Paradox „Projekt“

5. Mai 2011 von Laborjournal

Zwar hatten wir erst kürzlich das Zitat des Monats. Dennoch wollen wir schon wieder zitieren — und das Zitierte natürlich zur Diskussion stellen. Diesmal geht es um das Buch „Forschungsprojekte — Zum Organisationswandel in der Wissenschaft“ der Berliner Soziologin Cristina Besio aus dem Jahre 2009. Darin schreibt sie an verschiedenen Stellen zum „Projektparadox“ in der Forschung:

Damit etwas projektiert werden kann, muss es noch unbekannt sein (andernfalls machte die Forschung keinen Sinn), gleichzeitig muss es aber bereits bekannt sein (weil sich sonst keine Forschungsplanung entwerfen ließe).

Zwischen der Vorstellung von Forschung als einem offenen, durch die Neugierde des Wissenschaftlers gelenkten Prozess und der Projektierung der Forschung herrscht eine offensichtliche Inkongruenz. Die Vorwegnahme des Neuen bereits zu Beginn des Forschungsprozesses lässt sich in Projekten nicht vermeiden, aber sie widerspricht der Vorstellung von der Wissenschaft als Prozess fortlaufender Entdeckungen. In Projekten kann man weder einfach von Prämissen ausgehen und dann schauen, was daraus wird, noch lassen sich Änderungen leicht hinnehmen. Andernfalls könnten Projekte nicht auf die für sie eigene Art für Unsicherheitsabsorption sorgen.

Daher stellt sich die Frage: Wie kann man schon von vorneherein etwas bestimmen, das man ja eben gerade durch die Forschungstätigkeit erst entdecken will? […] Welches Wissen ist überhaupt projektierbar?

Nach über 400 weiteren Seiten liefert Cristina Besio die Antwort: der Großteil der Forschungsprojekte beziehe sich auf konkrete Fragestellungen, die zeitlich und räumlich überschaubar sind. Zudem beschränken sich die allermeisten Projekte auf die Analyse eines konkreten Falls und verzichten auf jegliche Form der Generalisierung. Was umgekehrt heißt: Forschung, die über den Tellerrand blicken will und als Ziel verfolgt, ein generalisierendes Modell oder eine übergeordnete Theorie zu entwerfen, ist in der Organisationsform „Projekt“ denkbar schlecht aufgehoben.

Sollte man durchaus bedenken bei seinem nächsten Projektantrag.

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Ein Gedanke zu „Paradox „Projekt““

  1. Ralf Neumann sagt:

    Hier ein frisches Interview mit Helmut Schwarz, dem Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, in dem er vor zu viel Mainstream-Forschung als Konsequenz einer zu eng gefassten Projekt-/Programmförderung warnt. Stattdessen fordert er, mehr Gewicht auf die Individualförderung zu legen — Zitat:

    Individualförderung ist darüber hinaus in meinen Augen die nachhaltigste Form der Förderung, weil die geförderten Wissenschaftler, so belegt es unsere Erfahrung, auch auf der Basis individueller Förderung Netzwerke aufbauen, die Kräfte bündeln und gemeinsame Leistungen ermöglichen – und dies oft passgenauer als es ein zeitlich und thematisch begrenztes Programm vermag.

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