Empfehlungsschreiben abschaffen?

17. Februar 2021 von Laborjournal

 

Immer wieder wird debattiert über Sinn und Unsinn von Empfehlungsschreiben (Letters of Recommendation) im Rahmen von akademischen Bewerbungen – insbesondere auch über das dahinter verborgene Missbrauchspotenzial. Ein besonders krasses Beispiel für Letzteres brachten wir vor knapp acht Jahren an dieser Stelle. Ein Zitat aus dem damaligen Beitrag:

… Demnach hörte er in seiner Postdoc-Zeit über einen sehr bekannten Institutsdirektor, dass dieser solche Letters of Recommendation komplett für seine eigenen Bedürfnisse zweckentfremdete: War jemand richtig gut, schrieb er absolut lausige Empfehlungen, um sie/ihn möglichst lange in seinem Labor zu halten – genügte dagegen jemand seinen Ansprüchen nicht, lobte er sie/ihn über den grünen Klee, um sie/ihn möglichst schnell loszuwerden.

Offenbar sprach sich dieses ethisch mehr als fragwürdige Gebahren jedoch ziemlich schnell hinter den Kulissen herum, sodass den meisten bald klar war: Stellte sich jemand aus dem Labor dieses Schlaumeiers mit lausiger Referenz vor — unbedingt nehmen!

Auf Twitter wurde diese Diskussion gerade wieder frisch vom Immunologen Daniel Mucida von der New Yorker Rockefeller University aufgeworfen. Frei übersetzt schrieb er…

Das System der „Empfehlungsschreiben“ stärkt eine Kultur der Abhängigkeit, es erschwert die Mobilität von Abhängigen […] Wir sollten dieses System der „Empfehlungsschreiben“ abschaffen und ersetzen – ich bin sicher, wir können uns eine kreativere Lösung einfallen lassen.

… und versah den Tweet mit dem Hashtag #endreferenceletters.

Natürlich gab es darauf unmittelbar jede Menge Zuspruch, den die Autoren manchmal noch um weitere Details oder gar mit eigenen kleinen Anekdoten garnierten. Uns jedoch ist insbesondere die folgende – wiederum frei übersetzte – Antwort des Immunologen Thiago Carvalho vom Instituto Gulbenkian de Ciencia in Lissabon aufgefallen:

Sicher gibt es jede Menge nicht hilfreicher Letters of Reference. Was aber ist mit dem großartigen Studenten, dem jemand anders nur knapp zuvorgekommen ist, oder mit demjenigen, der ein wirklich originelles Projekt übernommen hatte und ein negatives Ergebnis erhielt, oder mit demjenigen, der zwischendrin ein krankes Familienmitglied pflegen musste, et cetera? Wer auf diese Weise aus der Norm fällt, ist ohne eine gutes Empfehlungsschreiben in der Regel dem Untergang geweiht. […] Ich habe jedenfalls einige gute Empfehlungsschreiben gesehen, die in diesem Sinne tatsächlich einen Unterschied gemacht haben.

Die Möglichkeit, so etwas bewirken oder richtigstellen zu können, sollte man bei der Suche nach Alternativen für das „System der Empfehlungsschreiben“ nicht leichtfertig mit über Bord schmeißen.

Ralf Neumann

(Foto: iStock / noella Raymond)

 

Von wem lernt man das Forschen?

2. Dezember 2020 von Laborjournal

Was lernen Labor-Frischlinge überhaupt von ihren Profs oder Gruppenleitern? Experimentelles Handwerk wohl nur selten — dazu haben diese in aller Regel zu lange selbst nicht mehr am Labortisch gestanden.

