Doktorandinnen-Blues (Teil 2)

14. April 2021 von Laborjournal

(… Die Doktorandin aus dem letzten Post sang ihr „Klagelied“ über das Wissenschaftssystem und die Bedingungen ihrer Promotion noch folgendermaßen weiter: … )

Ich war eine idealistische Studentin, getrieben von Wissbegier und Abenteuerlust. Das Studium war perfekt für mich und erfüllte alle meine Erwartungen. Zunächst.

Dass mit dem universitären System etwas nicht stimmte, merkte ich zum ersten Mal, als ich während des Masterstudiums ein Praktikum im Ausland machen wollte. So etwas war nicht vorgesehen und es gab weder Angebote noch Förderung. Ich setzte meinen Plan dennoch in die Tat um. Und ich wollte mehr. Nach Abschluss des Studiums packte ich wieder meinen Rucksack. Ich hatte Blut geleckt – interessante Menschen treffen, exotische Orte sehen und außergewöhnliche Arbeit machen. Maximale Freiheit, maximale Eigenverantwortung und jeder Tag ein Abenteuer. Das perfekte Leben.

Ich war jung und blauäugig und dachte, das würde immer so weitergehen. Ich dachte, die Wissenschaft wäre der ideale Platz für mich – die interessantesten Menschen treffen, die exotischsten Orte sehen und außergewöhnliche Arbeit machen. Also folgte ich dem Lockruf des nächsten Bildungslevels – auf zur Promotion!

Sobald ich meine Stelle angetreten hatte, fühlte ich, wie sich Ketten um mich legten, kalt und schwer. Laut Arbeitsvertrag eine wöchentliche Arbeitszeit von angeblich 19,5 Stunden – haben Sie sich davon auch blenden lassen? Die Bezahlung reicht gerade so zum Leben. Die Forschungsarbeit, die mich tagein, tagaus umtreibt, ist so spezialisiert und engsichtig, dass ich ständig schiele. Zukunftsperspektive? Immer noch Fehlanzeige.

Wie schon das Studium bereitet auch die Doktorarbeit hauptsächlich auf eine universitäre Laufbahn vor. Die kann und will aber nur ein Bruchteil der Doktoranden einschlagen. Die einzige allgemein bekannte Alternative heißt Industrie. Aber was tut man dort eigentlich? Wie kommt man rein? Warum sollte die Industrie mich haben wollen? Und will ich überhaupt die Industrie? Alles sehr ominös. 

Meine Mit-Doktoranden wissen auf die Frage, „was man danach so vorhat“, keine überzeugende Antwort – ein Schulterzucken, begleitet von einem „Mal schauen“. Und wen in seiner Umgebung könnte man sonst fragen? Einen Postdoc? Der hat offensichtlich den naheliegenden Weg gewählt und kennt sich mit den Alternativen wohl kaum aus. Den Chef? Der erwartet, dass seine Mitarbeiter mit Leib und Seele Wissenschaftler sind und an so etwas wie Industrie gar nicht denken.

Damit wird ein entscheidendes Problem deutlich: Die Wissenschaftsgemeinschaft ist extrem verschlossen und nach innen gerichtet. Es kommt kein Input von außen, man lässt einfach keinen rein. Wer als Wissenschaftler einen Blick auf andere Tätigkeiten werfen will, muss sich schon sehr den Hals verrenken. Wer die Wissenschaft verlässt, kehrt nur in den seltensten Fällen zurück.

Eine Folge dieser Abschottung ist ein gegenüber der übrigen Arbeitswelt dramatisch verändertes Wertesystem. In der Wissenschaft gilt nur eine einzige Währung: Artikel. Wer keine publizierbaren Daten hat, ist ein Versager. Und weil alle nur darauf getrimmt werden, ist vielen nicht bewusst, dass in der Welt da draußen ganz andere Dinge von Bedeutung sind. Wer sich bei einem Unternehmen für eine Nicht-Forschungsstelle bewirbt, sollte seine Publikationen gar nicht in die Bewerbung aufnehmen – auch wenn das erstmal schwer fällt. Hier sind persönliche und soziale Kompetenzen gefragt. Die Soft Skills sind wiederum für eine Bewerbung in der Wissenschaft nahezu ohne Bedeutung.

Das führt dazu, dass viele Doktoranden sich und ihre Fähigkeiten grundsätzlich unterschätzen. Dabei haben sie alles, was sie brauchen, um auch in einem nicht-universitären Arbeitsumfeld bestehen zu können. Die Unternehmen wissen das sehr wohl, denn der Doktortitel steht letztlich nicht für Paper oder Hirsch-Faktor, sondern für einen Menschen, der Probleme lösen, sich organisieren und andere anleiten kann. Der mit Stress umgehen, selbstständig Entscheidungen treffen und vieles mehr kann, das nicht überall als selbstverständlich betrachtet wird.

Klar wäre es hilfreich, wenn Studentinnen und Doktoranden mehr Möglichkeiten gegeben würden, über den Tellerrand des akademischen Elfenbeinturms hinaus zu schauen. Sollten Sie mal in die Situation kommen, dahingehend Entscheidungsgewalt zu haben, wissen Sie hoffentlich, was zu tun ist.

Bis dahin mutig sein und nicht unterkriegen lassen! Der Doktortitel wird vor allem fürs Durchhalten vergeben.

Bria Fraser

(Zeichnung: Chris Schlag)

 

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