Forschung steht auf einer Säule, nicht auf vier

3. September 2015 von Laborjournal

Die Institutionen sollen ihren Teil zu Reproduzierbarkeit und zuverlässige Forschung beitragen — das fordern Ulrich Dirnagl, Leiter des Schlaganfallcentrums an der Charité Berlin, sowie Glenn Begley, leitender Wissenschaftler bei der US-Firma TetraLogic Pharmaceuticals, und Alastair Buchan, Medizindekan an der Universität Oxford ganz frisch in Nature (Vol. 525: 25–27).

In ihrem Meinungsartikel identifizieren die drei Autoren die Universitäten und andere akademische Forschungseinrichtungen als mitverantwortlich für die mangelnde Reproduzierbarkeit publizierter Ergebnisse und werfen ihnen gar einen laxen Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten ihrer Forscher vor. Statt die Akademiker zu immer mehr und immer bombastischeren Publikationen zu anzutreiben, sollten die Institutionen lieber Sorgfältigkeit, Selbstkritik, gute Mitarbeiterschulung und zuverlässige Versuchsaufzeichnungen fördern — so die Autoren weiter. Konkret sollten sie dazu interne Regeln für die sogenannte Good Institutional Practice einführen. Wissenschaftler, die diese vorbildlich umsetzen, sollten mit Beförderungen belohnt werden, deren nachlässigere Kollegen hingegen Personal- und Fördermittelkürzung befürchten müssen.

Allesamt gute und sehr sinnvolle Vorschläge, ohne Frage. Nur wirken sie ein wenig wie das Weiterreichen von Verantwortung. Die Nature News and Comment-Redaktion fügte dem Beitrag denn auch einen Cartoon bei, welches genau dies unfreiwillig vorführt. Dort wird der Tempel der „Robusten Wissenschaft“ von vier Säulen getragen: Fördereinrichtungen, Journals (mit in Stein gemeißeltem Nature-Schriftzug darauf), Forscher und schließlich Institutionen. Der ältere Herr, der die letztere Säule verkörpert, ist jedoch desinteressiert eingeschlafen — weswegen der Tempel nun einzustürzen droht.

Die Darstellung ist aus meiner Sicht grober Unfug. Forschung, ob robust oder nicht, wird ausschließlich von den Forschern selbst getragen, und von niemandem sonst. Fördereinrichtungen wie die DFG — also die erste Säule — verlassen sich beim Urteil, welche Anträge bewilligt werden sollen, schließlich nicht auf irgendwelche stempelschwingende Sachbearbeiter, sondern eben auf das Peer Review der Forscherkollegen. Ebenso lassen die Fachzeitschriften — die zweite Säule — die eingereichten Manuskripte ausschließlich von aktiven Fachkollegen begutachten.

Natürlich sieben die Journal-Editoren, die oft keine oder nur wenig eigene Forschererfahrung haben, viele Manuskripte schon vor dem Peer-Review aus. Dies ist aber eher ein Teil des Problems — weswegen es schon etwas unangebracht ist, wenn die News & Comment-Redaktion von Nature den Diskussionsbeitrag von Dirnagl et al. auf Twitter mit den Worten bewirbt: „Institutionen müssen die Forscher unterstützen und belohnen, die solide — und nicht einfach nur schrille — Wissenschaft machen“. Dabei muss sich ausgerechnet Nature regelmäßig den Vorwurf anhören (neben Science und Cell), auf der Jagd nach den „heißesten“ und aufmerksamkeitsheischenden Ergebnissen immer wieder unzuverlässige, nicht-reproduzierbare und manchmal schlichtweg gepfuschte Artikel zu veröffentlichen.

