Braucht die Menschheit wirklich Männer?

22. Juni 2022 von Laborjournal

Spontane Jungfernzeugung beim Menschen? Gibt es das, außerhalb der Köpfe katholischer Fundamentalisten oder denen von Eso-Spinnern? Jedenfalls ist die ungeschlechtliche Fortpflanzung beim Menschen wissenschaftlich nicht belegt.

Aber es gibt Anekdoten wie die folgende:

Neulich an der Repro-Bench: Biologin Y bereitet die Eizellen von Patientin R für die ICSI  (Intracytoplasmatische Spermieninjektion) vor. Dazu wird der COC (cumulus oocyte complex) zerlegt in Cumuluszellen und die eigentliche Eizelle. Denudieren nennt man das. Cumuluszellen dienen im Follikel des Eierstockes gewissermaßen als Feeder-Zellen für die Eizelle. Für die Injektion des Spermiums müssen die Eizellen jedoch „nackich“ gemacht werden (denudieren, nude = nackt). Dies geschieht, indem der COC in eine Hyaluronidase-Lösung gebracht und mittels einer Kapillare, deren Innendurchmesser nur wenig größer ist als der Durchmesser einer Eizelle, mehrfach auf- und abpipettiert wird. Durch dieses Triturieren wird die Hyaluronan-Bindung zwischen Cumulus- und Eizellen biochemisch gespalten und mechanisch getrennt. Übrig bleibt die einsame injizierfähige Eizelle, die idealerweise die erste Reifeteilung absolviert hat (erster Polköper vorhanden) und sich in der Meiose II befindet.

Frau Y nimmt sich die Eizellen der Patientin R vor. „Was ist denn das!?“, stutzt Frau Y. Nicht eine Eizelle präsentiert sich ihr, sondern ein bereits geteilter vierzelliger Embryo … Erschrocken stellt die Biologin das Kulturschälchen in den Brutschrank zurück und atmet tief durch. Zu kritischer Selbstreflektion von frühsten Biologinnenbeinen an erzogen, lässt Frau Y panisch alle Vorgänge der letzten Stunden im In Vitro Fertilisations (IVF)-Labor in Gedanken Revue passieren. Gab es eine Verwechslung mit dem Embryo einer anderen Patientin? Wurde in geistiger Umnachtung bereits eine Befruchtung durchgeführt? Nein, Frau Y ist sich absolut sicher: Dieser Embryo hat noch kein Spermium „gesehen“. Eine spontane parthenogenetische Befruchtung in vitro….! Das muss ein Hirngespinst sein. Doch am nächsten Tag stellt Frau Y bei der mikroskopischen Kontrolle der Embryonen von Frau R. fest, dass es sich weder um ein Hirngespinst noch um ein Artefakt handelt: der Embryo hat sich normgerecht weiterentwickelt zu einem Bilderbuch-Achtzeller!

Alle im IVF-Zentrum verfügbaren Fachleute werden konsultiert. Die Bemerkungen reichen von „Ja, ja – ha,ha! Das haben wir das letzte mal vor über zweitausend Jahren erlebt … !“ bis hin zu „Mensch, ich hab da neulich mal ein Buch gelesen, da wurde ein Fall von wirklich unbefleckter Empfängnis beschrieben“. Alles sehr aufregend.

Während Frau Y noch recherchiert, ob es inzwischen möglicherweise neue Erkenntnisse gibt über eine asexuelle Fortpflanzung bei Säugern (schließlich liegt ihr Studium jetzt doch schon einige Jahre zurück), erscheint Frau R zu einer erneuten Behandlung. Sie war nicht schwanger geworden. Zum großen Erstaunen aller wiederholt sich das Phänomen in exakt derselben Weise auch bei dieser ICSI. Der Embryo teilt sich bis ins Achtzell-Stadium, arretiert dann und entwickelt sich nicht weiter bis zur Blastozyste. Es handelt sich offenbar um eine patientinnenspezifische, äußerst seltene Erscheinung.

Spontane Jungfernzeugung beim Menschen ist ein Thema, das Wissenschaftler immer wieder beschäftigt hat, letztlich aber – sieht man von einigen nicht ernst zu nehmenden parawissenschaftlichen Berichten ab – nie schlüssig belegt wurde. Dabei ist die ungeschlechtliche Fortpflanzung evolutionsbiologisch betrachtet eine effiziente Art, Nachkommen zu generieren. Deshalb ist sie bei Pflanzen und niederen Tieren ja auch so weit verbreitet. Kein Stress mit der „Beschaffung“ eines Fortpflanzungspartners – man denke nur an all die sinnfreien und in der Retrospektive peinlichen Anbahnungsgespräche –, keine energieraubenden sexuellen Praktiken, …

Vor allem Populationen, die unter dem Druck stehen, für ihre Arterhaltung schnell eine große Anzahl von Nachkommen zu bekommen, frönen der Jungfernzeugung. Der Nachteil der asexuellen Reproduktion allerdings: Da es sich quasi um biologische Klone der Mütter handelt, bleibt der Genpool konstant. Es gibt keine Rekombination, es entsteht eine genetisch degenerierte, instabile Population. Weswegen der „Qualitätsmanager“ unmittelbar aufschreit: Schnelle, hohe Output-Raten, aber keine Nachhaltigkeit, keine Qualität! Nun scheint dieses Prinzip hervorragend zu den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen zu passen.