Der Autor dieser Zeilen erinnert sich jedenfalls mit großem Amüsement an die Momente aus seiner eigenen Laborzeit, in denen „sein“ Prof plötzlich ins Labor schwebte — und fragte: „Ich hab‘ gerade etwas Zeit, kann ich bei irgendwas helfen?“ Jedes Mal zuckten wir dann kurz zusammen, um uns sogleich betont lässig zurückzulehnen: „Danke, aber ich mach‘ heut‘ eh nur Auswertung…“ — „Hm, ungünstig! Muss gleich runter in den Dunkelraum, und da ist schlecht zu zweit zu arbeiten….“ — „Ach, schade! Muss gerade zwei Stunden auf meine Proben warten…“ – …

Oh Mann, der Chef hat mal wieder selbst was versucht…

Oder es läuft so, wie kürzlich ein Bekannter berichtete: „Unser Chef nimmt sich jedes Jahr eine ganze Woche, um selbst zu experimentieren. Das ganze Labor liegt dann lahm, weil wir ihn um Himmels willen nicht alleine lassen können und ihm alles zeigen müssen. Und am Ende, wenn er wieder in sein Büro verschwindet, müssen wir das ganze Chaos aufräumen, das er hinterlassen hat.“

Das Experimentelle ist es also weniger, was die „Chefs“ den Frischlingen beibringen. Aber sicher doch alles andere, was praktische Wissenschaft ausmacht: Daten sauber analysieren, interpretieren und einordnen; die richtigen Fragen ableiten; Hypothesen entwickeln; Teststrategien entwerfen; die Notwendigkeit von richtigen Kontrollen und genügend Wiederholungen klarmachen;… Oder?

Offenbar nicht wirklich. US-Sozialwissenschaftler haben mit den ihnen eigenen Methoden vielmehr Folgendes festgestellt: Junge Doktorandinnen und Doktoranden lernen sämtliche (!) Fähigkeiten und Fertigkeiten der experimentellen wissenschaftlichen Arbeit vier- bis fünfmal besser, wenn sich Postdocs oder fortgeschrittene Prä-Docs um sie kümmern, als wenn die „Chefs“ sie direkt betreuen. Weshalb sie folgern, dass demnach in der Doktoranden-Ausbildung eine Art „Kaskaden-Modell“ am zielführendsten sei (PNAS 116 (42) 20910-16).

Womit Rolle und Bedeutung von Postdocs und Senior-Docs für den gesamten Wissenschaftsbetrieb nochmals deutlich aufgewertet werden.

Ralf Neumann

 

Lab-Budgetplanung will gelernt sein

30. Oktober 2019 von Laborjournal

Money makes research go round

Der frischgebackene Masterstudent merkt das erstmals, wenn er voller Elan die nötigen Vektorkonstrukte für sein Projekt zusammenbastelt. Nach Klonierungsansatz und eifrigem Studium der entscheidenden Sequenzabschnitte wählt er für den analytischen Verdau ausgerechnet das Restriktionsenzym FatI. Erwartungsvoll präsentiert er den Plan seinem Prof — und der schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: „FatI, ja klar! Tatsächlich so ziemlich das fetteste Enzym von allen. 250-mal teurer als EcoRI. Und das, nur um ein Plasmid zu überprüfen? Nee, das geht ganz sicher auch mit viel billigeren Enzymen.“

Woher sollte der arme Masterstudent das wissen? Denn auch in der Forschung gilt die weitverbreitete Etikette: Über Geld spricht man nicht! Selbst Postdocs haben meist keine Ahnung, was ihr eigenes Projekt kostet — geschweige denn, wieviel Geld das gesamte Labor zur Verfügung hat und wie es budgetiert ist.

Dabei müssten eigentlich genau diese Dinge — Budgetierung und Grant Management — zwingender Bestandteil eines ordentlichen Postdoc-Trainings sein. Schließlich müssen diese bald selbst die vollen Kosten für geplante Projekte zuverlässig kalkulieren und daraufhin die passenden Anträge stellen können. Der Laborleiter, der einmal im Jahr mit seinen Leuten eine komplette „Haushaltssitzung“ macht, ist jedoch die rühmliche Ausnahme. Die Realität spiegelt sich eher in der folgenden Forums-Frage eines Postdocs:

Kann ich meinen Chef einfach ansprechen — nach dem Motto: „Ich würde gerne mehr über Labor-Budgetierung und -Management lernen, um besser auf meine akademische Zukunft vorbereitet zu sein. Kannst du mir daher das ungefähre Jahresbudget für unser Labor erklären und mir aufschlüsseln, wie es sich auf die einzelnen Posten verteilt?“ Wäre das genauso unverschämt, wie ihn nach seinem Gehalt zu fragen? Oder so heikel, wie sich nach seiner letzten Zahnbehandlung zu erkundigen?