Und auch die Wissenschaftler selbst entpuppen sich Peer Review hin und wieder selbst keineswegs als objektiv und integer. Immer wieder hört man Klagen, dass Gutachter das Verfahren gelegentlich missbrauchen, um Konkurrenten unfair auszubremsen oder sich gegenseitig hinsichtlich Publikations-Output und Fördermittel-Akquise zu helfen — komplett an jeglicher Objektivität vorbei. Von extremen Auswüchsen wie dreistem Peer-Review-Betrug, wie zuletzt beim Berliner Springer-Verlag aufgedeckt, ganz zu schweigen. Nicht zuletzt deshalb sind die Forscher selbst ganz vorne mit dabei, wenn man nach den Verantwortlichen dafür sucht, warum schlechte Wissenschaft überhaupt publiziert und finanziert wird.

Was aber ist nun mit den Institutionen, von denen Dirnagl und Co. fordern, endlich für robuste Wissenschaft zu einzustehen? Die angesprochenen Universitäten und akademischen Einrichtungen genießen die Freiheit der Forschung und Lehre und verwalten sich größtenteils selbst. Letzteres bestellen weitgehend die eigenen Professoren, Forschungsgruppenleiter und ärztlichen Klinikdirektoren. Jeder Unipräsident, Dekan, Rektor, Institutsdirektor, Uniklinik-Chefarzt ist gleichzeitig ein Forscher, auch wenn dessen wissenschaftliche Tätigkeit mit Übernahme der umfangreichen Aufgaben in Verwaltung und Lehre auf nahe Null absinken mag. Dennoch sind es folglich die Wissenschaftler selbst, die ihre eigenen Forschungsinstitutionen dirigieren, die die Forschung darin bestimmen, und die ihre Kollegen einstellen und in leitende Verwaltungspositionen heben. Schließlich kann man die Verantwortung für schlechte Forschung wohl kaum der Unibibliothek, der Personalabteilung oder der Mensa ankreiden.

Es gibt daher keine Good Institutional Practice, sondern nur die gute wissenschaftliche Praxis, die sich die Forscher selbst auferlegt haben — und an die sie sich nun endlich auch halten sollten. Der „Tempel der Robusten Forschung“ hat keine vier, sondern nur eine einzige tragende Säule. Verantwortung weiterreichen gilt nicht.

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5 Gedanken zu „Forschung steht auf einer Säule, nicht auf vier“

  1. Ralf Neumann sagt:

    Die angesprochenen Universitäten und akademischen Einrichtungen […] verwalten sich größtenteils selbst. Letzteres bestellen weitgehend die eigenen Professoren, Forschungsgruppenleiter und ärztlichen Klinikdirektoren.

    Das sieht „Science Hero“ Axel Brennicke in den meisten seiner bislang 95 „Ansichten eines Profs“ anders…

  2. Gutes Beispiel, die Universität Ulm von Axel Brennicke:
    Präsidium: https://www.uni-ulm.de/universitaet/praesidium.html
    Nur der Kanzler ist ein Berufsbeamter, der Präsident und die drei Vizes: Professoren.
    Senat: https://www.uni-ulm.de/universitaet/senat.html
    Bis auf den Kaufmännischer Direktor alles Professoren.
    Daher kann man auch von Ulm behaupten, dass die Uni von den Wissenschaftlern regiert wird.

  3. Ralf Neumann sagt:

    Das sehen die betroffenen Uni-Forscher anders — siehe auch diesen Artikel von Brennicke und Björn Brembs in der FAZ.

  4. Klar sind Wissenschaftler damit nicht zufrieden, und haben auch Recht. Aber es sind nun mal ihre eigenen einflussreichen Professoren-Kollegen, die Unis leiten und die Politiker über die Forschungspolitik und Förderung beraten.

  5. Feste Verträge an Postdocs? Mein ehemaliger Doktorvater, ein Prof Dr. Dr., früher Dekan der Medizin in Düsseldorf, jetzt Institutsdirektor an der Uniklinik Tübingen, sagte immer, wenn man Leuten Festeinstellung gibt, hören sie auf zu arbeiten. Ob er der einzige Professor mit dieser Attitüde ist? Sind es wirklich Politiker und Verwaltungsbeamten, die den Status Quo an den Professoren vorbei verteidigen?

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