckung‘ angekündigt hatte, hypte sie dann schließlich in ihren eigenen Science News:

Discovery of „Arsenic-bug“ Expands Definition of Life.

Was die Abteilung Astrobiologie der NASA damit wirklich meinte, formulierten dann auch die deutschsprachigen Medien zu voller Blüte aus. Einige Beispiele:

Die Suche nach Aliens muss jetzt ganz von vorn beginnen (BILD)

–  Ähnliche Organismen auch im Weltall denkbar (Rheinpfalz)

Astrobiologie: Nasa präsentiert irdische Aliens (Spiegel online)

Astrobiologen der Nasa spüren Alien Bakterien auf (Die Welt)

Jetzt, nur wenige Tage später, scheint die NASA-Seifenblase jedoch schon zu platzen. Jede Menge Mikrobiologen und Chemiker haben die Studie inzwischen gelesen — und lassen kaum ein gutes Haar daran. So nennt etwa die Mikrobiologin Rosie Redfield von der University of British Columbia die Studie

a shameful analysis of the alleged bacteria in the Mars meteorite

Und bilanziert:

Lots of flim-flam, but very little reliable information. […] If this data was presented by a PhD student at their committee meeting, I’d send them back to the bench to do more cleanup and controls. […] I don’t know whether the authors are just bad scientists or whether they’re unscrupulously pushing NASA’s ‚There’s life in outer space!‘ agenda.  I hesitate to blame the reviewers, as their objections are likely to have been overruled by Science’s editors in their eagerness to score such a high-impact publication.

Wie sie zu dem vernichtenden Urteil kommt, beschreibt sie hier im Detail.

Und sie ist bei weitem nicht allein. Der Harvard-Geochemiker und ‚Origin of Life‘-Forscher Alexander S. Bradley beginnt seinen Zerriss mit den Sätzen:

There’s been a lot of hype around the news of GFAJ-1, the microbe claimed to substitute arsenate for phosphate in its DNA. In the midst of all the excitement, one thing has been overlooked: The claim is almost certainly wrong. The study published in Science has a number of flaws. In particular, one subtle but critical piece of evidence has been overlooked, and it demonstrates that the DNA in question actually has a phosphate — not an arsenate — backbone.

Und nach viel liebevoller Detailarbeit schließt er:

Finally, there’s a simple experiment that could resolve this debate: analyze the nucleotides directly. Show a mass spectrum of DNA sequences demonstrating that nucleotides contain arsenate instead of phosphate. This is a very simple experiment, and would be quite convincing — but it has not been performed.

This study lacks any real evidence for arsenate-based DNA; unfortunately these exciting claims are very very shaky.

Weitere Kritik an der Studie gibt es etwa im Deutschlandfunk oder hier. Sieht also nicht gut aus für die ‚Arsen-Bakterien‘, deren Vorfahren einst womöglich mit einem Meteoriten aus dem Weltall auf die Erde kamen. Es sei denn, die Autoren haben noch jede Menge weiterer Daten in der Hinterhand, die sie dem unglücklichen Science-Schnellschuss hinterher schieben können. Andernfalls hätten sie dem gesamten Feld der Astrobiologie einen Riesen-Bärendienst erwiesen.

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20 Gedanken zu „Arsen-Bakterien schon geplatzt?“

  1. BadBoyBoogie sagt:

    Ich brech zusammen!! HARHAR!!!! Was kommt mir als Erstes in den Sinn, als ich vor drei Tagen die „Knüllermeldung“ von den „Arsenbakterien“ lese? Genau: Ich denk mir doch glatt: Na, wenn sich das jetzt nicht mal wieder als genauso riesiger Bullshit entpuppt wie anno 1996 die angeblich nur Nanometer kleinen „Spuren fossiler Bakterien“ im Marsmeteoriten ALH 84001 (ebenfalls promotet by NASA):
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/8688069

    War vor 14 Jahren DIE Sensation. Naja, so wie jetzt eben die Arsen-Baktis… die müssen echt tierisch an knappen Geldmitteln leiden, diese NASA-Fuzzis.

  2. BadBoyBoogie sagt:

    … naja, die Methode könnte ja auch glatt funktionieren: Wer erinnert sich in ein paar Monaten oder Jahren noch an die wenigen & winzigen Dementis? Die privaten und öffentlich-rechtlichen Geldgeber bestimmt nicht. Die erinnern sich vielmehr daran: Boah, ey, die NASA-Jungs, die machen doch immer diese sensationellen Entdeckungen!

