LJ-Biotechnica-Tagebuch (VII): Chemie-Nobelpreis update

8. Oktober 2009 von Laborjournal

Wir sind kaum  am Stand angekommen, da steht plötzlich Jürgen Brosius da. Brosius, ein alter Bekannter der Laborjournal-Redaktion, ist Professor und Molekularbiologe an der Uni Münster. Und er arbeitete einst jahrelang als Postdoc im Labor von Harry Noller in Kalifornien.

Jürgen Brosius (r.) erklärt, warum Harry Noller den Chemie-Nobelpreis eher verdient hätte.

Jürgen Brosius (r.) erklärt, warum Harry Noller den diesjährigen Chemie-Nobelpreis eher verdient hätte.

Damit war klar, worum sich das Gespräch zuerst drehen wurde: Warum wurde Harry Noller nicht bei der gestrigen Vergabe des Chemie-Nobelpreises mitberücksichtigt? „Ich war richtig geschockt“, gibt Brosius zu. Und tatsächlich: Bei all der vielen Nobelpreis-Tipperei im Internet war die Ribosomen-Struktur fast immer dabei (siehe z. B. hier) — und am allermeisten fielen in diesem Zusammenhang die Namen Harry Noller und Ada Yonath. Schließlich hatten diese beiden ohne Steitz und Ramakrishnan erst 2007 den Paul-Ehrlich-und-Ludwig-Darmstaedter-Preis erhalten — mit der gleichen Begründung, wie gestern Yonath, Steitz und Ramakrishnan ohne Noller den Nobelpreis bekamen: Entschlüsselung von Struktur und molekularer Funktion des Ribosoms.

Sicherlich machte Noller nicht die besten Kristalle von diesen Vieren — aber letztlich bestätigten die superauflösenden Kristalle, die die jetzigen Nobelpreisträger zwischen 2000 und 2006 erzeugten, im Großen und Ganzen Nollers biochemische Vorarbeiten zur Funktionsweise der Ribosomen (wie übrigens auch diejenigen von Peter Moore in Yale). Abgesehen davon, dass es Noller war, der nachwies, dass komplett Protein-freie 23S rRNA katalytisch als Peptidyltransferase wirkt — und somit ein Ribozym darstellt (Science256:1416-9 ).

Harry Noller (l.) und Ada Yonath bei der Verleihung des Paul-Ehrlich-und-Ludwig-Darmstaedter-Preises 2007

Harry Noller (l.) und Ada Yonath bei der Verleihung des Paul-Ehrlich-und-Ludwig-Darmstaedter-Preises 2007

“Harry ist ein bescheidener Typ”, so Brosius. „Nobelpreis-Kandidaten werden ja oft mehrmals zu Vorträgen nach Stockholm eingeladen, damit die Leute dort sich ein Bild von ihnen machen können. Auch Harry wurde einige Male eingeladen. Aber meistens hat er abgesagt, weil er Lehrverpflichtungen hatte. Ich weiß nicht, aber vielleicht spielen solche Dinge ja tatsächlich eine Rolle.“

Er habe Noller gestern gleich geschrieben, erzählt Brosius weiter. In der Nacht sei dessen Antwort gekommen. Nein, er sei nicht wirklich enttäuscht, habe Noller geantwortet. Wirklich glücklich hätten ihn sowieso immer die Momente gemacht, wenn er die Ergebnisse ganz frisch im Labor realisiert habe.

Trotzdem wird sich Stockholm wohl wieder einmal einige Kritik anhören müssen.

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