Fälschung, ja Dich kenn‘ ich wohl

15. Februar 2011 von Laborjournal

Wieviel wird denn nun tatsächlich gefälscht in der Forschung? Fakt ist, dass sich der Anteil an zurückgezogenen, wie auch an tatsächlich gefälschten Publikationen in letzter Zeit kontinuierlich nach oben entwickelt hat. Dies ist einhelliges Fazit gleich mehrerer aktueller Studien — zum Beispiel dieser, dieser sowie dieser noch laufenden Studie. Ein Zitat aus ersterer:

It is particularly striking that the number of papers retracted for fraud increased more than sevenfold in the 6 years between 2004 and 2009.

Aber wie hoch ist die Dunkelziffer? Wieviel wird geschludert, geschönt, geschlampt und gefälscht — ohne dass es jemals ‚offiziell‘ wird? Das wollte vor knapp zwei Jahren Danielle Fanelli aus Edinburgh wissen und startete eine großangelegte Umfrage. Seine Ergebnisse veröffentlichte er in PLoS ONE, inklusive folgendem Fazit:

A pooled weighted average of 1.97% (N = 7, 95%CI: 0.86–4.45) of scientists admitted to have fabricated, falsified or modified data or results at least once — a serious form of misconduct by any standard– and up to 33.7% admitted other questionable research practices. In surveys asking about the behaviour of colleagues, admission rates were 14.12% (N = 12, 95% CI: 9.91–19.72) for falsification, and up to 72% for other questionable research practices.

Über ein Drittel beschuldigte sich also anonym selbst der ‚questionable research practices‘ oder schlimmeren Fehlverhaltens. Und nahezu 90 Prozent berichteten, bereits mindestens einen Fall in ihrer unmittelbarer Umgebung mitbekommen zu haben. Und dabei war Abschreiben bzw. Plagiarismus nicht einmal mit eingeschlossen.

Ist es wirklich so schlimm? Keine Ahnung, ob so schlimm — aber offenbar ist es tatsächlich schlimm. Was  auch folgendes frisches Erlebnis unterstreicht: Letzte Woche saß ich beim Bier mit drei gestandenen Bioforschern — und wir kamen auf ebendieses Thema. Das Ende vom Lied: Bei einem hatte ein Mitarbeiter im eigenen Labor Messungen erfunden, beim anderen ein Doktorand Daten überproportional aufgeblasen, und der Dritte hatte schon mehr als eine solcher Angelegenheiten in seiner Fakultät mitbekommen. Tja, und was soll ich sagen: Auch ich hatte zu meiner aktiven Forscherzeit unmittelbar mit einem Fall von „Datenschönung“ zu tun. Offiziell geworden ist keiner davon, man hatte das jedes Mal rechtzeitig vor Publikation erkannt.

Okay, eine Anekdote — mehr nicht. Aber sie passt.

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9 Gedanken zu „Fälschung, ja Dich kenn‘ ich wohl“

  1. Markus sagt:

    Die ‚Anekdote‘ suggeriert, dass es immer die bösen Doktoranden/Mitarbeiter sind, die frisch und fröhlich daherfälschen. Wenn man reine Fälschungen (also Fabrikation von Daten) betrachtet mag das stimmen. Was aber viel häufiger ist, ist Schummeln bzw. Daten schönen. Und das kommt meistens ‚von oben‘. Wenn man anfängt als Doktorand hat man noch Ideale denen man nacheifern möchte und das Rüstzeug dazu hat man ja erst gerade an der Uni gelernt (z.B. Statistik oder die Praktika wo einem eingebläut wurde dass man nicht einfach Messpunkte weglassen darf). Dann macht man die Diss und irgendwann soll man das erste paper schreiben und das kommt dann vom Prof korrigiert zurück wobei dann plötzlich alle die ‚ehrlichen‘ passagen rausgestrichen sind und die Aussagen geschönt wurden. Auf den Einwand ‚aber das können wir mit unseren Daten doch gar nicht (statistisch) sicher belegen‘ kommt nur ein ‚das machen alle so‘ zurück. Und spätestens nach dem dritten paper hat man den Stil selber auch verinnerlicht…
    Ich finde der Fisch stinkt vom Kopf!