    Was kommt als Nächstes? Der langerwartete Funkspruch von Andromeda? Oder gar die Wahrheit über Area 53?

  3. BadBoyBoogie sagt:

    Weils so gut zum Thema passt: In einem neuen Spiegel online-Artikel von gestern (6.12.) ist noch immer die Rede von…

    „der Entdeckung einer spektakulären Lebensform [die] mit giftigem Arsen umgehen [kann]. Und Forscher dazu [zwingt], Lehrbücher der Biologie umzuschreiben.“

    http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,733135,00.html

    Äh. Wann eigentlich müssen Lehrbücher NICHT umgeschrieben werden, sobald Forscher ne neue Methode, Art, Funktionsweise oder schlicht irgendeinen neuartigen Nasenpopel entdecken?

    Davon abgesehen wimmelte dieser gestrige Spiegel-online-Artikel von Fehlern. Mikroorganismen werden darin mit „Erregern“ gleichgesetzt (als ob es nicht unzählige harmlose gäbe); ursprünglich hatte der/die Autor/in den Bakterien auch noch Mitochondrien verpasst (ist mittlerweile korrigiert); und was an der – wissenschaftlich durchaus interessanten – neuen Art jetzt so „sensationell“ (O-Ton-Spiegel) sein soll, ist ebenfalls unklar.

  4. Ralf Neumann sagt:

    Die Kritik an der Studie wird jetzt auch von CBC News zusammengefasst. Unter anderem wird NASA-Sprecher Dwayne Brown in dem Bericht gefragt, wie man denn auf die öffentlichen Zerrisse aus der Blogosphäre zu reagieren gedenke. Zitat:

    […] he noted that the article was peer-reviewed and published in one of the most prestigious scientific journals. He added that Wolfe-Simon will not be responding to individual criticisms, as the agency doesn’t feel it is appropriate to debate the science using the media and bloggers. Instead, it believes that should be done in scientific publications.

    Na dann bereitet Euch schon mal vor, denn die im Posting zitierte Mikrobiologin Rosie Redfield arbeitet laut CBC bereits daran. Zitat:

    However, encouraged by some of the commenters on her blog, Redfield is drafting a shorter version of the post to submit to Science, which the authors of the original paper will have a chance to respond to.

  5. Ralf Neumann sagt:

    Hier gibt’s die passende Antwort auf das dümmliche Statement des NASA-Sprechers. Die „Chef-Kritiker“ Rosie Redfield und Alex Bradley sind nahezu die besten und kompetentesten Peers, die man sich denken kann. Entsprechend wissenschaftlich sind ja auch deren Einwände — bis hin zu konkreten Vorschlägen, welche Experimente Klarheit bringen würden. Im Prinzip entwickelt sich die ganze Geschichte gerade zum Proof of Principle, dass Open Post Publication Peer Review tatsächlich funktionieren kann.

  6. Winfried Köppelle sagt:

    Die Reaktion des NASA-Sprechers erinnert mich an die typische Reaktion deutscher „Untersuchungskommissionen“ in Fällen mutmaßlichen wissenschaftlichen Fehlverhaltens: Nichts sehen, nichts hören, und fast nichts sagen (und wenn, dann nur substanzloses Zeugs).

    Im medialen Fachjargon nennt man derlei einen ausgewachsenen „PR-GAU“.

  7. Muffl sagt:

    Dann warten wir diesen open peer review ab, jetzt darüber zu urteilen oder gar über Blogs kann nicht funktionieren.

    Ich bin ein Anhänger von open peer review und auch open access, aber genau das kann nicht über Blogs funktionieren. Da schreibt man für wissenschaftlich interessierte Personen, vielleicht sogar für Wissenschaftler, aber über ein Blog kann eine fachwissenschaftliche Auseinandersetzung nicht funktionieren und kann auch open peer review nicht funktionieren.

    Das sich nun einige der Blogger aufregen, dass ihnen die NASA nicht antwortet, find ich dagegen aber komisch oder anders ausgedrückt: ich hätte auch gerne, dass die Nasa mit meinem Blog anfängt zu diskutieren, ich wäre sehr dankbar und könnte mittels Werbeeinnahmen viel Geld machen.

    Nicht falsch verstehen, das werfe ich den Kritikern gar nicht vor, aber sie können nicht erwarten, dass ihnen über eine Blog-Diskussion geantwortet wird.

    Abwarten und Tee trinken, einerseits gibt es berechtigte Kritik andererseits kann ich mir nicht vorstellen, dass die Nasa so dumm ist.

