Warum haben wir das jetzt erst entdeckt?

14. Juni 2023 von Laborjournal

Immer wieder widersprechen gewisse Entdeckungen auf den ersten Blick jeglicher Erwartung oder Intuition – sodass ein großer Teil der Forscherwelt sie zunächst nicht glauben will. Als Paradebeispiel dient seit jeher die Maisgenetikerin Barbara McClintock, die vor achtzig Jahren herausfand, dass es im Erbgut mobile DNA-Elemente gibt, die nahezu beliebig von einer Stelle im Genom in eine andere hineinspringen können. Das Dogma vom stabilen Informationsträger DNA besagte damals, dass diese unbedingt unverändert an die nächste Generation weitergegeben werden müsse, da sonst das schiere Mutations-Chaos drohe. Folglich lieferte McClintock eine geradezu ungeheuerliche Erkenntnis, die dennoch in den folgenden Jahrzehnten klar bestätigt wurde. 1983 erhielt sie den Nobelpreis.

 

Mit den Standardmethoden der Virus-Jäger nicht zu fassen: Bakterien-mordende Autolykiviridae

 

Oft genug läuft es aber genau andersherum. Da entdeckt jemand etwas – und die Kollegenschaft reibt sich verwundert die Augen, warum man das nicht schon viel früher aufgespürt hatte.

So geschehen etwa bei der Entdeckung der sogenannten „kleinen RNAs“. Heute weiß man, dass die Zellen von Pflanzen und Tieren einen ganzen Zoo dieser kurzen RNA-Ketten aus meist zwischen 20 und 40 Nukleotiden produzieren. Ihre Entdeckung begann allerdings erst in den 1990er-Jahren. Was umso erstaunlicher war, als sich herausstellte, dass sie jede Menge Zellprozesse auf ganz entscheidende Weise mitsteuern.

Warum aber dieses „Spätzünden“ bei den kleinen RNAs? Weil die Forschung komplett auf ihre schon länger bekannten „großen Vettern“ fokussiert war – also Boten-, Transfer- und ribosomale RNA. Diese RNA-Moleküle bestehen aus deutlich längeren Nukleotid-Abfolgen und sind allesamt in den Prozessen der Proteinsynthese gemäß der Anleitung des genetischen Codes aktiv. Klar, dass sie aufgrund dieser zentralen Rolle mannigfach studiert wurden. Was dabei allerdings methodisch passierte, war folgendes:  Diesen Beitrag weiterlesen »

Der vorbereitete Geist

27. Juni 2012 von Laborjournal

… ein alter Spruch, für dessen Wahrheit die Forschung immer wieder neue Belege liefert.

Wie war das etwa mit den kleinen regulativen RNAs. Jede Menge Forscher dürften in ihren RNA-Gelen „komische Signale“ nahe der Lauffront gesehen haben. „Unspezifische Abbau-Produkte“, war deren Diagnose. Schließlich ist RNA deutlich instabiler als DNA, und RNAsen lauern auch quasi überall. Und so dachten sie nicht weiter darüber nach — auch wenn „kleine RNAs“ im nächsten und übernächsten Gel wieder vorneweg liefen.

Wer weiß, wie viele von ihnen sich letztlich mit der Hand kräftig vor die Stirn klatschten, als Ende der Neunziger klar wurde, dass die Zelle ganz gezielt solche kleinen RNAs produziert, um damit die Expression ihrer Gene feinzusteuern? Typischer Fall von nicht-vorbereitetem oder zu eng fokussiertem Geist.

Auf ganz ähnliche Weise dürften sich in den letzten Tagen wiederum andere Forscher an die Stirn geklatscht haben. Diesen Beitrag weiterlesen »