Rasiermesser-Variationen

7. Dezember 2022 von Laborjournal

Wissenschaftler, die in ihrer Forschung noch klassisch von Hypothesen ausgehen, kennen vielleicht den Namen des mittelalterlichen Philosophen Wilhelm von Ockham. Ja, genau – der mit dem „Rasiermesser“! Bis zum heutigen Tage steht „Ockhams Rasiermesser“ als Symbol für ein gewisses Sparsamkeitsprinzip innerhalb der wissenschaftlichen Methodik. Und das geht etwa so:

Man formuliere ein wissenschaftliches Problem. Dann notiere man ungebremst Hypothesen, wie das zugehörige Phänomen zustande kommen könnte. Fällt einem keine mehr ein, dann zücke man in Gedanken „Ockhams Rasiermesser“ und schäle damit aus dem Wust ungehobelter Hypothesen alles vermeintlich Unnötige und Überflüssige sauber weg. Am Ende nehme man die schlankeste aller alternativen Hypothesen und beginne, sie zu testen. Also diejenige, die mit den wenigstmöglichen Grundannahmen auskommt, das Problem aber immer noch hinreichend erklären kann.

So weit, so gut. Doch leider verstehen viele dieses Prinzip nicht ganz richtig: Denn damit ist keineswegs gesagt, dass die einfachste Hypothese immer auch die richtige ist. Vielmehr gibt „Ockhams Rasiermesser“ lediglich vor, welche von mehreren alternativen Hypothesen man im Zweifelsfall zuerst testen sollte – nämlich eben diejenige, die die wenigsten Variablen braucht.

Die Gründe dafür sind rein praktischer Natur: Denn je einfacher eine Hypothese gestrickt ist, desto leichter sollten dazu auch aussagekräftige Experimente zu entwerfen sein. Und umso leichter lässt sie sich daher theoretisch auch falsifizieren.

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Zitat des Monats (14)

20. September 2013 von Laborjournal

Vor einigen Wochen schrieb der australische Wissenschaftstheoretiker John Wilkins auf seinem Blog Evolving Thoughts zur „Wissenschaftlichen Methode“:

I’ve often noted that there is no such single thing as “scientific method” […]. But there are several things that science does that are worthy of the name: the use of observational evidence, the use of abductive and inductive reasoning to generalise and explain, and the use of deductive reasoning to winkle out the implications of the foregoing. Terms like “theory construction”, “disciplinary matrix” and “research program” are fancier ways to say just this.

„Re-Inkubiert“ (3)

9. August 2013 von Laborjournal

(Urlaubszeit in der Laborjournal-Redaktion. Nicht zuletzt deshalb machen wir es in den kommenden Wochen wie das TV: Wir bringen Wiederholungen. Bis Ende August erscheint jede Woche, jeweils im Wechsel mit einem weiteren „Best of Science“-Cartoon, eine bereits in Laborjournal print publizierte Folge unserer „Inkubiert“-Kolumne. Sicher, alle schon ein wenig älter — aber eigentlich noch immer aktuell.)


Kann es sein, dass Wissenschaftler immer weniger wissen, was sie tun? Oder wie sind die Umfrageergebnisse zu erklären, dass heute die meisten Wissenschaftler „die wissenschaftliche Methode“ nicht kennen? Nun, sparen wir uns an dieser Stelle empörtes Grummeln und Mahnen, versuchen wir lieber, diese Lücke in formalwissenschaftlicher Ausbildung schnell zu füllen. Auf dem Bierdeckel geht „die wissenschaftliche Methode“ etwa so: Man nehme Beobachtungen oder Daten und entwickele daraus eine Theorie. Diese taugt als solche jedoch nur, wenn sie testbare Vorhersagen erlaubt. Denn nur dann kann man Experimente entwerfen, die darauf abzielen die Vorhersagen — und damit im gleichen Aufwasch die gesamte Theorie — zu widerlegen. Zu widerlegen? Ja, widerlegen — denn komplett und umfassend verifizieren lassen sich echte Theorien nicht. Nehmen wir als Beispiel die Theorie „Zebras sind gestreift“. Die Vorhersage ist: Wo ich auch hinschaue, ich finde nur gestreifte Zebras. Das ist potenziell testbar, indem ich versuche mir alle Zebras dieser Welt anzuschauen. Und falsifizierbar ist die Vorhersage ebenso, mir müssen ja nur Zebras ohne Streifen über den Weg laufen. Dies passierte jedoch bisher niemandem, oder war als Ausnahme klar erklärbar, beispielsweise durch Mutationen. Fazit: Die Theorie „Zebras sind gestreift“ gilt weiterhin; sie hat gar sämtlichen „Widerlegungsversuchen“ derart standgehalten, dass sie heute Tatsachencharakter hat. Eigentlich nicht schwer, oder? Warum wissen dann heute so wenige darüber bescheid? Vielleicht weil die Forscher-Spezies zunimmt, die lediglich mit immer besseren Geräten Dinge noch genauer anschaut, die prinzipiell schon lange bekannt sind? Leute also, die viel beobachten, kaum Hypothesen aufstellen, noch weniger vorhersagen und nichts wirklich testen. Nicht umsonst protzen heutzutage auch die „besten“ Journals zunehmend mit „faszinierenden Bildchen“. Schön anzuschauen, aber leider oftmals ohne wirklichen Neuigkeitswert.

(aus Laborjournal 7-8-2006, Foto: © cameraman — Fotolia.com)