Nein, es ist weder unverschämt noch heikel — es ist absolut angemessen!

Allerdings kann es einem dann auch ergehen wie Postdoc Müller: Dem erklärte sein Chef auf Nachfrage nach anfänglichem Zögern umfassend das Finanzmanagement der Gruppe — mit dem Resultat, dass dieser seitdem die komplette Buchhaltung des Labors am eigenen Hals hat.

Ralf Neumann

Illustrationen: AE Zemin

Wer hat hier eigentlich Talent?

23. Oktober 2019 von Laborjournal

Junge Talente. Wenn man sich so umhört, könnte man fast meinen, dass Wohl und Gedeih der Wissenschaft einzig von ihnen abhängen. Nicht zuletzt, da schon länger Programme zur Förderung besonders begabter Jungforscher wie Pilze aus dem feuchten Herbstboden schießen.

Das ist zwar sicher gut so, da gerade der wissenschaftliche Nachwuchs bis vor einiger Zeit doch arg vernachlässigt wurde — meist zugunsten der etablierten Platzhirsche. (Ganz abgesehen davon, dass er ja sowieso zu schlecht bezahlt wird.) Das Problem bei der ganzen Sache ist jedoch erstmal ein anderes: Bevor man Talent fördern kann, muss man es erkennen. Und zwar nicht erst, wenn jemand bereits seine ersten wissenschaftlichen Fußstapfen in irgendwelchen angesehenen Journalen hinterlassen hat. Nein, viel früher. Möglichst ganz am Anfang schon.

In einer idealen Welt müsste Chef oder Chefin jeden „Neuankömmling“ im Labor gerade in den ersten Monaten ganz besonders begleiten. Denn wenn da mit den richtigen Leuten nicht die richtigen Dinge passieren, nimmt der begabte Nachwuchs ganz schnell sein Talent und geht woanders spielen.

Doch die Welt ist nicht ideal — Chefs oftmals schon gar nicht. Und so ereignen sich immer wieder Fälle wie der folgende:

Eine Master-Studentin kommt frisch ins Labor und beginnt ein neues Projekt. „Zum Antesten“, steckt der Chef einem Kollegen. „Wäre zu riskant für unsere Docs und Postdocs, die brauchen doch was Sicheres, mit Ergebnisgarantie.“

Kaum hat die Studentin die ersten positiven Ergebnisse, nimmt der Chef ihr jedoch prompt das Projekt ab und übergibt es einem Postdoc. „Der kriegt das schneller hin, hat ja auch mehr Erfahrung“, sagt er seinem Kumpel. „Um der Wissenschaft willen“, sagt er der Studentin.

Mit dem nächsten „riskanten Projekt“ dasselbe: Die Studentin hat schnell erfolgsversprechende Ergebnisse — und Postdoc Nummer 2 übernimmt. Und man mag es kaum glauben, aber das Muster wiederholt sich ein drittes Mal — sehr zur Freude von Postdoc Nummer 3.

Wer hier wirklich Talent hat, erkennt der aufmerksame Leser schnell — der „Chef“ offenbar nicht. Das Ende vom Lied: Der Master-Studentin bleibt nichts anderes übrig, als eine fürchterliche Patchwork-Arbeit zu schreiben — und macht hernach Karriere in der Software-Branche.

Und die drei Postdocs? Sind heute immer noch Postdocs.

