„Zu ambitioniert“

12. Oktober 2010 von Laborjournal

Aus der Reihe „Spontane Interviews, die es nie gab — die aber genau so hätten stattfinden können”. Heute: Assistenzprofessor E.H.R. Geiz, Melanchologisches Institut TH Trübenwil.

LJ: Hallo, Herr Geiz. Irgendwas Schlimmes passiert?

Geiz: Hab’ gerade die Entscheidung über einen Antrag mitgeteilt bekommen.

LJ: Oh je, abgelehnt…

Geiz: Nein nein, glatt bewilligt.

LJ: Ah!… Ja… schön… Aber, Verzeihung, glücklich sehen Sie nicht gerade aus.

Geiz: Doch, doch — ich freu’ mich natürlich. Aber irgendwie ist es schon komisch…

LJ: Was denn?

Geiz: Die haben ihn zwar voll bewilligt — aber sie schreiben auch, dass ich das Projekt durchaus “ambitionierter” hätte formulieren und angehen können.

LJ: Ja und? Kann Ihnen jetzt doch egal sein.

Geiz: Sicher. Die Ironie an der Geschichte ist nur folgende: Als ich meinen ersten Postdoc-Antrag schrieb, warnte mich mein Chef, dass ich nicht “zu ambitioniert” sein sollte. Realistisch einschätzen sollte ich, was ich tatsächlich in der anberaumten Zeit schaffen könne. Und daran denken, dass sich die lästigen Vorarbeiten oftmals länger ziehen, als man im Voraus wahrhaben will.

LJ: Und, was wurde damals aus dem Antrag?

Geiz: Na ja, ich versuchte den Rat meines Betreuers zu beherzigen und speckte meine eigentlichen Pläne entsprechend ab. Ich beschränkte mich also nur auf die Experimente, von denen ich absolut sicher war, dass ich sie in dem beantragten Zeitraum auch tatsächlich schaffe.

LJ: Und was kam raus?

Geiz: Der Antrag ging zwar durch, aber dennoch ermahnten mich die Gutachter ich solle meine Ambitionen bremsen. “Greifen Sie nicht nach den Sternen”, schrieb einer wortwörtlich.

LJ: Ist doch egal. Hauptsache, Anträge gehen durch…

Geiz: Sicher. Aber mich beschäftigt das irgendwie doch. Ich habe in der Folgezeit noch ein paar weitere Anträge geschrieben — und immer versucht, den “Ambitionsregler” vernünftig einzustellen. Dennoch wurden diejenigen, die am Ende nicht bewilligt wurden, oftmals mit Hauptargument “Zu ambitioniert” abgelehnt.

LJ: Bis zuletzt?

Geiz: Nein. In der Zwischenzeit kennt man mich besser in der Szene — und weiß eher, was ich tatsächlich intellektuell und experimentell leisten kann. Die letzten drei Anträge gingen jedenfalls problemlos durch.

LJ: Und der vierte jetzt auch…

Geiz: Ja, klar. Aber seltsam ist doch: Ich dachte, ich hätte jetzt genügend Gefühl entwickelt, den “Ambitionsregler” bei jedem Antrag richtig einzustellen. Und jetzt schreiben die mir, ich wäre in dem Antrag “zu wenig ambitioniert”. Pustekuchen. Habe ich tatsächlich immer noch nicht gelernt, wieviel Ambition zuviel, zu wenig oder genau richtig ist? Und wie kann man das überhaupt festlegen — das “richtige” Maß an Ambition für einen Antrag. Ist es nicht vielmehr so, dass “Ambition” etwas positives ist — und man womöglich zu wenig, ansonsten aber gar nicht genug davon haben kann? Können Sie mir das sagen?

LJ: Äh … nein, leider. Aber ich kann die Frage ja mal an unsere Leser weiter geben…

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Ein Gedanke zu „„Zu ambitioniert““

  1. Marc sagt:

    Ambition scheint mir hier das wachsweiche Kriterium zu sein, dass im künstlerischen Bereich „Potenzial“ heißt. Erlaubt jede Bewertung, weil es Glaubensache und nicht messbar ist.

    Sehr praktisch, besonders wenn man Anträge oder Bewerber ablehnen will und nicht so recht weiß (oder sagen will) warum die einem nicht gefallen.

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