Vorteilhafte „Ball-Kleider“

24. Mai 2023 von Laborjournal

Wie Evolution funktioniert, zeigt sich oft am anschaulichsten an besonders ausgefallenen Eigenschaften einzelner Organismen.

Nehmen wir als Beispiel die Zwerg- oder Kleinzikaden (Cicadellidae). Diese Insek­ten­familie zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass deren 0,2 bis 3 Zentimeter großen Mitglieder die einzigen sind, die sogenannte Brochosomen bilden. Die Evolution „erfand“ solche Brochosomen also erstmals in der Vorfahrenlinie der heutigen Zwergzikaden – und bis heute offenbar nirgendwo anders in der belebten Welt.

Sehen aus wie kleine Fußbälle: Brochosomen

Doch was sind Brochosomen? Kurz gesagt sind es 0,2 bis 4 Mikrometer große „Hohl-Bällchen“. Der innere Hohlraum wird dabei von einer Oberfläche umspannt, die sich – fast wie bei alten Leder-Fußbällen – aus fünf- und sechseckigen Protein-Lipid-Einheiten zusammensetzt. Die Zwergzikaden bilden diese Mini-Bällchen im Golgi-Komplex bestimmter Zellen der Malpighischen Gefäße, scheiden sie als eine Art Granulat am Hinterleib aus und verteilen sie mit speziellen Borsten der Hinterbein-Tibien auf Körper und Flügeln.

Da die Brochosomen extrem hydrophob sind, liegt nahe, dass sie die Kleinzikaden vor Wasser schützen. Außerdem soll das „Ball-Kleid“ (Sorry, der musste jetzt sein!) verhindern, dass die kleinen Krabbler am Ende rettungslos mit dem von ihnen selbst abgesonderten, zuckrigen Honigtau verkleben.

Schön und gut, aber was lehren uns die Zikaden-Bällchen jetzt über die Evolution? Zunächst einmal: Die Evolution plant nie voraus. Es wird also nicht so gewesen sein, dass die Zwergzikaden-Vorfahren vor dem großen Problem standen, dass sie allzu nass wurden oder an ihrem eigenen Saft verklebten – und dass deren Evolution sie dann deswegen gezielt die Brochosomen entwickeln ließ, um Abhilfe zu schaffen.   Diesen Beitrag weiterlesen »

Diverse Arten

18. Juli 2013 von Laborjournal

Welches Maß an genetischen Unterschied braucht es, um eindeutig zwei Spezies voneinander zu trennen?

Bleiben wir zunächst bei uns. Die Genome zweier beliebiger Menschen unterscheiden sich in knapp einem Prozent ihrer Sequenzen — offenbar zu wenig für zwei unterschiedliche Arten. Mit dem Schimpansen dagegen teilen wir uns im Schnitt 96 Prozent des Genoms. Bleibt man nur dabei, so müsste man folgern, dass irgendwo auf dem Weg von 99 runter zu 96 Prozent Sequenzübereinstimmung die genetische Artgrenze überschritten wird. Jetzt unterscheidet sich aber ein Schimpanse in seiner Sequenz von seinem eigenen Artgenossen bereits genau so sehr wie die beiden Spezies Mensch und Neanderthaler. Es scheint also komplizierter zu sein.

Wenn wir den Blick nur ein wenig ausweiten, stellen wir schnell fest: Es ist viel komplizierter! Bereits 2004 schrieben wir in Laborjournal print (Vol. 1-2/2004: 24):

Wiewohl Faustregeln zu einer molekularen Spezies-Differenzierung bereits existieren, kann eine Artabgrenzung allein aufgrund der Menge an Basenunterschieden schwer in die Irre führen. Diesen Beitrag weiterlesen »