Ralf Neumann

(Eine etwas andere Version dieses Textes erschien bereits in unserer Printausgabe Laborjournal 11/2008.)

Foto: iStock / Imgorthand

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Je weniger hightech, desto kreativer

7. August 2019 von Laborjournal

Gerade über einen etwas älteren Text des Wissenschaftsbloggers Bora Zivkovic gestolpert, der — allerdings erst nach einer Weile — die Themen Big Science versus Small Science sowie Molecular versus Organismal Biology diskutiert. Ein Abschnitt darüber ist besonders bemerkenswert — sodass wir ihn hier (etwas freier) übersetzen wollen:

„[…] Wenn man um viel Geld bittet, weil man ordentlich viel Hightech-Forschung betreiben will, wird man es mit einer gewissen Wahr­schein­lich auch bekommen. Warum sollte man sich also die Mühe machen, über schnellere und billigere Wege nachzudenken, mit denen man das gleiche Problem lösen könnte, wenn es doch viel einfacher ist, Millionen zu bekommen und damit zwanzig Techniker und Studenten im Labor zu beschäftigen, um all die Fleißarbeit zu erledigen?

Sicher, einige Fragen können nur durch teure Hightech-Forschung beantwortet werden. Aber inzwischen sind doch die meisten Wissen­schaft­ler kaum noch darauf trainiert, innezuhalten und zu überlegen, ob nicht vielleicht ein billigerer Alternativansatz einen gangbaren, wenn nicht sogar besseren Weg böte, um zur selben Antwort zu gelangen.

Die Kehrseite davon: Je mehr „hightech“ ein Labor ist, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass die Studenten und sogar die Postdocs kreativ sein dürfen. Schließlich steht viel Geld auf dem Spiel — genauso wie der Ruf und des Ansehen des Supervisors.

In der Biologie bedeutet das: Je „molekularer“ ein Labor ist, umso eher sind die Studenten und Postdocs nur bessere Technische Angestellte. Bewegt man sich dagegen weiter von den Molekülen weg und betreibt organismische Biologie, Verhaltensforschung oder Feldstudien, darf man mehr Kreativität zeigen, da weniger Geld und Egos auf dem Spiel stehen.

Molekulare Daten bringen letztlich nur Hypothesen, die in ganzen Organismen getestet werden müssen. Denn interagieren die Moleküle im Tier oder der Pflanze tatsächlich so, wie sie es im Reagenzglas getan haben? Wir Molekularbiologen machen mit unseren Maschinen den teuren Teil. Ihr „Fremdlinge“ nehmt dann unsere Daten und erledigt im Gesamtorganismus die kreative Arbeit, die das Thema am Ende wirklich auf den Punkt bringt.“

Meinungen dazu?

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Zehnmal #Forscherfrust

28. Februar 2019 von Laborjournal

In der vergangenen Woche eröffneten wir auf Twitter den Hashtag #Forscherfrust. Unsere zehn Beispiele für entsprechende Frusterlebnisse rund um das Forscher-Dasein sind hier nochmals zusammengetragen:

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Wenn jemand noch weitere Beispiele loswerden will — entweder hier unten im Kommentarfenster oder unter dem Hashtag #Forscherfrust auf Twitter.

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Von verdienten aber verschwiegenen Co-Autoren

4. Dezember 2018 von Laborjournal

Schau mal an! Wieder eine E-Mail eines… — nun ja, verärgerten Nachwuchsforschers. Be­schwert sich, dass er nicht als Co-Autor mit auf das jüngste Paper seiner Gruppe genommen wurde. Totaler Skandal, weil er das natürlich klar verdient gehabt hätte — mehr noch als der konkrete Zweitautor. Ob wir das nicht öffentlich machen könnten. Solches Unrecht gehöre schließlich mal an den Pranger gestellt. Und nein — ihm selbst könne nix mehr passieren, da er inzwischen die Gruppe gewechselt habe. Aber sauer sei er natürlich immer noch…

Etwa ein Dutzend solcher E-Mails bekommen wir im Jahr. Einige Male haben wir tatsächlich nachgefragt. Und stets war „der Fall“ kaum objektiv darstellbar. Bisweilen schien es sogar ziemlich plausibel, warum der „Kläger“ letztlich nicht mit auf dem besagten Paper stand.

