Plattmachen und neu aufbauen — Frust-Antwort auf die „Wutschrift eines Physikers“

24. September 2018 von Laborjournal

(Vor zwei Wochen veröffentlichten wir an dieser Stelle die „Wutschrift eines Physikers über die «Forschungskultur» in der Biomedizin, in der der Autor heftig über die Verhältnisse in der bio­medi­zi­nischen Forschung ablederte. Neben den direkten Kommentaren dort erhielten wir die folgende Antwort, die wir hiermit als eigenen Beitrag veröffentlichen. Deren Inhalt spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wider — wie bei den Kommentaren auch. Der Autor möchte vorerst lieber anonym bleiben, ist der Redaktion aber bekannt.)

Sehr geehrte Damen und Herren,

anbei eine kleine Ansammlung von Gedanken, die mir in den Sinn kamen, als ich die Wutschrift des Physikers gelesen habe. Unter uns, die Situation in der Forschungslandschaft allgemein ist weit pre­kä­rer. Hier und da habe ich schon ähnliche Texte gelesen. Es macht 
wütend und enttäuscht, dass diejenigen, die sich ernsthaft um die Wissenschaften bemühen, von einer derartig bescheidenen Politik in ihren Projekten eingeschränkt werden. Und auf der anderen Seite werden Menschen in die Wissenschaften gedrängt, die dort fehl am Platze sind. Meines Erachtens sind die Probleme hin­reichend bekannt. Wie kann man sie lösen? Make Science Great Again. Das wäre schön!

Es ist nicht nur in der Biomedizin so, wie in der Wutschrift ange­deu­tet. Es betrifft leider die gesamte Struktur der hiesigen Forschung und Bildung. Es ist schrecklich, aber wahr, dass der Politik diese verheerende Situation längst bekannt ist. Aber entweder ist die Politik rat- und hilflos, oder es steckt Absicht dahinter, die Bildung insgesamt immer weiter herunterzufahren. Die Probleme fangen im Kindergarten an und reichen durch bis hin zu den Pro­fes­su­ren. Und anscheinend ist das System mittlerweile an allen Ecken und Kanten wie auch mitten­drin so verkorkst, dass es keine Politiker gibt, die in der Lage wären, hier gegenzusteuern. Eigentlich müsste man alles platt machen, und neu aufbauen. 

Ich habe mich über Jahre hinweg mehr als zweihundert Mal für eine Professur beworben. Die Mit­glie­der der Berufungskommissionen waren zu großen Teilen nicht in der Lage, meinen Ausfüh­rungen zu folgen. Ich habe mich gefragt: Von wem sind die berufen worden, wieso sitzen die da?

Als Physikochemiker, der am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie und am MIT — Massachusetts Institute of Technology promoviert hat, hatte ich mich etwa auf eine Professur für biophysikalische Chemie beworben. Warum dieses Fach an dieser Hochschule ausgeschrieben wurde, habe ich nicht verstanden. Denn die Anwesenden konnten mit dieser Thematik überhaupt nichts anfangen. Die Lehre sollte in Englisch abgehalten werden — was für mich, der am MIT war und seit 25 Jahren regelmäßig mit den USA zu tun hat, kein Problem war. Auch internationale Forschungskollaborationen aufzubauen — kein Problem. Allerdings sprach selbst der Vorsitzende der Berufungskommission ein katastrophales Englisch. Wahrscheinlich habe ich ihn und alle anderen verschreckt mit meinen Sprachkenntnissen. Aber wenn eine Hochschule wett­be­werbs­fähig sein möchte, dann sollten doch die Eitelkeiten der Mitglieder der Be­ru­fungs­kom­mis­sionen in den Hintergrund treten.

