Frauen schreiben lieber anonyme Gutachten

17. November 2021 von Laborjournal

Traditionell bleibt anonym, wer ein Manuskript als Reviewer für ein Forschungsblatt begutachtet. Bestrebungen, mit personalisiertem Peer-Review für höhere Transparenz und weniger Missbrauchspotenzial zu sorgen, gibt es zwar schon seit einiger Zeit, allerdings kommen sie nur schleppend voran.

Über die Gründe kann man viel spekulieren. Man kann aber auch versuchen zu ana­ly­sie­ren, wie Gutachterinnen und Gutachter es mit „Open-Identity“-Peer-Review halten, wo er bereits seit einiger Zeit auf freiwilliger Basis möglich ist. Der Entomologe Charles W. Fox von der University of Kentucky in Lexington hat genau dies mit Daten aus der Zeitschrift Functional Ecology getan (Proc. R. Soc. Lond. B. Biol. Sci., doi: 10.1098/rspb.2021.1399). Im Abstract fasst er die Ergebnisse sinngemäß wie folgt zusam­men:

Ein Peer-Review-Verfahren mit Offenlegung der Gutachter-Identität ist derzeit noch nicht weit verbreitet, wird aber gemeinhin als Mittel propagiert, um die Transparenz und Rechenschaftspflicht im Peer-Review-Prozess zu erhöhen. Jedoch lehnen die Gutachter selbst dies im Allgemeinen ab. Um einen Einblick in die Faktoren zu erhalten, die beeinflussen, wann Reviewer zur Preisgabe ihrer Identität bereit sind, habe ich untersucht, welche Gutachter in der Zeitschrift Functional Ecology dies konkret getan haben. Zwar ist auch hier die Identität der Gutachter generell vertraulich, allerdings können sie ihre Kommentare unterzeichnen – und damit den Autoren ihre Identität freiwillig preisgeben.

Ich fand heraus, dass 5,6 Prozent der Gutachter ihre Kommentare tatsächlich unterzeichneten. Dieser Anteil stieg im Laufe der Zeit leicht an, von 4,4 Prozent zwischen 2003 und 2005 auf 6,7 Prozent im Zeitraum 2013 bis 2015. Männliche Gutachter unterzeichneten ihre Kommentare 1,8-mal häufiger als weibliche. Dieser Unterschied blieb im Lauf der Zeit bestehen.

Nur wenige Gutachter unterschrieben alle ihre Gutachten; sie taten dies eher, wenn ihre Bewertung des Manuskripts grundsätzlich positiv ausfiel.

Manuskripte, die mindestens ein unterschriebenes Gutachten erhielten, wurden eher zu einer Überarbeitung aufgefordert. Zudem waren unterzeichnete Gutachten im Durchschnitt länger und empfahlen den Autoren mehr Referenzen.

Und er schließt daraus in den „Conclusions“:

Obwohl es sich bei der aktuellen Studie um eine deskriptive Studie handelt und die Ursachen für die beobachteten Muster nicht entschlüsselt werden können, deuten meine Ergebnisse […] stark darauf hin, dass die Einführung eines vollständig identitätsoffenen Peer-Review-Modells, bei dem Zeitschriften die Identität von Gutachtern […] offenlegen, nicht wenige Wissenschaftler […] von der Teilnahme am Begutachtungsprozess abhalten wird. Insbesondere werden Frauen stärker dem Peer Review fernbleiben als Männer – was dem Ziel vieler Zeitschriften zuwiderläuft, die Vielfalt der Gutachter zu erhöhen. Überdies deuten meine Ergebnisse in Verbindung mit anderen veröffentlichten Studien darauf hin, dass Gutachter die Arbeiten weniger kritisch beurteilen, wenn ihre Namen offengelegt werden – genauso wie sie dazu weniger bereit sind, überhaupt ein Gutachten zu verfassen, falls ihre Bewertung negativ ausfällt.

Klingt, als müsste noch an ganz anderen Stellschrauben des wissenschaftlichen Pub­li­ka­tions- und Belohnungssystems gedreht werden, um die Mehrheit der Forscher und insbesondere der Forscherinnen von den Vorzügen des „Open-Identity“-Peer-Reviews zu überzeugen. Oder wenigstens davon, dass ihnen keine Nachteile durch eine Gutachterei mit Namensnennung drohen.

Ralf Neumann

(Foto: AdobeStock / contrastwerkstatt)

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Ein Gedanke zu „Frauen schreiben lieber anonyme Gutachten“

  1. Hüseyin Besir sagt:

    Das Peer Review krankt u.a. daran dass Forscher/innen aus dem gleichen Gebiet die Arbeiten von möglichen Kooperationspartnern und/oder direkten Wettbewerbern beurteilen (müssen). In vielen Fällen könnte daher ein conflict of interest vorhanden sein – eventuell nur subjektiv, da man vielleicht doch mal von den anderen begutachtet werden könnte. Vielleicht will man dann lieber anonym bleiben?
    Was spricht dagegen, Peer Review als bezahlte Dienstleistung von einer unabhängigen Institution durch wissenschaftlich ausgebildete und erfahrene nicht-akademische Kollegen/Kolleginnen (davon gibt es sicher mehr als solche, die selbst publizieren müssen) durchführen zu lassen – am besten nicht durch fest angestellte, sondern auf Honorar-Basis? Dabei könnte man durch entsprechende Schulungsmaßnahmen und Leistungsbewertung (z.B. wieviele zweifelhafte Paper wurden „durchgewunken“?) die Qualität auf einem hohem Niveau halten. Bei den Kosten der Forschung bis zu einer Publikation dürften ein paar 100 Euro mehr für so einen Service nicht ins Gewicht fallen.

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