Dabei werden offenbar tatsächlich die Nachwuchsforscher vom Postdoc bis zum Master-Studenten mit am ehesten aus den Autorenlisten draußen gelassen. Zumindest war dies eines der Ergebnisse einer Umfrage der beiden US-Soziologen John Walsh und Sahra Jabbehdari aus dem Jahr 2017. Und die hatten dazu in den USA einige Leute mehr befragt als wir hier: Am Ende konnten sie die Angaben von 2.300 Forschern zu deren eigenen Publikationen auswerten (Sci. Technol. Human Values 42(5): 872-900).

Machen wir’s kurz:

» Nach Walsh und Jabbehdari listete ein Drittel der Artikel aus Biologie, Physik und Sozialwissenschaften mindestens einen „Gastautor“ mit auf, dessen Beitrag die Anforderungen für eine Co-Autorenschaft eigentlich nicht erfüllte. Angesichts von Ehren- und Gefälligkeits-Autorschaften wie auch ganzen Co-Autor-Kartellen war ein solch hoher Anteil womöglich zu erwarten.

» Viel erstaunlicher dagegen mutet jedoch der noch höhere Anteil an Artikeln an, auf denen ein oder mehrere Co-Autoren verschwiegen wurden, die wegen ihres Beitrags zur Studie eigentlich mit aufgelistet gehört hätten. Die befragten Forscher gaben an, dass hinter ganzen 55 Prozent ihrer Artikel noch mindestens ein weiterer „Geister-Autor“ gestanden hätte. Biologie und Medizin lagen genau in diesem Schnitt, während Ingenieurs-, Umwelt- und Agrarwissenschaften noch deutlich höher lagen. Den niedrigsten Anteil an „Geister-Autoren“ ermittelten die Verfasser mit 40 Prozent für die Mathematik und Computerwissenschaften.

» Und wer wurde hierbei bevorzugt „verschwiegen“? Neben Technischen Angestellten interes­san­ter­wei­se eher Postdocs als „Graduate Students“, also Doktoranden und Master-Studenten. In der Medizin lag der Anteil der Postdocs unter den „Verschwiegenen“ etwa bei 28 Prozent gegenüber 16 Prozent „Graduate Students“; in der Biologie betrug dasselbe Verhältnis 21 gegenüber 15 Prozent.

In der Summe heißt das also, dass in den Autorenzeilen jeder fünften Veröffentlichung aus den Medizin- und Biowissenschaften mindestens ein Nachwuchsforscher fehlt, der die Nennung eigentlich verdient gehabt hätte. Sicher lässt sich einwerfen, dass die gleiche Befragung in Europa womöglich andere Zahlen liefern würde. Aber würden Sie, liebe Leser, eine Voraussage wagen, in welche Richtung sich die geschilderten US-Verhältnisse dann verschieben könnten?

Wir meinen, angesichts der Bedeutung, die Co-Autorenschaften heutzutage für wissenschaftliche Karrieren haben, liefern bereits die US-Zahlen alleine ziemlich verstörende Erkenntnisse. Und für uns daher ein Grund mehr, um E-Mails wie der oben erwähnten tatsächlich nachzugehen.

Ralf Neumann

Zeichnung: Rafael Florés

Was interessiert den Ex-Postdoc sein altes Geschwätz?