Auch seitens der fachlichen Kompetenzen der Berufenen ist die Wahl oft fraglich. Es fällt sehr schwer zu glauben, dass das Ganze mit rechten Dingen zugeht. Als ich einem Wis­sen­schafts­minis­terium konstruktive, wohlmeinende Vorschläge unterbreitet habe, eine neue Art der Professuren einzurichten, die viele Probleme lösen helfen würde — wie zum Beispiel Synergien zwischen Instituten innerhalb einer Region sowie national und international zu nutzen —, bekam ich den Text des Hochschulgesetzes zugesandt. Armseliger geht es meines Erachtens nicht.

In all den Jahren, in denen ich mich für Professuren beworben habe, hatte ich sehr oft den Eindruck, dass die Hochschulgesetze extrem flexibel gehandhabt werden. Einige Hochschulen kann man ohne Scheu als „Cluster der Inzucht“ betiteln, und weniger als Exzellenz-Cluster. Dort wird nur aus dem engsten „Familienkreis“ berufen. Und dann auch noch auf Professuren, deren Ausrichtung lediglich „Me-Too“-Bezeichnungen tragen. Natürlich nachhaltig innovativ. Darf es dann wundern, dass das wissenschaftliche Personal, das die Projekte der Arbeitsgruppe durch­führt, in Leistungsbereitschaft und -niveau ebenfalls sinkt — wie es der Kollege aus der theo­re­ti­schen Physik beklagt?

Um Missverständnisse vorzubeugen: Es gibt sehr viele junge Wissenschaftsbegeisterte, die aber leider unter den berufenen Professoren als Chefs nicht zum Zuge kommen. Die fachlichen Fähigkeiten sowie die sogenannten Soft-Skills vieler Chefs sind ohne Niveau.

Als Mitglied deutscher und amerikanischer Wissensgesellschaften lese ich seit Jahren deren Hauszeitschriften. Es fällt schnell auf, dass sehr viel von den Amerikanern kopiert wird. Eher selten ist, dass eine deutsche Forschungsgruppe mit einer wirklich innovativen Idee vorangeht. Dennoch lobt man sich gegenseitig, wie toll man doch sei, und feiert die„hervorragenden wissenschaftlichen Leistungen“. Diese Selbstbeweihräucherung ist so widerwärtig, dass ich deren Tagungen seit Jahren meide. Ich habe generell das Interesse verloren, Mitglied dieser Gesellschaften zu sein.

Das regelmäßige Durchlesen von Fachzeitschriften, wie ich es gern gemacht habe, ist mir mittlerweile auch verleidet. Die Fachzeitschriften lassen zunächst vermuten, dass die Wis­sen­schaft darin wirklich hochrangig ist. Liest man jedoch die Einleitungen zu Ver­öffent­lichungen, dann gewinnt man den Eindruck, da kommen bahnbrechende Ergebnisse zur Lösung gewichtiger Herausforderungen auf einen zu. Aber nichts dergleichen — meist nur heiße Luft.

Ganz zu schweigen von den finanziellen Förderungen, die ohne Sinn und Verstand verschleudert werden. Wobei irrsinnigerweise alle mitmachen. Die Steuerzahler, die trotz relativ gutem Zugang zur Wissenschaft nicht verstehen, worum es geht — sich also leicht vorgaukeln lassen, dass „die da“ schon wissen, was sie tun. Die Unternehmen, die teilweise die Drittmittel stellen — und dabei nicht merken, dass diese nicht wirklich zu Innovationen führen, da die finanzierten „Lei­stungs­träger“ kaum wirkliche Leistung zusammentragen, weil gute und engagierte Professoren als Wissenschaftler fehlen. So entsteht dann der in den Medien viel besungene Innovationsstau.

Dazu kommen die inzwischen vertrauten leeren Versprechungen der Politiker. Vor einer Wahl gibt es die besten Ansätze, wird der Wille proklamiert, Lösungsvorschläge umzusetzen. Und nach der Wahl? Alles verpufft. Stattdessen erfindet die Politik vermeintlich immer neue Wettbewerbe, die sie ebenfalls weitgehend aus den USA abkupfert, stellt viele Steuergelder dafür zur Verfügung — und am Ende bleibt alles wie gehabt: Erfolge und Ergebnisse sind mau.

