Zum Tod von Carl Djerassi

3. Februar 2015 von Laborjournal

Jeder Wissenschaftsjournalist blickt auf besondere Momente in seinem Schaffen zurück. Einen meiner Highlight-Momente erlebte ich Ende 2000 mit Carl Djerassi, dem „Erfinder“ der Antibabypille und späteren Autor von Romanen und Theaterstücken, die sich als sogenannte „Science-in-Fiction“ bevorzugt um den Wissenschaftsbetrieb drehten.

Carl Djerassi war damals von einem größeren Freiburger Verlagshaus zu einer Lesung aus seinem neusten Theaterstück angekündigt — und Kollege Köppelle und ich hatten natürlich im Vorfeld ein anschließendes Interview mit ihm verabredet. So saßen wir dann mit Djerassi um einen kleinen Tisch mitten im Verkaufsraum, und er plauderte sich aufgeräumt durch alle angesprochenen Themen. Irgendwann kam sichtlich ungeduldig seine Agentin vorbei, um ihn an den nächsten Termin zu erinnern. Worauf er sich nur kurz zu ihr umdrehte und sagte: „Meine Liebe, es wird noch etwas dauern — es macht Spaß, die Herren stellen gute Fragen.“ Sowas vergessen Jung-Redakteure nicht mehr.

Kurz darauf verriet uns Djerassi noch eines seiner großen Ziele für den Rest seines Lebens: „Ich will als erster 100-jähriger Professor überhaupt noch Mitglied einer großen Chemie-Fakultät sein.“ [Stanford University in seinem Fall.]

Leider hat er das nicht geschafft — der gebürtige Österreicher starb am letzten Wochenende 91-jährig an den Folgen einer Krebserkrankung. Daher jetzt nochmals als Erinnerung an unseren „besonderen Moment“ mit Carl Djerassi das „alte“ Interview, das schließlich in Laborjournal 11/2000 erschien:

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Carl Djerassi, der „Vater der Antibabypille“, im Gespräch

„Mehr Dialog bitte, meine Herren Naturwissenschaftler!“

Der grauhaarige Chemiker wurde in Freiburg bewacht wie ein Staatsgast. Die Dame vom Buchladen wollte nichts sagen, das Hotel durfte nicht. Doch wenn Carl Djerassi, weltberühmter Chemiker und wichtigster Protagonist von „Science-in-Fiction“, zu einer Lesung angekündigt ist, dann werden Laborjournal-Redakteure zu hartnäckig recherchierenden Meisterdetektiven.

Der gebürtige Wiener Carl Djerassi ist einer von ganz wenigen Naturwissenschaftlern, deren Namen auch Otto Normalverbraucher schon mal irgendwo gehört haben. Nicht zu Unrecht, denn an die fünfzig Prozent der deutschen Bevölkerung hatte schon mal Kontakt mit der Erfindung, die ihn bekannt machte: der Anti-Baby-Pille. Djerassi, der gerne damit kokettiert, eher die „Mutter“ denn der „Vater“ der modernen Empfängnisverhütung zu sein, war und ist neben seiner langen wissenschaftlichen Karriere noch auf zwei weiteren Gebieten erfolgreich. Er ist begeisterter Kunstsammler (unter anderem besitzt er die bedeutendste Sammlung an Werken Paul Klees), und schreibt als Belletristik-Autor seit 1987 „Science-in-Fiction“-Romane und Theaterstücke.

Der inzwischen 77-jährige ist mittlerweile umtriebiger denn je und hastet von einem Kongress hier zur nächsten Tagung dort. Zudem schreibt er — nach eigener Aussage bis zu acht Stunden täglich — an neuen Theaterstücken; zudem unterstützt er mit seiner „Djerassi Resident Artists“-Stiftung in den Bergen von San Francisco junge Künstler. Wir trafen den kontaktfreudigen Naturwissenschaftler, der zum Schriftsteller und Stückeschreiber wurde, bei einer Lesung in Freiburg.

Herr Djerassi, der Beginn Ihrer zweiten Karriere, nämlich als Schriftsteller, hat etwas von einem klassischen Fehlstart…

Djerassi: Ich habe ja erst etwa 1985 damit begonnen, Romane zu schreiben, und wollte erst einmal schauen, ob überhaupt jemand meine Manuskripte annähme. Gleichzeitig war ich damals auch noch im Labor zugange, und fing an, mir mich selbst als Chemieprofessor vorzustellen, der Romane schreibt. Inzwischen bin ich wohl eher ein Theaterautor, der auch Romane schreibt und noch hie und da Chemiker ist.

Als Djerassi noch einzig Chemiker war...