15. Oktober 2018 von Laborjournal

Wieder einmal landete eine Frage auf unserem Redaktionstisch, zwischen deren Zeilen man eine gewisse Wut förmlich riechen konnte — und die ging so:

Da gibt es etwas, das ich einfach nicht verstehe. Schon vor zwanzig Jahren habe ich Doktoranden und Postdocs immer wieder stöhnen hören, wie schlimm sich das Wissen­schaftssystem entwickelt habe und wie sehr sie unter den Instituts-Hierarchien und -Platzhirschen leiden würden. Jetzt sind die meisten von ihnen selber Gruppenleiter, Instituts-Chef oder sogar noch mehr. Aber nichts hat sich geändert, sie verhalten sich heute genauso wie diejenigen, die sie damals kritisiert haben — vielleicht sogar noch schlimmer. Dabei sind doch sie es, die heute die Dinge tatsächlich ändern könnten, über die sie damals noch so gemeckert haben — wenigstens in ihrem eigenen Umfeld. Da muss man sich schon fragen: Wollen sie das inzwischen vielleicht gar nicht mehr?

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iStock / :Lisa-Blue

Uns fiel daraufhin sofort ein Editorial ein, in dem wir vor gut drei Jahren die Ergebnisse einer Studie zu diesem Thema vorstellten (LJ 4/2015, S. 3) — und aus dem wir im Folgenden quasi als Versuch einer Antwort zitieren wollen:

[…] Zu denken geben sollte diesen aber die Doktorarbeit der Wiener Wissen­schafts­forscherin Lisa Sigl, in der sie untersuchte, wie sich die prekären Lebens- und Arbeitsverhältnisse junger Biowissenschaftler auf deren Forschungstätigkeit auswirken. Sigl beleuchtet zunächst die verschiedenen Unsicherheitsfaktoren, die das Leben der jungen Biowissenschaftler prägen. Etwa die Unwägbarkeiten beim Erkenntnisgewinn, die jeder Forschung innewohnen, sowie die existentiellen Risiken, die durch die Verkettung von Zeitverträgen entstehen. Anschließend kommt sie dann zum eigentlich interessanten Punkt ihrer Dissertation: Wie gehen ihre Probanden und die Arbeits­gruppe insgesamt mit dieser Belastung um und welchen Einfluss hat sie auf die Ausrichtung ihrer Forschung?

Die Wienerin beobachtete vier unterschiedliche Strategien zur Bewältigung des auf den Forschern lastenden Drucks. Die erste und unter Biowissenschaftlern sehr beliebte Variante bezeichnet sie als Clan-Verhalten: Die Gruppe ordnet sich dem dominanten Labor- oder Gruppenleiter unter, der nicht nur die wissenschaftliche Ausrichtung der Gruppe bestimmt, sondern auch die finanziellen Mittel verteilt. Entsprechend groß ist seine Macht, aber auch seine soziale Verantwortung gegenüber den Gruppenmit­glie­dern. Klar, dass hier jedes Mitglied der Arbeitsgruppe versucht, dem Chef nicht unbe­dingt ans Bein zu pinkeln.

Die zweite Bewältigungsstrategie, das zusammenarbeitende Kollektiv, ist sicher die sympathischste Variante, die aber durch den zunehmenden wissenschaftlichen und ökonomischen Druck im Labor immer seltener anzutreffen ist. Bei dieser Form mit flachen Hierarchien und einem häufigen Erfahrungsaustausch unter den Wissen­schaft­lern steht die Gruppenarbeit im Vordergrund.

Und jetzt kommt der Teil, der für die Beantwortung der obigen Frage womöglich am interes­san­testen ist:

Mit zunehmender Forschungserfahrung treten bei Doktoranden und Postdocs neben diesen beiden gemeinschaftlichen, zwei weitere, individuelle Strategien zu Tage: die Manager- und die Tricksterstrategie.

Der Manager verwaltet seine Forschung und versucht die akademische Karriereleiter mit möglichst geringem Risiko emporzusteigen. Für diesen Jungforscher-Typus steht nicht die Forschung selbst, sondern das Karriere-Risikomanagement der Forschung im Vordergrund. Der Trickster hingegen versucht seine prekäre Situation „auszutricksen“ und versteckt seine eigenen Projekte hinter verklausulierten Anträgen, um an Geld heranzukommen. Trickster sind unter Biowissenschaftlern aber eher selten anzutreffen.

