Schädliche Euphorie

21. Juni 2011 von Laborjournal

Aus der Reihe „Spontane Interviews, die es nie gab — die aber genau so hätten stattfinden können”. Heute: Postdok E.R. Nüchtert, Beliebologisches Institut Universität Enniwehr.

LJ: Hoppla, Herr Nüchtert, warum so eilig?

Nüchtert: Musste schnell die Ausdrucke aus dem Counter holen, bevor der Chef sie sieht.

LJ: Wieso das?

Nüchtert: Was meinen Sie, wie oft der schon mit den Zahlen in der Hand zu mir geschossen kam, um aufgeregt und bedeutungsvoll auszustoßen: Man sieht was! Da ist ein Effekt!

LJ: Na und? Ist doch besser, als wenn man nichts sieht. Oder?

Nüchtert: Nicht unbedingt. Am schlimmsten ist doch, wenn Du meinst, Du hättest tatsächlich was gefunden — bekommst dann aber „den Effekt“ in allen Wiederholungen nicht mehr zu sehen.

LJ: Und so war es oft?

Nüchtert: Oft? Eigentlich immer! Sehen Sie, wir haben in unserer Gruppe das gar nicht mal so seltene Problem des über-enthusiastischen Chefs. Verstehen Sie mich nicht falsch, er ist ein absolut liebenswerter Kerl, der einen damit ja auch ungeheuer motivieren kann. Aber wenn er nur den Hauch eines Ergebnisses sieht, geht’s mit ihm durch. Dabei ist er schon so lange weg von der aktiven Forschung, dass er gar nicht mehr auf dem Radar hat, wie sehr man solche „Pionierdaten“ absichern muss. Und dass sich dann viele solche „Effekte“ schnell in Luft auflösen.

LJ: Deswegen schauen Sie, dass Sie Ihre Ergebnisse immer vor ihm zu sehen kriegen?

Nüchtert: Genau. Und ich berichte ihm auch nur noch von „Effekten“, wenn ich sie nach etlichen Kontrollen mindestens dreimal stabil gesehen habe.

LJ: So sollte das ja auch sein.

Nüchtert: Ja klar. Aber wie gesagt, sein Enthusiasmus verleitet einen selbst leicht dazu, Dinge allzu früh zu glauben. Man braucht da als Mitarbeiter ein gehöriges Maß an Distanz. Sonst ist der Fall danach für alle umso tiefer.

LJ: Gab es solche „Fälle“?

Nüchtert: Ja, leider. Es ist ja auch leicht zu verstehen, dass sich vor allem unerfahrene Mitarbeiter auf diese Weise mitreißen lassen. Die fühlen sich natürlich unglaublich gebauchpinselt, wenn der Chef sie in höchsten Tönen für einen „Effekt“ lobt. Ein Diplomand hatte dann einmal in solch einer Euphorie völlig unter den Tisch fallen lassen, dass ihm dasselbe Experiment zuvor schon zweimal keinen „Effekt“ geliefert hatte. Das kann man ihm aber gar nicht vorwerfen. Vielmehr ist es Aufgabe des Chefs, die Ergebnisse richtig einzuordnen — und dem jungen Mitarbeiter einen realistischen und nüchternen Blick auf vorläufige Resultate zu vermitteln. Am Ende schrieben die zwei ein völlig unausgereiftes Paper, das dummerweise auch noch akzeptiert wurde. Sie haben es danach von den Kollegen hinten und vorne um die Ohren gehauen bekommen.

LJ: Und daraus hat ihr Chef nichts gelernt?

Nüchtert: Nicht wirklich. Er kann nicht anders, er ist einfach so ein euphorischer Mensch. Wie gesagt, das ist ja auch ungeheuer sympathisch und eigentlich will man das ja auch in der Forschung haben. Allerdings braucht es zu dem Enthusiasmus eine genauso große Menge Skepsis. Wenn die fehlt, stimmt die Balance nicht mehr. Ich will gar nicht wissen, wieviele schlampige, nicht ganz korrekte oder gar falsche Paper durch diese Form von distanzloser Über-Euphorie zustande gekommen sind.

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