    @Marsmeteoriten ALH 84001: War da die Nasa wirklich beteiligt? Ich habe eher in Erinnerung, dass das ein Schnellschuß von den zwei Forschern war und es sogar von der Nasa Kritik dafür gab.

  8. Ralf Neumann sagt:

    Ich denke, es kommt vor allem auf den Inhalt an — egal auf welchem Tablett er serviert wird. Redfield und Bradley haben das Paper streng wissenschaftlich analysiert und ihre Beiträge zwar nicht unbedingt sprachlich, aber auf jeden Fall inhaltlich wie Reviews geschrieben. Dies allerdings in Blogs, weil sie sonst offenbar auf die Schnelle kein anderes Forum bekamen.

    Diese Inhalte, die inzwischen von vielen Fachleuten (Peers) als absolut überzeugend beurteilt werden, nur aufgrund der Tatsache zu ignorieren, dass sie in Blogs und nicht anderswo stehen — das ist wirklich dumm. Das erweckt tatsächlich den Eindruck, dass die NASA keine substanziellen Antworten auf die Kritik hat.

  9. BadBoyBoogie sagt:

    @Muffl:
    Zumindest waren die beiden Hauptautoren McKay und Gibson NASA-Leute:

    Science. 1996 Aug 16;273(5277):924-30.
    Search for past life on Mars: possible relic biogenic activity in martian meteorite ALH84001. McKay DS, Gibson EK Jr, Thomas-Keprta KL, Vali H, Romanek CS, Clemett SJ, Chillier XD, Maechling CR, Zare RN.

    Collaborators (2): McKay DS, Gibson EK Jr.
    NASA Lyndon B. Johnson Space Center (JSC), Houston, TX 77058, USA.

    … und McKay ist immer noch bei dem Verein:
    http://astrobiology.nasa.gov/directory/profile/259/david/mckay/

  10. Ralf Neumann sagt:

    Carl Zimmer hat noch mehr ‚Peers‘ zu den Arsen-Bakterien befragt. Auch hier ist das Urteil vernichtend. Ein Auszug:

    „It would be really cool if such a bug existed,“ said San Diego State University’s Forest Rohwer, a microbiologist who looks for new species of bacteria and viruses in coral reefs. But, he added, „none of the arguments are very convincing on their own.“ That was about as positive as the critics could get. „This paper should not have been published,“ said Shelley Copley of the University of Colorado.

    None of the scientists I spoke to ruled out the possibility that such weird bacteria might exist. Indeed, some of them were co-authors of a 2007 report for the National Academies of Sciences on alien life that called for research into, among other things, arsenic-based biology. But almost to a person, they felt that the NASA team had failed to take some basic precautions to avoid misleading results.

    Ohne weitere Worte.

  11. Ralf Neumann sagt:

    Klar, dass sich auch Nature in die Kritik am Paper des Konkurrenten Science einklinkt…

  12. Ralf Neumann sagt:

    Der englische Guardian führt eine ausführliche chronologische Dokumentation der englischsprachigen Web-Veröffentlichungen (Blogs, News, Podcasts,…) zur Diskussion über das Arsenbakterien-Paper. Unter anderem ist die Erstautorin der Publikation, Felisa Wolfe-Simon, mit folgendem frischen Statement auf ihrer Homepage zitiert:

    My research team and I are aware that our peer-reviewed Science article has generated some technical questions and challenges from within the scientific community. Questions raised so far have been consistent with the range of issues outlined by journalist Elizabeth Pennisi in her Science news article, which was published along with our research. For instance, other scientists have asked whether the bacteria had truly incorporated arsenic into their DNA, and whether the microbes had completely stopped consuming phosphorus. Our manuscript was thoroughly reviewed and accepted for publication by Science; we presented our data and results and drew our conclusions based on what we showed. But we welcome lively debate since we recognize that scholarly discourse moves science forward. We’ve been concerned that some conclusions have been drawn based on claims not made in our paper. In response, it’s our understanding that Science is in the process of making our article freely available to the public for the next two weeks to ensure that all researchers have full access to the findings. We invite others to read the paper and submit any responses to Science for review so that we can officially respond. Meanwhile, we are preparing a list of „frequently asked questions“ to help promote general understanding of our work.

  13. BadBoyBoogie sagt:

    Interessant ist ja auch die Vorgeschichte. Erst 2009 hatte Wolfe-Simon in zwei Publikationen spekuliert, ob es nicht womöglich auf Arsen basierendes Leben geben könnte…

    F. Wolfe-Simon, P.C.W. Davies and A.D. Anbar (2009). Did nature also choose Arsenic? International Journal of Astrobiology. 8: 69-74.