Damals hatte ich eine Literaturprofessorin als Freundin. Und als ich damit anfing, in ihr Gebiet hineinzumarschieren, meinte sie, wenn ich wirklich schreiben wollte, sollte ich es erst einmal lernen. Ich hatte dann einen Roman fertig — er wurde nie gedruckt –, und als sie ihn gelesen hatte, meinte sie: „Das willst Du doch nicht veröffentlichen!?“ Und ich sagte: „Natürlich will ich das!“ Typisch Chemiker — wenn er etwas fertigmacht, dann will er’s auch publizieren. Sie meinte nur: „Du bist verrückt. Denn Du ziehst Dich total aus. Und mich ziehst Du auch aus!“

Es war ein Schlüsselroman über eine Frau, die sich in jemand anderen verliebt und mich verlassen hatte. Und ich war natürlich beleidigt, und dachte: „Der werd ich’s zeigen!“ Diese Frau, um die es ging — das war sie! Und ich schrieb das alles in diesen ersten Roman, von dem ich dachte, er wäre sehr subtil, sehr elegant. Aber er war nichts von alledem, weder subtil noch elegant. Es war ein humorloser Schlüsselroman, bei dem die Schlüssel alle offen dalagen; ich tat mir selber leid, und ich wollte allen Leuten sagen, wie dumm diese Frau war, die so einen interessanten Mann hätte haben können — und ihn verließ für Gott-weiß-wen, ich habe ihn nie getroffen.

Der Roman blieb also in der Schublade…

Djerassi: Genau, denn sie wollte mich nur heiraten, wenn ich verspräche, nie diesen Roman herauszubringen. Ich gelobte es, und wir heirateten. Allerdings (grinst) habe ich die Geschichte schön kannibalisiert und unter anderem zwei Kurzgeschichten daraus extrahiert.

Enthalten Ihre Geschichten oft autobiografische Elemente?

Djerassi: Der einzige meiner bisher fünf Romane, der bisher nicht in Deutschland erschienen ist, heißt „Marx, verschieden“. Er ist, denke ich, der beste meiner Romane — und in gewissen Abschnitten auch der autobiografischste. Denn meine Geschichten kommen aus meinem Kopf heraus und beschreiben eine Gesellschaft und eine Umgebung, welche die meinige sind.

Romanschriftsteller sind Autobiografen, die eine Maske tragen. Und so kann ich in Romanen Dinge über mich schreiben, die ich in einer Autobiografie nicht schreiben kann — oder nicht darf, weil ich mich schäme oder Angst habe. Ich stecke in vielen Figuren, nicht nur in einer — und sehr oft auch in den Frauen. Vielleicht sind deshalb meine Roman-Frauen immer die interessantesten Charaktere.

Was wollen Sie mit Ihren Romanen und Theaterstücken erreichen?

Djerassi: Gehen wir 2000 Jahre zurück, ins historische Rom, und schauen wir, was zum Beispiel der Dichter Horaz zum Begriff „didaktisch“ geschrieben hat. Zumindest die englischen Wörterbücher haben zwei Deutungen für diesen Begriff. Zum einen natürlich die Deutung, die Sie alle kennen. Die zweite Deutung für „didaktisch“ ist bei ihm jedoch „um zu amüsieren“. Diese Kombination, „zu lehren und zu amüsieren“, interessiert mich. Ich möchte Ideen, von denen ich glaube, dass sie wichtig sind, in ein breiteres Publikum hineinschmuggeln. In ein Publikum, das sich entweder nicht für diese Ideen interessiert, oder Angst vor ihnen hat — oder einfach nichts darüber weiß. Ich möchte eine breitere Zuhörerschaft erreichen, nicht nur diejenigen, die schon a priori an Naturwissenschaft interessiert oder auch dagegen eingestellt sind. Ich möchte Leute erreichen, die noch keine Meinung haben.

Muss man eine gewisse Reife besitzen, um Romane schreiben zu können?

Djerassi:Romane zu schreiben ist wohl die einzige intellektuelle Arbeit, die man besser spät im Leben beginnt. Romane benötigen viel „Lebensweisheit-Spielerei“. Natürlich kann auch ein junger Mensch einen guten Roman schreiben, aber im Allgemeinen fehlt dann die thematische Tiefe. Erst muss man leben — dann kann man drüber schreiben.

Sie beklagen das fast vollständige Fehlen von naturwissenschaftlichen Dingen in den „schönen“ Künsten. Und umgekehrt den fehlenden Dialog in der Naturwissenschaft…

Djerassi: Ich gehe abends gerne aus, ins Theater oder in die Oper. Dabei bemerkte ich, dass es in der modernen Theaterliteratur — mehr noch als in Romanen — fast gar keine Naturwissenschaft gibt. Wenn überhaupt, dann sind es entweder Frankensteins oder Fachidioten, aber keine normalen oder seriösen Naturwissenschaftler. Obwohl sehr vieles in der Naturwissenschaft doch interessant und auch wichtig ist. Das könnte daran liegen, dass wir Naturwissenschaftler nie Theaterstücke schreiben, weil wir uns nie erlauben, in wissenschaftlichen Artikeln dialogisch zu schreiben. Selbst Galileo hat dialogisch geschrieben! Aber heute führen wir Naturwissenschaftler Monologe. Wir predigen: WIR sind die Allmacht, und IHR der Plebs. Gibt es Fragen, dann streiten wir uns. Aber das ist eine Debatte, kein Dialog. Es ist kein menschlicher Dialog.

