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Forschungsbetrug im eigenen Labor vermeiden? — Ein paar Daumenregeln.

26. Mai 2021 von Laborjournal

Kürzlich fragte der Zürcher Neuropathologe und Prionen-Spezialist Adriano Aguzzi auf seiner Facebook-Seite:

Können wir bitte eine aufgeschlossene, ehrliche und tabufreie Diskussion über wissenschaftlichen Betrug führen? Wie man ihn verhindern kann, und wie man damit umgehen sollte?

Und er startete gleich selbst:

Ich fange mal selber an und behaupte, dass jeder, der denkt, so etwas könne in seinem Labor nicht passieren, sich besser auf böse Überraschungen gefasst machen soll. In meinem Labor ist es jedenfalls passiert.

Insgesamt kamen unter dem Posting noch 50 weitere Kommentare zusammen, die wir hier natürlich weder alle referieren noch zusammenfassen wollen. Einer allerdings gefiel uns besonders gut. Giovanni Giuliano, Forschungsdirektor an der Nationalen Agentur für neue Technologien, Energie und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung (ENEA) in Rom, gab folgendes zu bedenken:

Ein paar Daumenregeln, die in meinem Fall funktioniert haben:

a) Datenmanipulation ist üblich (das Löschen „fehlgeschlagener Proben“ oder gänzlich „gescheiterter Experimente“ aus einem Datensatz ist die Norm, und keineswegs die Ausnahme).

b) Ein veröffentlichter Datensatz kann definitionsgemäß nicht das Universum aller möglichen Variationen repräsentieren, sondern nur diejenigen der Replikationen, die von einer bestimmten Person in einem bestimmten Labor durchgeführt werden.

c) Diese Variation sollte zumindest von einer anderen Person im selben Labor reproduzierbar sein, idealerweise jedoch von einer anderen Person in einem anderen Labor.

d) Wenn die Daten nicht zu deiner Hypothese passen, sei klug: Finde eine bessere Hypothese!

e) Sichere dir Kopien der Primärdaten und lasse sie von neuen Mitarbeitern in deinem Labor bei deren Projektstart erneut analysieren. Dies wirkt eine starke Abschreckung gegen Manipulation.

f) Biologie ist komplex. Egal wie klug du bist, keine biologische Hypothese passt zu all deinen Daten. Versuche demnach unabhängig davon das zu veröffentlichen, was du für gute Daten hältst – auch wenn sie nicht zu deiner Hypothese passen. Jemand anders wird dann entweder zeigen, dass deine Methodik falsch ist, oder eine bessere Erklärung für die Daten finden.

g) Wir sind alle Sünder: Wenn du jemanden dabei erwischst, wie er das Datenpolieren übertreibt, lasse sie oder ihn wissen, dass es um mehr geht als nur um eine Frage der Moral – es geht um Intelligenz! Wie es auf dem Apollo-Tempel in Delphi geschrieben steht: Μηδὲν ἄγαν (Nichts im Übermaß!).

Das lassen wir jetzt mal so stehen. Aber vielleicht weiß ja jemand noch die eine oder andere weitere „Daumenregel“…

Ralf Neumann

 

Wie wichtig sind negative Resultate?

17. Juni 2016 von Laborjournal

Wie oft hat man zuletzt angesichts der Abneigung vieler Forschungsblätter, negative Resultate zu veröffentlichen, sinngemäß den folgenden Satz gehört oder gelesen:

Negative oder Null-Resultate sind schlichtweg Resultate — und tragen daher im gleichen Maße zum Erkenntnisprozess bei wie positive Resultate.

Hmm. Der erste Teil stimmt zweifelsohne, beim zweiten Teil wird’s jedoch schwierig.

ErnstNegNatürlich sind Null-Resultate gerade dann besonders wichtig, wenn sie eine bis dato starke Hypothese widerlegen. Man nehme etwa nur die Arbeit kanadischer Forscher, die 2012 mit neuester 3D-In-vivo-Mikroskopie in den Zellkernen intakter Mäusezellen partout keine 30nm-Chromatinfasern aufspüren konnten — und diese damit wohl hauptsächlich als Artefakte der gängigen Chromatin-Präparation entlarvten (siehe unsere Beiträge hier und hier).

Genauso viel Gewicht haben beispielsweise „negative“ Ergebnisse, die klar machen, dass ein zuvor dringend verdächtiges Bakterium eine gewisse Krankheit nicht verursacht. Oder dass der eigentlich naheliegende Signalweg X doch kein bisschen beim untersuchten Effekt mitspielt. In all diesen Fällen ist es sehr wichtig, dass man das weiß — nicht zuletzt, damit niemand sich weiterhin an den falschen Verdächtigen die Forscherzähne ausbeißt.

Gehen wir die Frage aber noch ein bisschen abstrakter an. Wenn jemand sagt, er habe in hundert Patientenproben immer dasselbe Bakterium Y gefunden, dann ist diese positive Beobachtung ein ziemlich starker Hinweis darauf, dass Y etwas mit dem Entstehen der Krankheit zu tun hat. Mache ich stattdessen aber die negative Beobachtung, dass in keiner Patientenprobe Bakterium Y vorkam, dann ist dieses Ergebnis lediglich so gut wie meine Proben und Methoden. Denn womöglich lässt sich Bakterium Y nur in einem sehr frühen Krankheitsstadium aufspüren, und/oder die Art der Probenentnahme war ungeeignet, und/oder die Nachweistechnik ebenfalls. Es gibt also viele Gründe, weshalb man ein gewisses Ergebnis in einem Experiment nicht bekommt. Und unzulängliche Methodik ist nur einer davon.

Es ist diese inhärente Vielzahl an potentiellen Erklärungsmöglichkeiten, die negative Resultate in den allermeisten Fällen klar schwächer machen als positive. Und ganz abgesehen davon: Klingt „Wir haben keine Bakterien Y bei Krankheit Z beobachtet“ nach einem ähnlich starken Erkenntnisbeitrag wie „Bakterium Y verursacht Krankheit Z“?

Wie gesagt, negative Ergebnisse können in Einzelfällen genauso wichtige Beiträge leisten wie positive. Aber dass sie ganz allgemein und in der Summe genauso wichtig sind wie positive, das darf doch stark bezweifelt werden.