Die Kernprobleme jedoch packt niemand an. Es ist wie mit einer Wand, die alle Nase lang mit neuer Farbe oder Tapeten versehen wird — in der Hoffnung, die Wand sähe dann besser aus. Aber irgendwann kommt alles auf einmal herunter, und die nackte Wand schreit nach einer anständigen und sinnvollen Pflege. Im Endeffekt erweisen sich alle Schichten, die im Verlauf der Zeit aufgetragen wurden, nur als Makulatur. Wirklich sinnvoll waren sie nicht. Am Ende bleiben folglich ein großer Scherbenhaufen und ratlose Gesichter.

Man kann den Eindruck nicht mehr leugnen, dass diese Politik am Ende ist. Es ist an der Zeit, sich auf das Gute zu besinnen, das es hier und da noch gibt. Dieses Gute wurde jedoch in den letzten zwei Jahrzehnten systematisch ignoriert. Mit welcher Absicht?

Diese Ignoranz der Politik bestätigt sich, wenn man Stellenanzeigen liest, in denen nach Mitarbeitern für die Hochschulverwaltung gesucht wird, die aus dem Internet Kandidaten für Professuren herausfischen sollen. Recruiting und Onboarding wird das dann auf Neudeutsch genannt. Wieder lässt Amerika grüßen. Wie soll dieser Mitarbeiter das aber bewerkstelligen? Sucht er aus seiner Sicht potenzielle Kandidaten aus, die er dann der ansässigen Professorenschaft vorschlägt? Die dann ihrerseits Kontakt mit den Kandidaten aufnehmen? Das muss doch heißen, dass die vorhandene Professorenschaft nicht mehr selbst in der Lage ist, das Feld zu überblicken. Geschweige denn, eigene Ideen mit geeigneten Kandidaten zu verknüpfen. Letztlich belegt das doch die Unfähigkeit der Professorenschaft, in ihrem Fach oder gar darüber hinaus innovativ zu sein. Und an Kreativität fehlt es erst recht.

Und dann sollen die Kandidaten ja auch möglichst jung sein, da man einiges von ihnen erwartet. Viele jedoch sind weder von den fachlichen noch von den sozialen Kompetenzen her in der Lage, eine Professur auszufüllen. Die müssen mittlerweile auch gecoacht werden! Anstatt diejenigen zu akzeptieren, die fachlich eine große Themenvielfalt bieten können und zudem auch Führungs­erfah­rung haben, sodass sie sofort mit verschiedenen Projekten beginnen können, nimmt man Jüngere, die all das erst jahrelang aufbauen müssen. Während der Jüngere überhaupt erst in einigen Jahren das Niveau des Älteren erreichen kann, könnte Letzterer seine bereits vorhan­denen Kenntnisse unmittelbar einsetzen. Viel Zeit und Steuergelder könnten gespart werden, wenn man einfach nur das Greifbare nutzen würde. Aber diejenigen, die sich dafür anbieten würden, die schon jahrelang auf der Suche sind und eine Professur auffüllen könnten, werden nicht gefragt.

Das System ist schwerwiegend krank. Und eine Chance auf Heilung ist in dieser politischen Atmosphäre nicht möglich. Es ist unvorstellbar, dass diejenigen, die diese System-Krankheiten zu verantworten haben, diese auch auskurieren können. So wie immer wieder eine neue Schicht zur Verschönerung der Wand aufgetragen wird, so stochert die Politik mit immer neuen Marotten in den kranken Wunden herum — bis am Ende alles abgestorben ist.

Mit den besten Grüßen und dem Wunsch, dass sich in dem Wirrwarr der Ungereimtheiten dennoch das Gute irgendwie durchsetzen wird…

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