Rettet das Laborbuch!

23. April 2012 von Laborjournal

(Der Beitrag war bereits am 17.4. für etwa fünf Stunden an dieser Stelle veröffentlicht, wurde dann aber nochmals überarbeitet und neu gepostet.)

Das gute, alte Laborbuch. Jetzt soll jeder auch dieses noch komplett digital führen und im Web per Open Access online frei zugänglich machen. Entsprechende Vorschläge der sogenannten Science 2.0-Jünger (oder sind wir schon bei „3.0“?) werden jedenfalls immer lauter.

Nicht nur fertige, logisch durchdachte und schlüssig aufbereitete Paper — nein, auch das sympathisch impulsive, hastig hingekritzelte, herrlich chaotische und gerade deswegen irgendwie kreative Sammelsurium der täglichen Laborbuch-Einträge soll nach deren Vision die weltweite Internetgemeinde einsehen können.

Aber warum eigentlich?

Dass das Web die Möglichkeit bietet, die statischen Momentaufnahmen geschriebener Paper am gleichen Ort aktiv weiter zu diskutieren und zu modifizieren — ja, das ist toll und erstrebenswert. Endlich wieder dynamische (wenn auch virtuelle) Real Time-Diskussionen; und im Ideallfall tatsächlich Ideen und Daten teilen, vorschlagen und kritisieren. Alles das also, was die Wissenschaft im Innersten zusammen halten sollte — und zuletzt durch egoistisches „Credit and Priority“-Denken doch arg verloren gegangen ist.

Aber braucht man dazu tatsächlich auch noch die zusammenhanglosen Rohdaten der Laborbücher? Nur damit der Community womöglich auch die letzten, verborgensten Nuggets nicht entgehen? Und wer würde überhaupt etwas studieren, das doch in der Mehrzahl aus fehlgeschlagenen, missgeplanten oder falsch angedachten Experimenten besteht?

Abgesehen davon, dass Laborbücher schon seit jeher mehr als reines Rohdaten-Protokoll sind. Wie oft transzendieren sie gleichsam zu einer Art privaten Ortes, um Lust und Frust des bisweilen einsamen Forscherlebens zu dokumentieren: Kaffee- oder gar Bierflecken keine Seltenheit; dazwischen eingestreut abstrakte Kuli-Zeichnungen als Zeugnisse intensiven Grübelns oder gelangweilter Telefonate; im Buch des künstlerisch begabteren Kollegen gar manche bitterböse Karikatur des Chefs oder der bärbeißigen TA; und dann etwa der Eintrag des Doktoranden, der nachts um Zwei nach ausgedehntem Biergartenbesuch nochmal nach dem x-ten Ansatz seiner Reportergen-Klonierung schaute — und über vier Doppelseiten immer wieder in Großbuchstaben schrieb: „SIE LEUCHTEN! ENDLICH! DIE VERDAMMTEN ZELLEN LEUCHTEN…“

All das würde in den anonymen Weiten des Webs ziemlich sicher verloren gehen.

(Zu den Illustrationen: Diese könnten zwar gut Laborbüchern entstammen, tun es aber nicht. Vielmehr sind es Kritzeleien, die dem Physiker Rainer Klages immer wieder „passieren“, wenn er bei Vorträgen auf Konferenzen und in Seminaren mitschreiben will. „Botadras“ nennt er die Werke selber, von „boring talk drawings“. Eine kleine Galerie seiner „Botadras“ gibt’s hier.)

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4 Gedanken zu „Rettet das Laborbuch!“

  1. BadBoyBoogie sagt:

    Also von solchen Kritzeleien könnte ich auch ein paar Pfund ins Netz stellen… (und wohl nicht nur ich). Sollte man glatt mal ne Psychostudie drüber machen, wieso H. sapiens geradezu manisch während boring sessions zu kritzeln beginnt. Selbst Donald Duck hat das schon gemacht, ich erinnere mich bloß gerade nicht, in welchem Lustigen Taschenbuch das war.

  2. Ralf Neumann sagt:

    Auch nett:

    null

    Ob das wohl die Arbeitsgruppe des Zeichners sein soll?

  3. BadBoyBoogie sagt:

    Nein, das ist MEINE Ex-Gruppe!!! Hab sie 100%ig erkannt.

  4. Ralf Neumann sagt:

    Sollte man glatt mal ne Psychostudie drüber machen, wieso H. sapiens geradezu manisch während boring sessions zu kritzeln beginnt.

    Man kann’s aber auch lassen.

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