Sie haben zuletzt zwei Theaterstücke geschrieben. Worum geht es da?

Das erste, das unter anderem bereits in Theatern in London, San Francisco, Edinburgh, Köln und München aufgeführt wurde, hat die englische BBC kürzlich sogar aufgenommen und gesendet. Es heißt „Immaculate Misconception“ (eigentlich: „Unbefleckte Missempfängnis“). Wegen der missverständlichen zweiten Bedeutung „Missgeburt“ wurde der unverfänglichere deutsche Titel „Unbefleckt“ gewählt. Der Untertitel „Sex im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“ sagt aber, worum es geht: um künstliche Befruchtung — eines der wichtigsten Themen der heutigen Zeit. Die dazugehörige Erfindung, ICSI genannt, wurde 1992 in Belgien gemacht und in meinem Roman „Menachems Same“ bereits eingehend beschrieben. In „Unbefleckt“ steht die Reproduktionsbiologin Melanie Laidlaw im Mittelpunkt, ihr Selbstversuch mit dem Spermium ihres verheirateten Liebhabers und die komplexen Verwicklungen, als ein Kollege ohne ihr Wissen ebenfalls eine ihrer Eizellen mit seinem Samen befruchtet…

Mein zweites Theaterstück „Oxygen“, das ich zusammen mit dem Chemie-Nobelpreisträger von 1981, Roald Hoffmann, geschrieben habe, wird seine Weltpremiere im April 2001 haben. Im Stück wird postuliert, dass die Nobelpreis-Stiftung zum hundertsten Jahrestag des ersten Nobelpreises einen weiteren einrichtet: einen, der an tote Personen verliehen wird. Und der erste Preis soll nun an den Entdecker des Sauerstoffs gehen. Aber wer ist das eigentlich? Der Franzose de Lavoisier? Der Angelsachse Priestley? Der Schwede Karl-Wilhelm Scheele? Für jeden gäbe es gute Gründe…

Herr Djerassi, lassen Sie uns über die aktuelle biomedizinische Forschung reden. Welches Fach würden Sie heute wählen, könnten Sie nochmal jung sein?

Djerassi: Ich würde nicht wieder in die Chemie gehen, sondern in ein biologisches Gebiet. Die Neurowissenschaften, die Genetik, die Molekularbiologie — das alles ist hochinteressant! Wir leben im Jahrhundert der molekularen — oder vielmehr der chemischen — Biologie. Nicht Biochemie. Denn was die Genomik-Leute gerade machen, die ganzen bahnbrechenden Dinge, das ist ja eigentlich chemische Biologie.

Was denken sie über die aktuelle Forschung und deren Zukunft?

Djerassi: Ich denke nicht, dass die Forschung langweiliger werden wird. Auch in zwanzig Jahren wird es auf allen Gebieten Themen geben, an denen man genau so interessante Forschung machen kann wie jetzt. Allerdings ist die Konkurrenz bereits heute viel größer und härter als früher.

Ein weiser Rat an junge Postdocs?

Djerassi: Ein junger Wissenschaftler sollte nicht — so wie ich — ein totaler Workaholic werden. Es gibt noch andere Sachen im Leben! Diese Manie, 80 Stunden pro Woche was zu tun — naja, man kann ein berühmter Wissenschaftler werden, eine Stange Preise gewinnen. Aber das geht ganz klar auf menschliche Kosten, denn Arbeit macht süchtig. Vor allem Frauen werden merken, dass es auch mit weniger Zeitaufwand geht, weil sie weniger Testosteron haben als wir Männer. Obwohl deren Situation in der deutschen Wissenschaft und auch in England nicht besonders gut ist. In den Staaten ist es anders — in meinem letzten Roman „NO“ habe ich beschrieben, wie künftige moderne Frauen sein werden. Und dafür habe ich nicht eine weiße Amerikanerin genommen…

…sondern eine Inderin — warum?

Djerassi: Interessanterweise kommt ein sehr hoher Prozentsatz der jungen amerikanischen Studenten aus Japan, aus Korea, aus Indien. Das ist eine kulturelle, eine Arbeits-ästhetische Infusion für die USA — ähnlich der jüdischen in den 40ern — die man in Europa einfach nicht hat. Celera veröffentlichte heuer von über 185 Autoren diesen Riesen-Artikel über das Drosophila-Genom. Und 80 dieser 185 Namen waren asiatische Namen! In derselben Science-Nummer war der andere Drosophila-Titel von den Europäern. Da waren es lediglich 48 Autoren. Und kein einziger asiatischer Name darunter! Ich sage jetzt nicht, dass diese Beobachtung von Vorteil ist — aber sie ist zumindest sehr interessant…

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