Sünden des Hochschulbaus

20. April 2017 von Laborjournal

Bausünden begegnet man offenbar nicht nur beim Bau gewisser Flughäfen, Bahnhöfe oder Philharmonien — auch die „Funktionsbauten“ unserer Universitäten scheinen nicht immer immun dagegen. Ein Leser schrieb uns jedenfalls folgendes zum 2012 fertiggestellten Zentrum für Molekulare Biowissenschaften (ZMB) der Uni Kiel:

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Im Jahr 2004 wurde ein Funktionsbau mit reichlich Laborfläche und wenig Bürofläche angestrebt — geplante Fertigstellung: 2009. Tatsächlich fertiggestellt wurde das ZMB 2012.

Aus den anfänglich bescheidenen Planungen des reinen Funktionsbaus im Kostenumfang von weniger als 12 Mio. Eurowurde schließlich ein Repräsentationsbau mit Empfangsdame und mattgoldener Fassadenbeschichtung — mit einem Kostenumfang von mehr als 24 Mio. Euro (siehe hier, hier und hier).

Schöner Bau mit schlechtem Klima: die „Amöbe“ der Uni Kiel.

Mit seinem dreilappig geschwungenen, „pseudopodien-förmigen“ Grundriss führte der Bau seit Beginn der Planungen den Spitznamen „Amöbe“. Im Architektenjargon ist ein Gebäude, das stilistisch nicht dem umgebenden Gebäudeensemble entspricht ein „Parasit“. Insofern trägt die „Amöbe“ ihren Namen zurecht, denn auch unter den Wechseltierchen finden sich viele Parasiten.

Die „Amöbe“ steht nun in einem weitläufigen Ensemble profaner Siebzigerjahrebetonkästen, die von außen so gekachelt sind, wie Menschen mit Defiziten in gutem Geschmack ihr Klo von innen fliesen. So gesehen hat die „Amöbe“ tatsächlich mit ihrem äußeren Erscheinungsbild ein Alleinstellungsmerkmal, das zusammen mit der weiß-gekachelten Umgebung bereits in der jüngsten deutschen Belletristik seinen detailgetreuen Niederschlag gefunden hat.

Die Funktion des Funktionsbaus ist allerdings etwas eingeschränkt, denn mit dem repräsentativ geschwungenen Äußeren lassen sich im Inneren einige Flächen aufgrund spitzwinklig zulaufender Wände gar nicht nutzen. Diese Ecken wurden daher kurzerhand mit Gipskartonplatten verschlossen. Mit anderen Worten, es gibt in diesem Gebäude staatlich finanzierten, umbauten Raum, der zugunsten der repräsentativen Außenfassade ungenutzt bleibt. Es stellt sich also für Steuerzahler und Wissenschaftler die Frage, wieviel mehr Laborfläche für die gleiche Bausumme hätte geschaffen werden können, wenn man auf einen „Baukörper mit sanft modulierter Freiraumgestaltung“ verzichtet und den „bis dato nicht erkennbaren städtebaulichen Bezugsrahmen“ weiterhin unerkannt gelassen hätte. (Die Zitate stammen aus einem Vortrag am HIS-Institut für Hochschulentwicklung zum Thema).

Ein Funktionsbau ist die Kieler „Amöbe“ dennoch. Das wurde klar gestellt, als Mitarbeiter dort im Winter vermehrt über Atemwegs- und Erkältungskrankheiten aufgrund der niedrigen Luftfeuchtigkeit klagten (unter dreißig Prozent 30% relative Luftfeuchte). Beschwerden bei der Technischen Abteilung und dem Betriebsärzlichen Dienst laufen leider ins Leere, weil man die Klimaanlage nicht entsprechend einstellen kann. Sie ist ja schließlich für die Funktionsräume des Funktionsbaus konzipiert, nicht aber für die Gegenwart von Forschern, die darin die Wissenschaft ein gutes Stück weit voranbringen wollen.

Der Bau sollte wegweisend und seine Architektur einmalig sein. Einmalig ist er nicht geworden, denn schon Jahre zuvor hatte die Uni Cottbus ihre Bibliothek in Amöben-Form erstellen lassen. Wie wegweisend die Kieler Amöbe dennoch ist, wird sich erst zeigen, wenn die fleißigen Wissenschaftler darin ein gutes Stück vorangekommen sind — vorausgesetzt, sie sind auf dem Weg dahin nicht längst krank geworden.

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Gerne nehmen wir weitere Berichte über Bausünden an Uni- und Forschungsbauten entgegen…

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