Im Tierreich war Parthenogenese lange nur bei Insekten bekannt, neueren Berichten zufolge sind aber auch Reptilien und Knorpelfische dazu in der Lage. So wurde im Zoo von Omaha, Nebraska, ein Hammerhai geboren, dessen Mutter nachweislich mehr als drei Jahre „abstinent“ gelebt hatte. Zwar ist dieses Tier fähig, Spermien über lange Zeiträume im Körper zu speichern, doch wie um alles in der Welt sollen Spermien über Jahre hinweg beweglich und befruchtungsfähig bleiben? Der genetische Test bestätigte dann auch, dass es sich um einen Klon der Mutter handelte. Männliche DNA war nicht nachweisbar.

Sogar bei Säugern funktioniert es: Tomohiro Kono und Mitarbeiter publizierten schon 2004 in Nature die Vorstellung, dass paternales genomisches Imprinting bei Säugern normalerweise eine Parthenogenese verhindert. Sie deletierten in Mäusen die dafür verantwortlichen Gene H19 und IgF2 und konnten mit der so entstandenen Mutante lebensfähige adulte Nachkommen erzeugen, die selbst auch fertil waren.

Über die Erzeugung humaner Embryonen ohne Beteiligung von Spermien oder einem männlichen Genom könnte man das ethische Dilemma umgehen und menschliche Embryonen für Forschungszwecke generieren. Unbefruchtete Eizellen, die durch Spenderinnen zur Verfügung gestellt wurden (natüüürlich nicht in Deutschland!), werden mit Hilfe eines Kalziumionophors (bspw. Ionomycin) parthenogenetisch zur Teilung aktiviert. Diese Methode funktioniert bei einer Vielzahl von Säugern.

Jedoch handelt es sich hier um experimentell induzierte Parthenogenese. Was aber geschah bei Patientin R?  Biologin Y kann nur spekulieren. Oder den zweifelhaften Kopfgeburten der Künstlerin Marianne Wex folgen: DNA-Lichtschwingungen (sogenannte messbare Biophotonen, Laserstrahlen vergleichbar) könnten beim Menschen zu einer spontanen embryonalen Entwicklung führen. Beschwingte Befruchtung durch Licht? Nee, esoterischer Rhabarber!

Möglicherweise führte eine untypische Konstellation im Calcium-Haushalt der Patientin zu einer Calciumionophor-ähnlichen Wirkung und pharmakologischen parthenogenetischen Aktivierung. Denkbar wäre auch eine Instabilität des Oolemmas und der Zona pellucida, die dazu führt, dass der zunächst extrudierte Polkörper sich später mit der Eizelle wiedervereint. So wäre der diploide Zustand als Basis für eine artifizielle Teilung wieder hergestellt. Spekulationen – aber wenigstens möglich.

Auch die deutsche Rechtssprechung hält vieles für möglich: Im Jahr 2000 etablierte ein hessischer Richter die Jungfernzeugung als juristische Möglichkeit. Er sprach im Rahmen einer Scheidungsverhandlung dem Ehemann, der per DNA-Fingerprint eindeutig als Vater des 13-jährigen Sohnes ausgeschlossen worden war, die Vaterschafts-Pflichten inklusive Unterhaltsnachzahlungen in Höhe von damals 60.000 DM zu. In der Urteilsbegründung hieß es: „Im Regelfall entsteht eine Schwangerschaft durch den Vollzug des Geschlechtsverkehrs. Ausnahmen sind wissenschaftlich ebensowenig auszuschließen, wie der sehr seltene Fall der Parthenogenese (unbefleckte Empfängnis)“. Damit sei nicht zweifelsfrei zu beweisen, dass die Frau die Geschichte der „unbemerkten Spermaübertragung“ erfunden habe.

Ist also ein männlicher Fortpflanzungspartner wirklich notwendig? Theologisch und juristisch vielleicht nicht, aber im wirklichen Leben eben doch. Ob Sie das nun freut oder nicht.

Lina Scott

(Foto: AdobeStock / milazvereva)

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Ein Gedanke zu „Braucht die Menschheit wirklich Männer?“

  1. Christoph Hagen sagt:

    Tom Waits: „I think the question I get asked the most is, well I dunno know, it happens a lot, enough that I would remark on it – a lot of people come up to me and they say „Is it possible for a woman to get pregnant without intercourse?“ My answer’s always the same, I say: „Listen. We’re gonna have to go all the way back to the civil war. Apparently a stray bullet actually pierced the testicle of a Union soldier and then lodged itself in the ovaries of an 18 year old girl who was actually 100 feet from him at the time. Well, the baby was fine. She was very happy. Guilt-free. Course, the soldier’s a little pissed off. When ya think about it, it’s actually a form of intercourse, but not for everyone. Those who love action, maybe.“ (https://www.quotes.net/mquote/978476)

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