    R.S. Oremland, C.W. Saltikov, F. Wolfe-Simon, and J.F. Stolz (2009). Arsenic in the evolution of Earth and extraterrestrial ecosystems. Geomicrobiology Journal. 26: 522 – 536.

    … und – schwupps! – schon ein Jahr später präsentiert sie wie aus dem Nichts den passenden Organismus zur Hypothese.

    Folgende drei Möglichkeiten kommen mir da in den Sinn:

    1. Alles lief streng wissenschaftlich ab: Hypothese – Experiment – Bestätigung. Ergo: Wolfe-Simon hat schwer was auf dem Kasten (sofern das „Viech“ wirklich das kann, was sie behauptet).

    2. Sie hatte 2009 bereits ihren Arsen-verwertenden Organismus in Händen und lancierte geschickt vorab die Hypothese, um hinterher als Star groß rauszukommen. Ergo: Wolfe-Simon ist eine raffinierte Trickserin, aber das ist legitim (wenn auch nicht sympatisch).

    3. Wolfe-Simon hat sich in eine Hypothese verrannt, für die’s derzeit keine stützenden Beweise gibt und hat diese „Beweise“ (mutwillig oder fahrlässig) selbst produziert. Ihre Experimente samt Paper wären dann schlampige Fast-Food-Science einer nicht objektiv arbeitenden Forscherin.

    Mal sehen, was da noch rauskommt… es bleibt spannend.

  14. BadBoyBoogie sagt:

    … nett liest sich’s jedenfalls, wenn sie im abschließenden Absatz ihres „Astrobiology“-Papers von 2009 so schön philosophiert:

    „It is a tantalizing prospect that an ancestral, alternative form of life might even continue to lurk in modern As-rich Earth habitats forming an extant ’shadow biosphere’ (Cleland & Copley 2006; Davies et al. 2009). A search of such environments would seem to be a promising initial step to test this hypothesis. In view of the extensive consideration given to the possibility of emergent life on other planets, it would be ironic if we overlooked a candidate right here on Earth.“

    … and it would be even much more ironic, if you have ignored the basic principles of proper science, dear Felisa…!

  15. Es ist doch einfach immer verdächtig, wenn ein Wissenschaftler seine Ergebnisse durch die normalen Medien verbreitet. Da gehört schon eine ordentliche Portion Ehrgeiz und Eitelkeit dazu – oder der Druck des Geldgebers.

  16. Ralf Neumann sagt:

    In Zusammenhang mit dem NASA-PAper ergreift Nature in seinem neuesten Editorial Partei FÜR Post Publication Discussion via Blogs. Und die ‚konventionellen‘ Science Journalists bekommen auch eins auf den Hut. Hier die letzten beiden Absätze des Editorials:

    Nature strongly encourages post-publication discussion on blogs and online commenting facilities as a complement to — but not a substitute for — conventional peer review. Yet it is true that so far online commenting and blogs have generally contributed little. Of the thousands of papers published every year, only a few attract substantive comments. And, regrettably, it seems that even those meagre comments rarely spark debate: a study of medical articles in the BMJ last August found that few authors bothered to respond to online criticisms of their papers (P. C. Gøtzsche et al. Br. Med. J. 341, c3926; 2010).

    Bloggers and online commentators have an important part to play in the assessment of research findings, and many researchers‘ blogs, in particular, contain better analyses of the true significance of a scientific finding or debate than is seen in much of the mainstream media. Science journalists who repeated NASA’s claims on the arsenic bacterium and did not tap into the widespread criticisms, did little to defend themselves from claims of reporting by press release. Blogging scientists, meanwhile, should remember that such informal forums do not excuse insults and casual discourtesy towards colleagues — especially those being urged to respond.

  17. Ralf Neumann sagt:

    Chef-Kritikerin Rosie Redfield legt nach

  18. Ralf Neumann sagt:

    Erstautorin Felisa Wolfe-Simon, von Science frisch zum Thema interviewt.

  19. Ralf Neumann sagt:

    Frisch auf den Tisch: Das erste ‚echte‘ Paper, das sich dem Thema annimmt. Die Autoren und Chemiker schließen, dass die postulierten Arsenat-Ester (statt Phosphat-Ester) im Rückgrat der Arseno-DNA nicht annähernd die Stabilität aufbringen können, damit die Arseno-DNA tatsächlich als Erbmolekül funktionieren kann. In den Worten der Autoren:

    Overcoming such dramatic kinetic instability in its genetic material would present serious challenges to Halomonadacea GFAJ-1.

    In der Tat!

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