  2. Ralf Neumann sagt:

    Ich hab’s zweimal anders herum erlebt: Doktorand wollte endlich zusammenschreiben, wusste ja, welche Ergebnisse Chef für seine Hypothese haben wollte — und hat die Resultate entsprechend aufpoliert. Und Chef hat’s natürlich erstmal gerne geglaubt. Aufgeflogen sind die Geschichten dann wegen aufmerksamer TA bzw. Postdok. Da hat beide Male kein Fisch vom Kopf gestunken.

  3. BadBoyBoogie sagt:

    Und ich hab’s von beiden Seiten her erlebt: Der Doktorand kam mit geschönten, überinterpretierten Ergebnissen daher – und der Chef hat Einwände anderer Mitarbeiter, dass die Ergebnisse nix taugen würden, nicht akzeptiert (und auch nicht nachgeprüft).

    Da stank der Fisch also vom Schwanz UND vom Kopf her – und die in der Mitte, die um Korrektheit bemühten Mitarbeiter, haben am Ende ungewollt mitgestunken.

  4. Zelig sagt:

    Der Druck, v.a. wenn davon finanzielle Förderungen abhängen, wird meiner Erfahrung nach häufig vom PI direkt und massiv an die Doktoranden weitergegeben, wenn bestimmte Ergebnisse „erwünscht“ sind, und die Versuchung ist groß dem dauerhaften Druck auf andere Art nachzugeben als durch 7 Tage die Woche 14 h pro Tag das unsinnige und in den eigenen Augen nicht funktionierende Experiment zu wiederholen, bis man genug positive Zufallstreffer hat (bei 20 Ansätzen ist meistens einer für p < 0.05 dabei, wa).

  5. Ralf Neumann sagt:

    Die DFG hat angesichts des Plagiat-Falles „Freiherr zu Guttenberg“ ein Statement mit dem Titel „Wissenschaft beruht auf Wahrhaftigkeit, Redlichkeit und Vertrauen“ herausgebracht. In Zusammenhang mit dem Inhalt des obigen Beitrags ist unter anderem folgende Feststellung daraus besonders interessant:

    Gemessen an der Zahl der Personen und Projekte in der Wissenschaft ist das Ausmaß wissenschaftlichen Fehlverhaltens jedoch äußerst gering.

    Woher die DFG das wohl weiß?

  6. Winfried Köppelle sagt:

    Die Frau Ministerin Schavan hat gestern der SZ auch ein Interview gegeben (http://www.sueddeutsche.de/politik/anette-schavan-ueber-guttenberg-ich-schaeme-mich-nicht-nur-heimlich-1.1065529-2) – und es ist, wen wundert’s, ein gar typisches Politikerinterview geworden: Jeder zweiten Frage weicht Frau Schavan aus.

    Zudem macht Schavans in diesem SZ-Interview teils recht seltsame Aussagen, etwa „Die Universität Bayreuth ist der richtige Ort, um weitere Vorwürfe zu überprüfen“ und „Das deutsche Wissenschaftssystem ist so effizient wie kein zweites auf der Welt“.

    Ersteres ist definitiv Unsinn, zweiteres in Frage zu stellen (siehe oben: Woher sie das wohl weiß…?)

  7. Zu Guttenberg wird ohne Frage in die Politik zurückkommen, die absolute Geräuschlosigkeit um ihn jetzt spielt ihm doch in die Karten. Auch, wenn ich ihn nicht mag, könnte man gegen einen Wiedereinstieg von ihm in die Politik wenig sagen. Da sind andere schon nach ganz anderen Affären zurückgekommen.

  8. Winfried Köppelle sagt:

    Stimmt, siehe z.B. der Grüne Cem Özdemir (der nach seinem Rücktritt 2002 wegen einer Bonusmeilenaffäre längst wieder im Geschäft ist, seit 2008 gar als Bundesvorsitzender und demnächst wohl als Minister in BW….?)

    …oder, wesentlich heftiger, CSU-Generalsekretär Otto Wiesheu, der 1983 stockbesoffen (1,75 Promille) auf der Autobahn einen Menschen totfuhr – und nach ein paar Jahren auf einem ruhigen Warteschleifenjob bei der Hanns-Seidel-Stiftung bereits 1990 wieder Staatssekretär und 1993 unter Edmund Stoiber gar Verkehrs(!)minister werden durfte.

    Da ist für Guttenberg noch viel drin… bloß Wissenschaftsminister oder DFG-Präsident sollte man ihn vielleicht lieber nicht mehr werden lassen…

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