Formvollendetes Headbanging

27. Juni 2022 von Laborjournal

Der Wolf hat große Augen, damit er Sie besser sehen kann. Er hat große Ohren, damit er Sie besser hören kann, und er hat einen großen Mund, damit er Sie besser fressen kann. Gewisse Merkmale von Tieren wurden bereits von den Gebrüdern Grimm als Anpassung an deren Überlebensbedürfnisse erkannt. Und die Grimms haben ja nur aufgeschrieben, was sich die Menschen seit Jahrhunderten erzählt haben. Eine frühe Ahnung von Evolution. Und die zugrunde liegende Erkenntnis: Form follows function.

Leider ist dieser Zusammenhang in der Evolution nicht immer eindeutig, und möglicherweise folgt die Form manchmal zwei oder noch mehr Funktionen. Und damit wären wir bei der Giraffe angekommen …

„Warum hat die Giraffe so einen langen Hals?“ – „Damit sie besser Blätter von hohen Bäumen fressen kann,“ lautete meist die Antwort. Schon Lamarck und später Charles Darwin vermuteten, der lange Giraffenhals sei eine Anpassung daran, wie hoch die Nahrung hängt. Aber schon früh kamen Zweifel auf: Warum gab es diese Anpassung nur bei Giraffen? Und: Wäre es nicht „billiger“ gewesen, einfach nur die Beine zu verlängern? Auf der anderen Seite: Wenn man bereits einen langen Hals gehabt hätte, bevor Nahrung in größeren Höhen erreichbar war, wäre das natürlich ein Vorteil gegenüber einem kurzhalsigen Dasein gewesen. Aber warum hätten die Giraffen schon vorher einen langen Hals bekommen sollen?    Diesen Beitrag weiterlesen »

Journals weisen Kunden ab — und sind stolz drauf

20. Januar 2015 von Laborjournal

In seinen Autoren-Richtlinien schreibt Nature, dass es nur 7 bis 8 % der jährlich eingereichten Manuskripte tatsächlich ins gedruckte Heft schaffen.

Bei Science dagegen erblicken nach eigenen Angaben weniger als 7 % der eingereichten Manuskripte das Licht der Publikation.

Ähnlich schwierig kommt man ins British Medical Journal, das umgekehrt eine Rejection Rate von 93 % angibt.

Doch es geht noch knauseriger: The Lancet druckt gerade mal jedes zwanzigste Manuskript ab, und auch das New England Journal of Medicine macht unter der Überschrift „What to expect“ gnadenlos klar:

We publish only the top 5% of the 5,000 research submissions we receive each year.

Mit Annahmequoten von 15 % nehmen sich dagegen etwa Cell und Cancer Research  fast schon großzügig aus.

Auf gleichem Level stand vor kurzem auch das Journal of Cell Biology — allerdings schien die Tendenz damals schon fallend:

[…] our acceptance rate continues to fall (currently at an incredibly selective ~15%)

Interessanterweise beteuern all diese Edelblätter immer wieder in trauter Einigkeit, dass sie ja keineswegs plusminus 90 % Schrott-Manuskripte geschickt bekommen. Vielmehr müssen sie zu ihrem extremen Bedauern all diese wunderschönen „1B-Arbeiten“ leider deswegen ablehnen, weil sie eben nur begrenzt Platz im gedruckten Heft haben. Wäre dies nicht der Fall, dann… ja, dann…

Warum haben dann aber manche E-Journale ähnlich hohe Ablehnungsraten?

Klar, die sogenannten Mega-Journals nicht — PLoS ONE nimmt knapp 70 %der Manuskripte an, Peer J ebenfalls zwischen 60 bis 70 %. Hier stehen ja auch bewusst „lockerere“ Konzepte im Hintergrund — wie Peer J es etwa beschreibt:

[…] journals that ask peer reviewers to judge the merits of a manuscript based solely on the soundness of its methodology and conclusions, rather than novelty or expected impact.

Bei eLife geht’s dann aber mit nur noch 25 % angenommenen Manuskripten wieder scharf runter. Und mit PLoS Biology und PLoS Medicine, die sich beide mit Ablehnungsraten von über 90 % rühmen, ist man dann endgültig wieder auf dem Niveau der altehrwürdigen, gedruckten Edelblätter angekommen.

Geht es denen — im Umkehrschluss des obigen Peer J-Zitats — mit der unverändert scharfen Selektion doch vor allem um das Zurechtkneten eines hohen Impact-Faktors? Nicht wenige vermuten es (siehe etwa hier).

Wenn aber all die abgelehnten Manuskripte tatsächlich so gut sind, wie alle beteuern — dann wird die ganze Absurdität dieses hochgezüchteten Selektionsprozesses durch die erwähnten E-Journals mit ihrem praktisch unbegrenzten Publikationsplatz nochmals eine Umdrehung weiter getrieben. Eine Absurdität, die der ehemalige Chief Editor des British Medical Journals, Richard Smith, vor einiger Zeit in seinem Blog-Post „Why not auction your paper?“ sehr treffend folgendermaßen zuspitzte:

High impact journals have high rejection rates (over 90 %) and are proud of it. Who else apart from editors boast about how many customers they reject?

This Is Evolution…

25. April 2013 von Laborjournal

Der Song „Thrift Shop“ von Macklemore & Ryan Lewis scheint besonders beliebt für Musikvideo-Parodien mit biowissenschaftlichen Inhalten. Nach dem Citrat-Zyklus (siehe Post vom 5. April) ist jetzt die Evolution dran:

(Von HJoo7a)

Zitat des Monats (11)

18. Mai 2012 von Laborjournal

Chris Said, Center for Neural Science an der New York University, warnt in seinem Blog The File Drawer vor zunehmender Voreingenommenheit bei Erstellung, Interpretation und Publikation von Forschungsergebnissen:

Scientific journals favor surprising, interesting, and statistically significant experimental results. When journal editors give preferences to these types of results, it is obvious that more false positives will be published by simple selection effects, and it is obvious that unscrupulous scientists will manipulate their data to show these types of results. These manipulations include selection from multiple analyses, selection from multiple experiments (the “file drawer” problem), and the formulation of ‘a priori’ hypotheses after the results are known. While the vast majority of scientists are honest individuals, these biases still emerge in subtle and often subconscious ways.

Evolution als Entrümpler

27. Januar 2011 von Laborjournal

Blog-Kollege Sebastian Reusch von Enkapsis fordert in seinem jüngsten Post seine Leser auf, in den Kommentaren „Evolution“ zu definieren. Wie so oft bei diesem Thema, quillt  sofort jede Menge Unsinn hervor.

Zum Beispiel wird das verbreitete Missverständnis weiter gepflegt, Evolution ziele gerichtet auf immer höhere Komplexität. Einer der Kommentatoren schreibt etwa:

Evolution bezieht sich auf die Pflanzen- und Tierwelt und bedeutet „Entwicklung“, geht aber auch darüber hinaus. Es ist auf der einen Seite das Herausbilden komplexer Organismen aus weniger komplexen gemeint, aber auch die Anpassung an äußere Zwänge und Gegebenheiten.

Oder, gerade mal drei Kommentare weiter, stellt ein anderer einfach, knapp (und falsch) fest:

Entwicklung vom Einfachen zum Höheren.

Dieser anthropozentrisch geprägte Irrglaube, dass Evolution ein Ziel verfolge, scheint einfach nicht auszurotten. Diesen Beitrag weiterlesen »