Thomas Südhof und die MPG

11. Oktober 2013 von Laborjournal

Anfang der Woche wurde in Stockholm verkündet, dass Thomas Südhof, der „vermeintliche Deutsche“ an der Stanford University, zusammen mit den US-Amerikanern Randy Schekman und James Rothman den diesjährigen Medizin-Nobelpreis erhält (siehe Laborjournal online-Editorial vom 7. Oktober 2013). Bereits 1983 ging Südhof als Postdoc in die USA und ist bis heute dort geblieben. Dennoch führen ihn die Annalen der Max Planck-Gesellschaft (MPG) von 1995 bis 1998 als Direktor am Max Planck-Institut (MPI) für Experimentelle Medizin in Göttingen. Spuren eines „großen Missverständnisses“, das Laborjournal schon damals in folgendem Artikel zusammenfasste (Heft 6/98: S. 6):

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„Ein böser Fall“

Vielen deutschen Forschern gilt die Berufung als Direktor an ein Max-Planck-Institut als höchstes Glück. Auch Thomas Südhof in Texas dachte wohl so, als das Göttinger MPI für Experimentelle Medizin ihn 1995 rief. Doch dort gab es irgendwann Streit. Bisweilen, berichtet ein MPI-ler, sollen „die Fetzen geflogen sein“. Thomas Südhof streckte seine Übergangszeit in die Länge — und als die MPG schließlich eine Entscheidung verlangte, sagte er ab. „Ein böser Fall für die MPG“, so der Direktor eines anderen MPIs.

Im Dezember 1990 redete die MPG erstmals mit Südhof über eine Berufung. Südhof war nicht abgeneigt, wollte kommen. Mitte 1995 machte die MPG ihn zum wissenschaftlichen Mitglied. Seitdem arbeiteten einige seiner Mitarbeiter im Göttinger Institut, und entsprechend der ausgehandelten Übergangsregelung tauchte auch Südhof selbst immer mal wieder in Göttingen auf. Doch einigen Leuten ging diese Übergangszeit zu lange. Ende 1997 forderte die MPG Südhof schließlich auf, zum 1. Januar 1998 seine Arbeit als geschäftsführender Direktor in Göttingen dauerhaft aufzunehmen. Südhof konnte sich indes nicht mit Institut und MPG einigen. Am 31. März wurde sein Vertrag aufgelöst.

Dabei schien Südhof ursprünglich fest entschlossen, von Texas nach Göttingen zu kommen. Eine Art Heimkehr sollte es werden, denn Südhof schloss dort sein Medizinstudium ab und arbeitete anschließend als Postdoc im Göttinger MPI für Biophysikalische Chemie. Mitte der Achtziger wechselte er zu den Nobelpreisträgern Michael Brown und Joseph Goldstein an das Southwestern Medical Center der University of Texas (UT Southwestern) in Dallas. Seit 1986 leitete er dort den Gill-Lehrstuhl für Neurowissenschaften.

Im MPI für Experimentelle Medizin reservierte man zwei Etagen für Südhofs Crew. Göttingens Wissenschaftler freuten sich auf den renommierten Forscher, der seit einiger Zeit mit seinen Erkenntnissen über synaptische Vesikel Stammgast in den allerbesten Journals war. Und auch Südhof sah offensichtlich seine Zukunft in Göttingen: Sogleich beteiligte er sich an einem Sonderforschungsbereich über Protein- und Membrantransport.

