Die Unlust zum Datenteilen

3. August 2022 von Laborjournal

Was treibt den wissenschaftlichen Fortschritt an? Alles Mögliche könnte man hier nennen: Neugier, ein offener Geist, auch harte Arbeit, … Nehmen wir es hier aber mal ganz pragma­tisch: Zumindest in der heutigen modernen Wissenschaft sind es zuerst und vor allem die Daten, die sie immer weiter voranbringen.

Nicht zuletzt deshalb ist eine der größten Forderungen der Open-Science-Bewegung, die Rohdaten aus Experimenten jederzeit für alle frei verfügbar zu machen. Und nicht zuletzt deshalb fordern inzwischen die meisten Journals von den Autoren, die Rohdaten der im Manuskript beschriebenen Resultate der Forschungsgemeinde stets zur freien Verfügung zu halten. Weshalb inzwischen auch die meisten Paper das starke Statement ziert: „Data available on request.“

Doch wie stark ist das Statement in der Praxis? Ist es mit robuster Substanz gefüllt? Oder bleibt es als notgedrungene Absichtserklärung eher eine leere Luftnummer?

Bereits in Laborjournal 3/22 (S. 10) berichteten wir von einer nicht gerade hoffnungsvollen Stichprobe zum Thema. Ein Team hatte bei den Autoren von 53 Veröffentlichungen in der Krebsforschung Rohdaten angefordert – ein Drittel antwortete überhaupt nicht, und nur ein Viertel teilte die Daten vollständig und in brauchbarer Form.   

Jetzt legte ein Autoren-Trio um Livia Puljak vom Zentrum für evidenzbasierte Medizin und Gesundheitsversorgung der Katholischen Universität Zagreb in größerem Maßstab nach – mit nochmal deutlich verheerenderem Ergebnis (J. Clin. Epidemiol. 150: P33-41). Bei 1.792 Artikeln, die im Januar 2019 in 333 Open-Access-Zeitschriften des Online-Verlags BioMed Central erscheinen waren, machten Puljak und ihre beiden Mitstreiter die Probe aufs Exempel. In allen Artikeln gaben die Autoren per „Data Availability Statment“ an, dass sie bereit seien, ihre Daten weiterzugeben. Auf konkrete Anforderung aus Zagreb erhielten die „Bittsteller“ jedoch gerade mal zu 254 Artikeln überhaupt eine Antwort. In 131 Fällen bestand die Antwort allerdings in einer Ablehnung, die jeweiligen Daten zu teilen – und nur in 123 Fällen wurden die angeforderten Daten tatsächlich zur Verfügung gestellt.  Demnach sind über 93 Prozent der Autorenteams, die sich im Paper per zum Teilen ihrer Daten verpflichtet hatten, dieser Pflicht nicht nachgekommen. Woraus Puljak et al. schließen: „Selbst wenn Autoren in ihrem Manuskript angeben, dass sie ihre Daten auf Anfrage zur Verfügung stellen, ist die Einhaltungsquote genauso gering wie bei Autoren, die gar kein ‚Data Availability Statment‘ vorlegen.“

Ein trauriges Ergebnis. Offenbar sieht die große Mehrheit der Forscher im Datenhorten immer noch irgendwelche mutmaßliche Vorteile für sich selbst und die eigene Karriere – und will diese keinesfalls eintauschen gegen die offensichtlichen Vorteile des Datenteilens für die gesamte Community.

Doch jammern hilft nicht – was kann man tun? Die Verlage dazu anhalten, der Veröffentlichung eines Manuskripts nur zuzustimmen, wenn die zugehörigen Rohdaten gleich mit offengelegt werden? Das dürfte schwierig werden. Zumal es sicherlich sowieso nachhaltiger wäre, wenn die Forscher selbst die Vorteile des Datenteilens besser schätzen lernten.

Vielleicht könnte eine andere Studie wenigstens etwas Überzeugungsarbeit leisten. Vor drei Jahren nahm sich ein englisch-nie­der­lädisches Team über eine halbe Million Artikel vor, die zwischen 1997 und 2018 in 350 Open-Access-Zeitschriften der Verlage Public Library of Science (PLoS) und BioMed Central (BMC) erschienen waren. Etwa ein Drittel davon beinhaltete im Rahmen des „Data Availability Statements“ jeweils einen Link zu einem Repositorium, in dem die Autoren sämtliche relevante Originaldaten öffentlich zugänglich hinterlegt hatten. Und siehe da, dieses Drittel an Papern wurde nachfolgend im Schnitt um 25 Prozent häufiger zitiert als die anderen zwei Drittel, die keine Daten offengelegt hatten (PLoS ONE 15(4): e0230416).

Sicher, man sollte das Konzept von Open Data eigentlich aus anderen Beweggründen beherzigen, als dass ich dadurch ein paar Zitate mehr auf mein Konto hieve. Allerdings wäre es nicht das erste Mal, dass über nicht ganz saubere Incentives am Ende doch das Richtige gepusht wird.

Ralf Neumann

(Illustr.: R. Enos)

 

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