Die prekäre Lebenssituation von jungen Biowissenschaftlern fördert also, so das Fazit von Sigl, vermehrt Clan-Verhalten und Wissenschaftler, die vorwiegend Risikomana­ge­ment betreiben. Jungforscher, die aus reiner Neugier riskanten aber spannenden wis­sen­schaft­lichen Fragen und Projekten nachgehen, bringt das aktuelle Wissen­schafts­sys­tem hingegen immer seltener hervor.

Gut, die Schlussfolgerung geht damit in eine andere, mindestens ebenso spannende Richtung. Aber könnten Sigls Erkenntnisse hinsichtlich des Strategiewechsels bei zunehmender „System­erfahrung“ nicht auch eine Antwort auf die obige Eingangsfrage liefern — wenigstens in Teilen? Oder gibt es noch andere Aspekte, die dabei mitspielen, dass die „Bosse“ von heute nichts von dem ändern, worüber sie einst als Doktoranden und Postdocs selbst noch heftig meckerten?

Ralf Neumann

16 Gebote rund um die Leitung einer Forschungsgruppe

10. Oktober 2018 von Laborjournal

(Ging es im letzten Posting um die „Zehn ketzerischen Gebote zur wunderbaren Welt der Leistungsorientierten Mittelvergabe (LOM)“, kommen hier 16 Gebote rund um die Leitung einer Forschungsgruppe. Der schwedische Evolutionsbiologe Mats Björklund präsentierte sie kürz­lich auf Twitter, wir haben sie für unseren Blog übersetzt:…)

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„Nach 38 Jahren in der Wissenschaft und 19 Jahren als Leiter einer Forschungsgruppe habe ich viel erlebt und einiges gelernt. Hier sind einige meiner Überlegungen und Erfahrungen dazu. Stimme zu oder auch nicht — das ist dann deine Sache…:

