Beliebtes Gen zum „Schattenparken“

29. August 2014 von Laborjournal

Weil’s so schön war, gleich noch ein Beispiel zu den verschlungenen Pfaden, die gewisse Gene  bisweilen evolutionsgeschichtlich einschlagen. Und gleichsam ein eindrucksvolles Lehrstück zu „Natürlichkeit“ und Nutzen des horizontalen Gentransfers (HGT).

Hauptdarsteller diesmal sind Farne. Diese tummeln sich ja bekanntlich am liebsten an den schattigeren Plätzchen des Waldbodens — weswegen sie für ihre lichtgetriebenen Entwicklungsschritte (Photomorphogenese) logischerweise besonders empfindliche Lichtsensoren brauchen. Schon hier wird’s interessant: Die allermeisten heutigen Farne nutzen für die „Schattensicht“ einen Photorezeptor namens Neochrom, der wiederum aus zwei Photorezeptoren besteht, die beide aus höheren Pflanzen wohl bekannt sind — ein Rotlicht-empfindliches Phytochrom fusioniert mit einem Blaulicht-absorbierenden Phototropin.

Vor ewigen Zeiten mussten wohl irgendwelche Organismen gemerkt haben, dass sich aus den beiden Photorezeptoren ein besonders empfindlicher Super-Lichtsensor bauen ließe, mit dem man auch im Halbdunkel gut gedeihen könne — das jedenfalls war zunächst die Hypothese des Doktoranden Fay-Wei Li samt seiner Chefin Kathleen Pryer von der amerikanischen Duke University. Also machte sich Li schließlich auf, in den Sequenzdatenbanken nach potentiellen unfusionierten Nachkommen genau derjenigen alten Phytochrome und Phototropine zu suchen, aus denen die Farn-Vorfahren einst erstmals ihren hybriden Super-Schatten-Lichtsensor zusammengebastelt hatten.

Li ließ seine Programme die Datenbanken rauf und runter suchen — fand aber nicht einen Kandidaten. Untröstlich zweifelte er an seinen eigenen Forscherfähigkeiten und kam daher nicht auf die Idee, dass womöglich schlichtweg die Hypothese falsch sein könnte. Stattdessen half der Zufall. Gerade noch rechtzeitig öffnete die internationale 1000 plants-Initiative eine neue Datenbank mit einer Fülle bis dato unveröffentlichter Sequenzen. Li screente also auch diese noch — und fand wieder kein passendes Phytochrom oder Phototropin, dafür aber ein komplettes Neochrom (PNAS 111: 6672-7).

Außerhalb der Farne kannte man Neochrom bis dahin lediglich noch von der Grünalge Mougeotia, wo es sich aber komplett unabhängig von der Vorfahrenlinie der Farne entwickelte. Lis „Treffer“ stammte vielmehr aus dem Genom des Hornmooses Anthocerus punctatus — nicht gerade ein naher Verwandter.

Den zwei ursprünglichen, lichtliebenden Farn-Ordnungen der Osmundales (Königsfarnartigen) und der Schizaeales fehlt Neochrom, die gesamten restlichen „Schattenparker“ besitzen es. Naheliegend daher, dass letztere überhaupt erst durch die Installation des Neochroms die schattigeren Lebensräume besiedeln konnten, die gerade durch die Entwicklung von großblättrigen Samen- und Waldpflanzen parallel entstanden. Das Fehlen von Neochrom in den zwei ursprünglichen Ordnungen heißt aber zugleich, dass es kaum bereits in einem gemeinsamen Vorfahren des Hornmooses und der Farne vor über 400 Millionen Jahren entstanden sein konnte. Und so reifte die zweite Hypothese: Horizontaler Gentransfer (HGT).

Um sie zu prüfen, sammelte Li Neochromgen-Sequenzen aus so vielen Farnen wie möglich und verglich sie inklusive der Hornmoos-Sequenz. Und wieder einmal offenbarten Lis Analysen am Ende, dass die Natur bei weitem der beste „Gen-Ingenieur“ ist. So enthüllte der Vergleich der Sequenzsignaturen, dass sich ein oder mehrere Farn-Vorfahren vor etwa 179 Millionen Jahren per HGT das Neochrom-Gen aus dem Hornmoos ins eigene Genom holten. Doch damit war noch nicht Schluss: Lis Daten offenbarten überdies, dass das Neochrom-Gen nachfolgend noch etliche weitere Male via HGT von einem Farn zum anderen weitergelangte. Die rezenten Farne (bis auf die zwei oben erwähnten Ordnungen) besitzen Neochrom also nicht aufgrund eines einzelnen gemeinsamen Neochrom-Vorfahren — sondern vielmehr, weil sie es sich aus dem Hornmoos holten und es nachfolgend noch mehrfach horizontal untereinander weitergaben.

Tja, was soll man dazu sagen? Horizontaler Gentransfer scheint auch unter höheren Organismen keineswegs eine eigentlich ungewollte Ausnahme, sondern vielmehr ein ganz wichtiger Mechanismus von Variation und Evolution. Zumindest fänden wir ohne ihn wohl heute keine Farnfelder unter dem dichten Blätterdach der Wälder.

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