Der ewige Ursprung des Lebens

12. Oktober 2021 von Laborjournal

Ende September brachte die Hiroshima University eine Pressemeldung mit dem Titel „Answering a century-old question on the origins of life“ heraus. Der Untertitel lautete: „A team of Japanese scientists found the missing link between chemistry and biology in the origins of life“. Ohne weiter auf den Inhalt oder das zugehörige Original-Paper in Nature Communications eingehen zu wollen: Was stört an dem Untertitel?

Schon der Untertitel suggeriert, dass die chemischen Reaktionen, die die Japaner beobachtet haben, sich vor Urzeiten tatsächlich als Vorstufe zur Entstehung des Lebens abgespielt hätten. Das jedoch kann die Origin-of-Life-Forschung in letzter Konsequenz gar nicht feststellen – und zwar schon rein prinzipiell.

Um dieses Dilemma, in dem die Forschung zum Ursprung des Lebens steckt, im Detail klarzumachen, bemühten wir bereits vor zwei Jahren in unserer Kolumne „Schöne Biologie“ die folgenden Beispiele:

Fragen wir zunächst, was die Naturwissenschaften generell bei offenen Fragen machen. Klar, Beobachtungen sammeln und ordnen – und daraus dann Hypothesen aufstellen. Doch das alleine reicht nicht. Schließlich kann ich locker ein Dutzend Hypothesen pro Tag in die Welt hinausposaunen, falls jemand sie hören will. Um jedoch für die Wissenschaft einen Wert zu haben, müssen Hypothesen zwingend eines sein: testbar. Und testen tut die Biologie bekanntlich, wie alle Naturwissenschaften, mit gezielten Experimenten.

Gerade mit der Testbarkeit ihrer Hypothesen rutscht die Origin-of-Life-Forschung allerdings in ein ganz besonderes Dilemma. Nehmen wir zwei aktuelle Beispiele, um dieses Dilemma zu verdeutlichen:

In Beispiel 1 beschreiben wiederum japanische Chemiker, wie sich unter sauren Bedingungen Thio-Versionen von Aminosäuren (also plus Schwefelatom) zu kurzen Peptidketten verbanden (Biochemistry 58(12): 1672-78). Da nun die Bildung und Verlängerung von Peptidketten aus regulären Aminosäuren als eine Schlüssel-Voraussetzung für die Entstehung des Lebens gilt, war die Folgerung der Japaner klar: Die Aminothiosäuren könnten mit ihrer Neigung, spontan Peptidbindungen einzugehen, vor Milliarden Jahren als Vorläufer gedient haben, um nachfolgend die komplexe Chemie der Proteinbildung zu ermöglichen, wie wir sie heute kennen. Womit wir eine Hypothese hätten. Und tatsächlich konnten die Japaner weiterhin zeigen, dass ihre Aminothiosäure-Ketten auch dann entstanden, wenn sie in der Reaktionslösung eine Reihe von Parametern so einstellten, wie sie auf unserer Erde vor der Entstehung des Lebens mutmaßlich vorlagen.

Auch Beispiel 2 handelt von chemischer Evolution, wie sie der biologischen Evolution vorausgegangen sein muss. Münchner Chemiker fanden hierbei einen vergleichsweise einfachen Weg, wie im Labor bestimmte Bausteine des „Erbmoleküls“ DNA entstehen können (Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 58(29): 9944-7): In basischer Lösung wurde der spezifische Zucker-Anteil der DNA, die Desoxyribose, aus einfachen Vorläufer-Molekülen direkt an die vier DNA-Basen Adenin (A), Guanin (G), Cytosin (C) und Thymin (T) angebaut. Und wiederum passierte dies bei Temperaturen zwischen 40 und 70 Grad Celsius ganz von alleine. Kein Wunder vermuten die Autoren auch hier, dass womöglich auf diese Weise erste DNA-Moleküle in der präbiotischen Welt entstanden sein könnten – und das sogar früher als bisher angenommen. Was gemerkt? – Hypothese!

Bis heute gibt es hunderte solcher Studien, die allesamt verschiedene Möglichkeiten entwerfen, wie die zwingend notwendigen molekularen Bausteine des Lebens vor Jahrmilliarden erstmals entstanden sein könnten.

Doch nun kommt das angekündigte Dilemma. Zwar entwerfen alle diese Hypothesen Szenarien, die wir prinzipiell falsifizieren können – etwa wenn wir durch gezielte Studien herausfinden, dass notwendige Rahmenbedingungen für das Funktionieren eines Szenarios auf der präbiotischen Erde eben nicht vorgeherrscht haben. Das eigentliche Problem ist damit jedoch nicht aus der Welt – und dieses zeigt sich vor allem bei Testergebnissen, die das jeweilige Szenario zu bestätigen scheinen: In der Origin-of-Life-Forschung machen selbst solche Bestätigungen das jeweilige Szenario allenfalls ein wenig plausibler – mehr nicht!

Es kann hier nicht die ein für allemal klärenden Resultate geben, wie sie etwa der Biochemiker-Kollege erhält, der testet, ob Faktor X in der Zelle einen Einfluss auf Phänomen Y hat. Denn ob sich all die Teil-Szenarien der chemischen Evolution zum ersten Leben hin vor Milliarden Jahren tatsächlich so oder eben doch anders abgespielt haben, werden wir niemals direkt und abschließend testen können. Das ginge erst dann, wenn wir zur präbiotischen Erde zurückreisen könnten. Bis dahin ist die Origin-of-Life-Forschung zur reinen Plausibilitäts-Forschung verurteilt.

Dass die Forschung zum Ursprung des Lebens in letzter Konsequenz hypothetisch bleiben muss, machte übrigens unlängst auch der Münchner Chemiker und Origin-of-Life-Forscher Thomas Carell in einem Interview bei uns sehr schön deutlich (LJ 4/2018: 14-17). Darin betonte er explizit, dass …

… wir heute chemische Reaktionen und Strukturen kennen, die präbiotisch denkbar sind.

Und mit gesunder Wissenschaftlerskepsis folgerte er am Ende:

Es gibt tatsächlich keinen direkten Beweis, dass eine chemische Evolution stattgefunden hat. Dass aber die Bausteine des Lebens relativ leicht entstehen können, ist schon ein starker Hinweis, dass nicht der liebe Gott ein paar Zellen auf die Erde geworfen hat, sondern dass vor dem Auftreten der ersten Zelle eine chemische Evolution stattfand.

Immerhin!

Ralf Neumann

(Illustr.: Christine He)

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Ein Gedanke zu „Der ewige Ursprung des Lebens“

  1. bombjack sagt:

    und wenn man sich die Größe der Erdkugel in den Sinn ruft…..plus die „Nettigkeiten“ über schwarze und weiße Raucher, Riesen-Ebbe und -Flut (weil der Mond ja viel näher war), Schlammpfützen usw. dann bin ich mir subjektiv verdammt sicher, dass da eine Menge Nischen vorhanden waren, so dass die Unwahrscheinlichkeit da sich zu einer Wahrscheinlichkeit entwickelt hat, dass es genau die richtigen Bedingungen gab…

    bombjack

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