  • Wenn Du eine Gruppe leitest, arbeiten nicht Deine Leute für Dich, sondern Du arbeitest für Deine Leute. Ein gewisses Maß an Altruismus ist zwingend nötig.
  • Doktoranden und Postdocs sind nicht Deine Arbeitskräfte, um all das langweilige Zeug zu tun — sie sind Deine Kollegen, nur eben weniger erfahren. Nutze daher vor allem ihre Gehirne zum Wohle der gesamten Gruppe, und nicht nur ihre Hände.
  • Studenten respektieren Dich, wenn du ein inspirierender Lehrer bist. Das Bestehen auf Titel-Hierarchien bringt keinen Respekt, sondern behindert vielmehr einen sinnvollen Dialog. Welchen Sinn haben Titel überhaupt?
  • Pflege gute Verbindungen, vor allem nach „oben“. Gehälter und Ressourcen hängen am Ende mehr davon ab, wen Du kennst, als von dem, was Du tust. Das Schlüsselwort ist „strategisch“.
  • Wenn Du eine feste Anstellung hast, unterstütze die befristet angestellten Nachwuchswissen­schaftler. Sie sind diejenigen, die eines Tages alles von Dir übernehmen werden.
  • Eine Menge Geld auf Kosten vieler nur in wenige zu stecken, steigert nicht den wissenschaft­li­chen Output. Es führt höchstens zu einem Anstieg der Egos — und das ist keine gute Sache.
  • Halte die Vielfältigkeit der Mitarbeiter hoch, um intellektuelle Inzucht zu verhindern. Solche Art von Inzucht ist ein unfehlbarer Weg zu mittelmäßiger Wissenschaft. Darüber hinaus macht es Spaß, Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen kennenzulernen.
  • Die Zuteilung von Ressourcen folgt dem Gesetz des sinkenden Grenzertrags (Law of Diminish­ing Returns). Der erste Grant an einen Wissenschaftler bringt viel „Rendite“, der x-te fast keine mehr. Das Streuen von Ressourcen unter viele kompetente Wissenschaftler fördert die Wissenschaft.
  • Auch die Arbeitszeit folgt dem Gesetz des sinkenden Grenzertrags (Law of Diminishing Returns). Die Produktivität steigt nicht linear mit der Zahl der Stunden in Büro oder Labor. Geh nach Hause und tu etwas anderes, wenn du für den Tag mit der Arbeit fertig bist. Auch wenn es erst Mittag ist.
  • Meide große Fakultätssitzungen. Sie sind nur ein Ort für eine kleine Gruppe von Extrovertier­ten, um das zu tun, was sie am besten können — nämlich extrovertiert zu sein. Ein paar Laute spiegeln selten die Meinung der breiten Masse wider.
  • Wenn Du den Input anderer für eine Entscheidung brauchst, sind große Meetings meist nutzlos. Vier-Augen-Gespräche liefern Dir die wahre Meinung der Menschen. Das kostet Zeit, aber die ist es allemal wert.
  • Pflege ein Leben außerhalb der Wissenschaft. Was es bringt, das Hirn mal ruhen zu lassen, wird fürchterlich unterschätzt. Work-Life-Balance ist wichtiger, als Du denkst. Daher ist Urlaub auch nicht die Zeit, um Literatur nachzuarbeiten, sondern ist die Zeit für Ruhe.
  • Schreibe Deinen Namen nicht auf alles, was in Deinem Labor produziert wird. Es bläst Deinen Lebenslauf in einem Maße auf, dass Dir ohnehin niemand glaubt, er sei nicht auf Kosten der Lebensläufe Deiner Nachwuchskräfte zustande gekommen.
  • Hör zu. Hör zu. Hör zu. Zu spüren, was zwischen den Zeilen steckt — und auch was die Körpersprache sagt —, ist nicht leicht, aber dennoch fundamental, um zu wissen, wie es Deinen Leuten mit der Arbeit und ihrem Leben geht.
  • Wir haben alle Downs, wenn nichts mehr geht. Die Mitarbeiter dann dazu zu zwingen, trotzdem zu arbeiten anstatt sich zu erholen, bringt keinen Fortschritt — eher im Gegenteil. Pausen zu machen ist der Schlüssel.
  • Vergiss „wissenschaftliche Leitung“. Was ein Wissenschaftler braucht, sind Freiheit, Ressourcen (Geld und Zeit) sowie eine gute intellektuelle Umgebung. Aber keine „Leittiere“.“

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Was hat Björklund noch vergessen?

Foto: Fotolia / Stockwerk-Fotodesign

Der ewige Postdoc… SPRICHT!

6. Juni 2018 von Laborjournal

In unserer Laborjournal-Ausgabe 3/2018 wie auch hier im Blog präsentierten vor einigen Wochen den unten folgenden Jubiläums-Cartoon „20 Jahre Forscher Ernst“ — damals allerdings mit leeren Sprechblasen, also ganz ohne Worte.

Für die zugehörige Story beziehungsweise Pointe baten wir Euch, liebe Leser, um Ideen und Mithilfe. Und tatsächlich erreichten uns einige Vorschläge…

Ganz zuletzt lieferte auch Zeichner Rafael Florés selbst den folgenden Dialog:

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Und tja, was sollen wir sagen — er gefiel der Redaktion einfach am besten! Was nicht wirklich überrascht, da Rafael ja schon seit über zwanzig Jahren mit unserem „ewigen Postdoc“ zusammenlebt.

Aber auch die nächsten vier Text-Ideen fanden wir kaum schlechter, als da im einzelnen wären:

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… von Blog-Kommentator“Elliott“

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… von Lorenz Adlung, Weizmann Institute of Science, Rehovot/Israel

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… von Blog-Kommentator „knaxel“

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… von Kurt Stueber, Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln

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Vielen Dank für’s Mitmachen! Neue Laborjournal-T-Shirts gibt’s für alle fünf Texte — sobald sie aus der Produktion endlich bei uns angekommen sind…

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