Je konkreter die Sache jedoch wurde, desto zögerlicher wurde Südhof. Warum? Die drei Direktoren des MPI für Experimentelle Medizin schweigen zum „Fall Südhof“. Norbert Hilschmann, Walter Stühmer und Joachim Spiess haben sich geeinigt, dass nur der kommissarische geschäftsführende Direktor Informationen und Kommentare abgibt. Dies ist seit Januar Thomas Trautner vom Berliner MPI für Molekulare Genetik. Ein Außenstehender als Schlichter also? „Das ist schon öfter vorgekommen“, erklärt Trautner, „das bringt eine objektive, unabhängige Meinung ins Haus.“ 

Auf die Frage nach dem Grund für das lange Hin und Her antwortet Trautner vieldeutig: „Manchmal spielt es auch eine Rolle, wie Personen mit Streitigkeiten umgehen. Der eine überlebt gut in streitbarer Atmosphäre — für einen anderen ist entscheidend, wo er es besser hat. Was für Herrn Südhof wichtig ist, liegt allein in seinem Entscheidungsbereich.“

Ein Grund für die zeitliche Verzögerung bis zum Antritt Südhofs, so Trautner, seien sicher auch die umfangreichen Umbauarbeiten gewesen. „Es hat einen massiven Sanierungsbedarf gegeben, um allen baulichen Sicherheitsvorschriften nachzukommen.“ Außerdem beinhaltete Südhofs Berufung auch den Bau eines neuen Tierstalls. „Wir hätten sowieso einen Tierstall gebaut“, so Trautner dazu. Der durch Südhofs Absage entstandene materielle Schaden sei daher gering.

Den Schaden sieht Trautner eher an anderer Stelle: „Wenn wir nicht so lange gewartet hätten, hätten wir größere Freiheit in der Auswahl der Arbeitsrichtung gehabt.“ Überhaupt sei die lange Übergangsregelung nicht gut gewesen, das wisse man jetzt. „Es ist für eine Abteilung und für die Moral einer Gruppe immer schlecht, wenn der Direktor nicht ständig da ist“, so Trautner. „Die Atmosphäre unter den Kollegen leidet darunter.“ Vor allem Hilschmann und Spiess, so heißt es, sollen am Ende stocksauer auf Südhof gewesen sein.

Seit März 1998 ist Südhof nun Direktor des neuen Centers for Basic Neuroscience der UT Southwestern [2008 wechselte er schließlich nach Stanford — die Red.]. Man könnte daher argwöhnen, er habe die MPG für ein Pokerspiel genutzt. Dies einzuschätzen ist jedoch schwierig, da Südhof keine Position beziehen will. Alles was er sagt, ist: „Es liegt nicht an mir, dass ich nicht nach Göttingen komme. Ich sehe es als Sache der MPG, dies vor der deutschen Öffentlichkeit zu vertreten, und möchte daher keinen weiteren Kommentar abgeben.“

Wie geht es weiter? „Wir haben nach Südhofs Weggang für die Studenten und Doktoranden alles nur mögliche getan“, so Trautner. Sie können ihre unter Südhof begonnenen Arbeiten zu Ende führen. Das neue Besetzungsverfahren läuft bereits, wobei die MPG-Kommission jetzt gleich zwei Nachfolger sucht: Norbert Hilschmann geht zum Mai 1999 in den Ruhestand. „Die genaue fachliche Orientierung der beiden neuen Abteilungen hängt von den Kandidaten und deren Fachgebieten ab“, so Trautner. „Zunächst werden wir prüfen, ob die Neurowissenschaften ein entsprechendes Zukunftspotential haben.“

Will die MPG auf dem internationalen Markt mithalten, muss sie ihren Kandidaten gute Konditionen bieten. Andererseits kann sie es sich aber nicht leisten, endlos lange auf die Entscheidung von Wissenschaftlern zu warten, mit denen Berufungsverhandlungen abgeschlossen wurden. „Wir haben aus dem Fall Südhof gelernt und werden unserer Geduld strengere Grenzen anlegen“, führt Trautner aus. Es bedeute für jeden eine Zäsur, woanders hinzugehen. Die Zeitspanne eines „Spagat-Direktors“ werde jedoch in Zukunft kürzer sein. „Entscheidend im Fall Südhof war, dass wir so brennend an ihm interessiert waren.“

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